Das Bürgergeld schafft von Hartz IV lediglich den Namen ab

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Die künftige Ampelkoaltion aus SPD, Grüne und FDP will Hartz IV abschaffen. Stattdessen soll ein Bürgergeld geschaffen werden. Sind wir nach Jahrzehnten am Ziel, eine sanktionfreie Grundsicherungerung oder gar ein bedingungsloses Grundeinkommen endlich durchgesetzt zu haben? Wir haben uns das Sondierungspapier zum Thema Sozialstaat genau angeschaut.

Wir erinnern uns: Die Agenda 2010 und damit Hartz IV wurde durch die damaligen Koalition aus SPD und Grünen und mit den Stimmen der Union umgesetzt. Nun soll nach ersten Verlautbarungen Hartz IV durch ein sogenanntes Bürgergeld ersetzt werden. Aber was heißt das konkret?

Bürgergeld statt Hartz IV – Erst Jubel dann Ratlosigkeit

Erst gab es Jubel und dann Ratlosigkeit, nachdem SPD, Grüne und FDP am Freitag ihr erstes Sondierungspapier vorstellten. “Endlich wird Hartz IV abgeschafft” konnte man zum Beispiel massenhaft bei “Twitter” lesen. Nur ein paar Stunden später stellten viele die Frage: “Wie soll das neue Bürgergeld eigentlich aussehen?” Und: “Was wird anders sein als bei Hartz IV?” Ist es wohlmöglich nur ein Ersatzbegriff? Oder gar “Alter Wein aus neuen Schläuchen?”

Diese Fragen sind durchaus berechtigt. Denn viel ist in dem Sondierungspapier der Koalitionswilligen nicht zu lesen. Und das wenige, was dazu geschrieben ist, ist eher dürftig:

“Anstelle der bisherigen Grundsicherung werden wir ein Bürgergeld einführen. Das Bürgergeld soll die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein. Es soll Hilfen zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt stellen. Während der Coronakrise galten großzügige Regelungen zu Schonvermögen und zur Überprüfung der Wohnungsgröße. Wir prüfen, welche dieser Regeln wir fortsetzen wollen. An Mitwirkungspflichten halten wir fest und prüfen, wie wir hier entbürokratisieren können. Die Zuverdienstmöglichkeiten wollen wir verbessern, mit dem Ziel, Anreize für Erwerbstätigkeit zu erhöhen.”

Und zum Thema Sozialstaat war in einem weiteren Absatz zu lesen:

“Wir wollen neue Wege gehen, sodass alle auch konkrete Chancen auf Teilhabe und berufliche Perspektiven haben und Lebensleistung anerkannt wird. Wir stehen für einen verlässlichen und aktivierenden Sozialstaat, der die Bürgerinnen und Bürger in den Stationen ihres Lebens unterstützt, Teilhabe ermöglicht, vor Armut schützt und Lebensrisiken absichert. Diese Zusage ist eine wichtige Basis dafür, Bürgerinnen und Bürger zu ermutigen, auch Neues zu wagen.”

Dürftig sind die Passagen durchaus. Ersteinmal ist nur zu lesen, was die künftige Bundesregierung nicht umsetzen will.

Bürgergeld ist kein Grundeinkommen

Demnach will die Bundesregierung kein Grundeinkommen einführen. Das soll schon gar nicht “bedingungslos” sein. Denn das würde bedeuten, dass alle Bürger, ungeachtet ihres Einkommen, eine Grundversorgung erhalten, egal wie hoch ihr Einkommen ist.

Aber auch ein bedarfsorientiertes Grundeinkommen, also ein Grundeinkommen, dass einen Betrag vorsieht, der für alle Berechtigten gezahlt wird, damit der Lebensunterhalt plus Wohnkosten ohne bürokratische Hürden bezahlt wird, ist augenscheinlich ebenfalls nicht vorgesehen. Ein solches Konzept sähe vor, dass alle anderen Sozialleistungen bis auf Härtefällen, wegfallen würden.

Regelleistungen plus extra berechnete Wohnkosten

Demnach sollen auch weiterhin die Wohnkosten von den pauschalen Regelleistungen abgekoppelt bleiben. Denn anders ergäbe die Ankündigung in dem Sondierungspapier keinen Sinn, man wolle die Corona-Sonderregelungen genau überprüfen, welche man davon behalten wolle. Wer also künftig ein Bürgergeld bezieht, muss auch weiterhin nachweisen, ob die Wohnungskosten “angemessen” sind. Das bedeutet, dass die Betroffenen auch weiterhin gezwungen werden, sich billige Wohnungen suchen zu müssen, die als “angemessen” gelten.

Weiterhin aufwendige Überprüfung der Bedürftigkeit

Somit würden auch Bedürftgkeitsprüfungen nicht wegfallen. Jeder Antragsteller muss auch weiterhin nachweisen, wie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind. Die Leistungsberechtigten müssten dem Staat also alles offen legen, um nachzuweisen, dass eine Bedürftigkeit bestehe. Die Kontrolle, also die ständigen Überprüfungen, würden bei einem “Bürgergeld” keineswegs entfallen.

Erhöhungen der Regelleistungen?

Zum Jahreswechsel steigen die Regelleistungen so minimal, dass diese eigentlich, verglichen mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten, eine Kürzung darstellen. Der Hauptkritikpunkt bei Hartz IV ist neben den Sanktionen die Höhe der Regelsätze, die immer wieder als verfassungswidrig eingestuft werden.

Hierzu schweigen sich allerdings die Koalitionswilligen aus. Kein Wort zu möglichen Erhöhungen der Regelleistungen. Stattdessen sind nur blumige Worte wie, das Bürgergeld wolle “zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen” und die “Würde des oder der Einzelnen achten” zu lesen. Demnach ist weiterhin nicht sicher, ob die Tricksereien bei der Bedarfsermittlung aufhören.

Werden die Sanktionen abgeschafft?

Zum zweiten Hauptkritikpunkt bei Hartz IV, den Sanktionen, wird sich sehr wahrscheinlich nichts ändern. Es steht ganz eindeutig geschrieben: “An Mitwirkungspflichten halten wir fest”. Man wolle lediglich prüfen, Bürokratie hierbei abzubauen.

Wenn man also an den Mitwirkungspflichten festhalten will, kann das nur bedeuten, dass man an dem Instrument “Strafe” festhalten will. Denn wer gegen diese Pflichten verstößt, muss mit Einbußen auch beim Bürgergeld rechnen. Daran ändert auch nicht die Schönfärberei, die Robert Habeck (Grüne) bereits vorgeschlagen hatte. So sollen diejenigen mehr Geld erhalten, die sich an Pflichten halten. Das bedeutet aber, dass die anderen dann weniger Grundsicherung beziehen. Das Prinzip ist also das Gleiche, nur positiver verpackt.

Auch denkbar wären anders gelagerte Sanktionen wie der Verweigerung von Weiterbildungen. Doch das widerspräche dem erklärten Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt. Dieses Ziel erklärten die beteiligten Parteien erneut. Allerdings ist das nicht neu. Auch Hartz IV wurde erschaffen, um “Menschen schneller in Arbeit zu bringen”.

Erwerbslose sollen noch immer an ihrer Erwerbslosigkeit selbst Schuld sein

Nicht anders als bei Hartz IV wird das Bürgergeld darauf ausgerichtet sein, die Bezieher und Bezieherinnen schnell wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Darauf weist auch folgender Satz hin: “Wir stehen für einen verlässlichen und aktivierenden Sozialstaat”. Demnach bleibt es bei der diskriminierenden Grundstoßrichtung, Erwerbslose seien selbst für ihrer Lage Schuld und müssten nur von außen “aktiviert” werden.

Das zeigt vor allem eins, dass sich der Blick auf Erwerbslosigkeit nicht verändert. Schuld sei angeblich der Arbeitslose, der aufgrund der fortschreitenden Automatisierung und der sich verändernden Arbeitsmarktsituation nur “aktiviert” werden müsse. Diese Denkweise unterscheidet sich keineswegs von Hartz IV und ist somit eine Fortsetzung dieser Ideologie.

Noch deutlicher wird es bei dem Satz “Hilfen zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt stellen”. Allerdings schwingt hier das Ziel der SPD sehr stark mit, dass Qualifizierungen oder Weiterbildungen nicht mehr verordnet, sondern möglichst auf Augenhöhe miteinander vereinbart werden. Dieser Ansatz ist nicht neu und findet sich bei den “Eingliederungsvereinbarungen” wieder. Allerdings war es bisher so, dass diese kaum individuell getroffen wurden. Ob sich das nun wirklich ändert, bleibt abzuwarten.

Bürgergeld weiterhin nicht bedingungslos

Deutlich wird aber auch, dass das Bürgergeld eben kein Sozialgeld ist, in dem auch Menschen Platz finden, die mit wenig Geld ihr Leben meistern wollen. Für diese Menschen, die es schon immer gab und geben wird und einen geringen Anteil bei den Sozialleistungsbezieher bilden, ist das “Bürgergeld” nicht vorgesehen.

Jobcenter bleiben weiterhin bestehen

Viel ist von Abbau der Bürokratie zu lesen. Die FDP hatte beispielsweise in ihrem Wahlprogramm manifestiert, dass die Jobcenter zugunsten einer neuer Behörde, ähnlich wie die Finanzämter, abgeschafft werden würden. Stattdessen deutet viel darauf hin, dass auch weiterhin die Jobcenter bestehen bleiben. Diese werden nicht nur die Vergabe des Bürgergelds organisieren, sondern auch die Mitwirkungspflichten organisieren.

Verbesserte Zuverdienstmöglichkeiten

Einzig und allein dürfte sich bei den Zuverdientmöglichkeiten etwas verändern. Denn derzeit lohnt es sich nicht, sich bei Hartz IV etwas dazu zuverdienen. Denn wer beispielsweise einen 450 Euro Job annimmt, kann lediglich ein Taschengeld davon behalten. Wie die Zuverdienstmöglichkeiten dann tatsächlich ausgestaltet werden, bleibt abzuwarten.

Unser Fazit

Was ist also unser Fazit? Es bleibt im Großen und Ganzem alles so, wie es ist. Ein wenig mehr Digitalisierung bei der Antragstellung und eventuell weniger Kleinkariertheit bei der Bewilligung von Leistungen. Somit – Stand heute – ist das Bürgergeld keine wirkliche Umgestaltung des Sozialstaats. Alles in allem bleibt der Gedanke, dass sich bis auf den Namen eigentlich nichts verändern wird. Hartz IV bleibt Hartz IV und heißt dann “Bürgergeld”. Ein Grund zum Jubeln gibt es unserer Meinung nach nicht. Leider.