Gericht zeigt Jobcenter seine Grenzen auf: Jobcenter dürfen Bürgergeldempfänger nicht auf dauerhaftes Wohnen in einer Unterkunft mit untersten Ausstattungsgrad verweisen.
Jobcenter dürfen Bürgergeldempfänger nicht auf dauerhaftes Wohnen in Unterkünfte verweisen, die bereits hinsichtlich der Ausstattung nicht mehr den heute grundlegenden Wohnbedürfnissen auch mittelloser Menschen entsprechen (Orientierungssatz Detlef Brock).
So eindeutig entschieden vom SG Magdeburg S 22 AS 3193/15 ER.
Wenn die von einem hilfebedürftigem Bürgergeldempfänger zuvor bewohnte, kostenmäßig angemessene Einraumwohnung von einer Größe von 25 qm weder über eine Badewanne noch über eine Dusche verfügt sowie das WC und das Waschbecken sich nicht innerhalb der Wohnung, sondern im Treppenhaus befinden, dann entspricht diese Unterkunft bereits hinsichtlich der Ausstattung nicht mehr den heutigen einfachen und grundlegenden Wohnbedürfnissen.
Entgegen der Auffassung des Jobcenters ist hier von einem erforderlichen Umzug im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 ( heute S. 6 ) SGB II auszugehen
Denn das Jobcenter kann einen Leistungsbezieher von Bürgergeld bei einer derartigen Unterschreitung des angemessenen Wohnstandards nicht auf ein dauerhaftes Wohnen in einer solchen Unterkunft verweisen, sondern hat einen entsprechenden Umzugswunsch zu akzeptieren.
Es steht jedem Leistungsempfänger frei, solche Unterkünfte sogar länger zu bewohnen – so ausdrücklich das Gericht – doch:
Das gilt auch, wenn sich ein Antragsteller in Kenntnis dieser Umstände der Wohnung diese Unterkunft zunächst selbst gesucht hat.
Das Jobcenter darf bei so einer deutlichen Unterschreitung des angemessenen Wohnstandards und der angemessenen Wohnungsgröße nicht auf ein – dauerhaftes Wohnen – in solch einer Unterkunft verweisen.
Denn wenn der Bürgergeldbeziehende später feststellt, dass ein dauerhaftes Wohnen in dieser Unterkunft für ihn nicht zumutbar ist, so steht es ihm frei, eine neue, angemessene Wohnung zu beziehen.
Das muss das Jobcenter akzeptieren.
Der Aspekt, dass die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit einem Kleinkind in einer derart ausgestatteten Unterkunft nicht in einer akzeptablen Art und Weise möglich ist, hat hier ebenfalls angemessen berücksichtigt zu werden.
Das Gericht betonte noch mal gegen über dem Jobcenter, dass hier eine Deckelung der Unterkunftskosten nicht in Frage kommt, dass Jobcenter hatte aber die Mietkosten abgesenkt, weil es den Umzug als nicht erforderlich an sah ( § 22 Abs. 1 Satz 2 ( heute S. 6 SGB II ).
Auch sei der der Aspekt, dass die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit einem Kleinkind in einer derart ausgestatteten Unterkunft nicht in einer akzeptablen Art und Weise möglich ist, hier Berücksichtigung finden.
Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock
Unglaublich aber wahr, das Jobcenter sah den Umzug als nicht erforderlich an, weil sich der Bürgergeldempfänger aus Kostengründen diese Hundehütte selbst gesucht hatte.
Das sich in dieser Hundehütte weder über eine Badewanne noch über eine Dusche verfügte sowie das WC und das Waschbecken sich nicht innerhalb der Wohnung, sondern im Treppenhaus befanden, interessierte das Jobcenter nicht.
Mein Rat:
Warum bewohnt ein Behördenmitarbeiter nicht mal selbst so eine Wohnung. Dr. Manfred Hammel hat es damals auf den Nenner gebracht, indem er sagte
Keine Möglichkeiten der Verbesserung des Wohnstandards für erwerbsfähige Leistungsberechtigte durch einen Wohnungswechsel? – Analysen zur Umsetzung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II –
Anmerkungen zum Beschluss des SG Magdeburg vom 29.10.2015 – S 22 AS 3193/15 ER
Von Dr. Manfred Hammel
Das SG Magdeburg verneinte mit Beschluss vom 29.10.2015 – S 22 AS 3193/15 ER –
die Heranziehbarkeit der aus § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II hervorgehenden Deckelungsvorschrift und bejahte das Erfordernis eines Umzugs des antragstellenden Beziehers von Alg II in eine andere angemessene Wohnung.
Der Tenor war in dieser Entscheidung
Ein Jobcenter darf einen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nicht auf ein dauerhaftes Wohnen in einer Unterkunft verweisen, die bereits hinsichtlich der Ausstattung nicht mehr den heute grundlegenden Wohnbedürfnissen auch mittelloser Menschen entspricht.
Der Antragsteller lebte in einer 25 qm großen Einraumwohnung, die weder mit einer Badewanne noch mit einer Dusche ausgestattet war und wo die Toilette und das Waschbecken sich außerhalb der Wohnung, im Treppenhaus, befanden.
In diesem Richterspruch werden die von einem SGB II-Träger zu beachtenden Grenzen der Auslegung und Anwendung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II deutlich aufgezeigt.
Rechtstipp
BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 2/10 R –
Leistungsbezieher nach dem SGB II müssen sich grundsätzlich nicht auf Wohnungen mit untersten Ausstattungsgrad verweisen lassen ( Wohnungen ohne Sammelheizung und/oder ohne (Dusch-)Bad ), Wohnungen ohne Bad (mit Innen-WC), in denen sich die Bewohner nur mit fließendem Wasser am Waschbecken (sei es in WC oder Küche) waschen, aber nicht duschen können.
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.