Bürgergeld: Bedarfsgemeinschaft auch bei Fernehe?

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Was geschieht, wenn die Ehe zwar geschlossen wird, die beiden Partnerinnen und Partner aber gar keinen gemeinsamen Haushalt führen? Die Rechtslage gibt auf den ersten Blick zwar vor, dass Ehegatten, wenn sie Bürgergeld beziehen, üblicherweise eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Doch wie wirken sich zwei getrennte Wohnsitze auf diese Annahme aus?

Warum geht das Gesetz grundsätzlich von einer Bedarfsgemeinschaft unter Ehepaaren aus?

Das Zweite Sozialgesetzbuch (SGB II) legt in § 7 Absatz 3 klar fest, dass Ehegatten eine Bedarfsgemeinschaft bilden, wenn sie nicht dauerhaft getrennt leben.

Die rechtliche Logik dahinter ist, dass eine Ehe normalerweise ein enges persönliches und wirtschaftliches Miteinander begründet. Dieses „Näheverhältnis“ wird oft auch als Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft bezeichnet, da man füreinander sorgt, füreinander einsteht und – nicht zuletzt – gegenseitige Vermögensverfügungsbefugnisse in Betracht kommen können.

Im Regelfall trifft dies bei Eheleuten zu, da eine Ehe den ausdrücklichen Willen beider Parteien symbolisiert, das Leben miteinander zu teilen.

Wie verhält es sich bei einer räumlichen Trennung?

Eine geografische Distanz zwischen Eheleuten bedeutet nicht zwangsläufig das Ende einer Bedarfsgemeinschaft. Tatsächlich ist es möglich, dass sich beide in getrennten Wohnungen aufhalten und dennoch ihre Ehe als vollwertige Verbindung verstehen.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits im Jahr 2010 entschieden, dass eine Bedarfsgemeinschaft trotz räumlicher Trennung durchaus vorliegen kann. Maßgeblich ist laut dieser Rechtsprechung, ob die Ehepartner erkennbar am Fortbestand ihrer Ehe festhalten und ob es ein über das reine Zusammenleben hinausgehendes Zugehörigkeitsgefühl gibt.

Eine Abgrenzung zur bloßen Wohngemeinschaft oder einer rein pragmatischen Zweckbeziehung ist allerdings essenziell. So entsteht die Vermutung einer Bedarfsgemeinschaft immer dann, wenn eine emotionale, wirtschaftliche und rechtliche Verbundenheit sichtbar wird.

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Wann greift die Vermutung einer Bedarfsgemeinschaft nicht mehr?

Auch wenn der Gesetzgeber in Bezug auf Ehegatten normalerweise von einer Bedarfsgemeinschaft ausgeht, kann diese Vermutung widerlegt werden, wenn die Ehe nur noch auf dem Papier besteht oder eine echte Verbundenheit praktisch nicht vorliegt.

Hierzu hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen im April 2020 einen konkreten Fall entschieden: Eine Ehe wurde lediglich aufgrund einer Schwangerschaft geschlossen, die Eheleute wohnten nie zusammen und sahen keinen gemeinsamen Lebensmittelpunkt vor.

Das Gericht verneinte hier das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft, weil die Ehe auch nach außen hin nicht als intakte Beziehung erkennbar war. Nach Ansicht des LSG NRW ist eine formelle Eheschließung allein nicht ausreichend, um eine Bedarfsgemeinschaft zu begründen, wenn diese Verbindung faktisch nicht gelebt wird.

Wieso sind die tatsächlichen Lebensverhältnisse entscheidend?

Ob eine Bedarfsgemeinschaft existiert, richtet sich immer nach einer Gesamtwürdigung der Lebensverhältnisse.

Das Vorhandensein zweier verschiedener Haushalte kann ein Indiz sein, jedoch nicht das einzige. Letztlich kommt es darauf an, ob das Paar füreinander einsteht und sich gegenseitig sowohl ideell als auch finanziell unterstützt.

Eine „Fernehe“ kann also sehr wohl eine Bedarfsgemeinschaft sein, wenn beide Seiten erkennbar eine wirkliche Ehe führen und die räumliche Trennung nur praktische Gründe hat.

Zugleich kann aber auch ein Zusammenleben unter demselben Dach vorliegen, ohne dass automatisch eine Bedarfsgemeinschaft entsteht. Entscheidend ist, ob beide Partnerinnen oder Partner ihre Lebensführung miteinander teilen, füreinander Verantwortung übernehmen und sich wirtschaftlich verbunden sehen.

Wie sollten Betroffene vorgehen, wenn es Unklarheiten gibt?

In Fällen, in denen das Jobcenter aufgrund einer angeblichen Bedarfsgemeinschaft Leistungen verweigert oder kürzt, kann ein genauer Blick in die tatsächlichen Umstände hilfreich sein. Betroffene sollten prüfen lassen, ob eine intensive Verbundenheit tatsächlich vorliegt.

Denn wenn sich im Einzelfall zeigt, dass zwei Menschen zwar rechtlich verheiratet sind, jedoch emotional und wirtschaftlich getrennte Wege gehen, kann dies gegen das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft sprechen.

Hier kann es ratsam sein, juristische Unterstützung einzuholen. Ein Widerspruch gegen ablehnende Bescheide kann sich lohnen, gerade wenn eine gründliche Prüfung der persönlichen Verhältnisse bislang ausgeblieben ist.

Jobcenter müssen Einzelfallprüfung vornehmen

Am Ende entscheidet immer die konkrete Situation der Beteiligten. Das Sozialrecht erlaubt es, die Umstände des Zusammenlebens oder der räumlichen Trennung genau zu beleuchten und die Frage zu beantworten, ob ein echter Einstehenswille vorhanden ist.

Eine intensive Prüfung soll sicherstellen, dass eine formale Ehe nicht automatisch zu einer Versorgungsgemeinschaft führt, in der eine Seite für die andere finanziell haften muss.

Umgekehrt soll eine Ehegemeinschaft, die wirklich Bestand hat und in der sich beide füreinander verantwortlich fühlen, auch im Sinne des Sozialgesetzbuches als Bedarfsgemeinschaft eingestuft werden.

Was bleibt als Fazit?

Eine Hochzeit führt zwar auf dem Papier zur Vermutung einer Bedarfsgemeinschaft, doch diese Vermutung lässt sich widerlegen, wenn ersichtlich ist, dass keine echte Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft besteht.

Wer Zweifel an einem Bescheid des Jobcenters hat, sollte rechtlichen Rat suchen. Gerade bei unterschiedlichen Wohn- und Lebensmodellen braucht es einen genauen Blick, damit das Gesetz in jedem Fall passend angewandt wird und die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern gewahrt bleiben.