Bürgergeld: 5 falsche Behauptungen an die viele glauben

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Seit der Einführung des Bürgergeldes als Ersatz für Hartz IV im Jahr 2023 wird über seine Ausgestaltung und Auswirkungen diskutiert. Politiker verschiedener Parteien äußern Bedenken und fordern teils erhebliche Änderungen. Doch was ist dran an den gängigen Behauptungen? Ein Überblick über die Fakten.

Behauptung 1: Bürgergeld-Beziehende wollen nicht arbeiten

Aussage: “Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen.”

Faktencheck: In Deutschland beziehen rund 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. Davon sind etwa 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche. Über 2 Millionen Erwachsene stehen dem Arbeitsmarkt aus verschiedenen Gründen nicht zur Verfügung, sei es wegen gesundheitlicher Einschränkungen oder fehlender Kinderbetreuung. Etwa 800.000 Menschen sind erwerbstätig, benötigen jedoch zusätzlich staatliche Unterstützung (sogenannte Aufstocker).

Es verbleiben rund 1,7 Millionen Menschen, die arbeitslos sind und grundsätzlich arbeiten könnten. Viele von ihnen haben jedoch keine ausreichende Qualifikation oder gesundheitliche Probleme, die eine Arbeitsaufnahme erschweren. Arbeitgeber sind oft zögerlich, diese Personen einzustellen, und wenn es doch zu einer Anstellung kommt, endet diese häufig nach kurzer Zeit.

Der Anteil derjenigen, die das System missbrauchen und die Arbeit verweigern, ist sehr gering: Lediglich etwa 16.000 Personen, was rund 0,4 Prozent aller Bürgergeld-Beziehenden entspricht.

Hintergrund: Die Reform des Bürgergeldes zielt darauf ab, Betroffenen nicht nur irgendeine Arbeit, sondern eine langfristige Perspektive zu bieten. Durch weniger Druck, sofort eine beliebige Stelle anzunehmen, sollen mehr Menschen die Möglichkeit erhalten, sich zu qualifizieren und eine passende Beschäftigung zu finden. Das soll sowohl den Betroffenen als auch der Wirtschaft und dem Sozialstaat zugutekommen.

Behauptung 2: Arbeiten lohnt sich nicht mehr

Aussage: “Das Bürgergeld ist so hoch, dass es sich kaum mehr lohnt zu arbeiten.”

Faktencheck: Bürgergeld-Beziehende leben unterhalb der Armutsgrenze. Seit Anfang 2024 erhält ein alleinstehender Erwachsener 563 Euro pro Monat. Ein Vergleich mit Erwerbstätigen zeigt ein anderes Bild: Eine Person, die zum Mindestlohn in Vollzeit arbeitet, hat deutlich mehr zur Verfügung.

Laut Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes verfügt ein Vollzeitbeschäftigter bei einer 38-Stunden-Woche über ein Nettoeinkommen von etwa 1.515 Euro. Demgegenüber stehen die 995 Euro, die ein Bürgergeld-Empfänger erhält. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) bestätigt diese Zahlen.

Bei Familien fällt der Unterschied je nach Anzahl und Alter der Kinder noch größer aus. Erwerbstätige können zudem von Freibeträgen bei Sozialleistungen profitieren und erwerben Rentenansprüche.

Expertenmeinung: Andreas Peichl vom ifo Institut betont: “Die Behauptung, dass Sozialleistungsbeziehende netto mehr erhalten als Geringverdiener, ist schlicht falsch.” Verschiedene Studien, darunter auch vom ifo Institut, untermauern diese Aussage.

Behauptung 3: Bürgergeld zieht Migranten an

Aussage: “62 Prozent der Familien im Bürgergeldbezug haben keinen deutschen Pass. Ihr Bürgergeld ist ein Migranten-Geld, ein Einwanderungsmagnet.”

Faktencheck: Die genannte Zahl basiert auf einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit vom Juni 2023. Demnach hatten von den damals 3,93 Millionen Bürgergeld-Beziehenden 2,46 Millionen einen Migrationshintergrund, was etwa 62 Prozent entspricht. Allerdings umfasst diese Gruppe auch Kinder, ältere Menschen und Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft, deren Eltern nach 1949 nach Deutschland zugewandert sind.

Es stimmt, dass Menschen mit Migrationshintergrund häufiger auf Bürgergeld angewiesen sind. Dies liegt unter anderem daran, dass in den vergangenen Jahren viele Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, darunter über 1,1 Millionen aus der Ukraine. Ukrainische Geflüchtete haben ohne aufwändiges Asylverfahren Anspruch auf Bürgergeld.

Asylsuchende hingegen erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die unterhalb des Bürgergeldes liegen.

Im März 2024 bezogen etwa 722.000 Ukrainer Bürgergeld, darunter 200.000 Kinder und 320.000 Personen in Ausbildung oder Aufstocker. 186.000 waren arbeitslos. Diese Zahlen zeigen, dass die Mehrheit der Geflüchteten bemüht ist, Arbeit zu finden und sich zu integrieren.

Expertenmeinung: Es gibt keine belegten Hinweise darauf, dass das Bürgergeld Menschen nach Deutschland “anlockt”. Migration hat vielfältige Ursachen und wirtschaftliche Anreize sind nur ein Faktor unter vielen. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages betont in einer Analyse, dass die Gründe für Migration komplex sind.

Behauptung 4: Härtere Sanktionen erhöhen die Arbeitsbereitschaft

Aussage: “Wer arbeiten kann, Arbeitsangebote jedoch nicht annimmt, der muss hier in Deutschland stärker sanktioniert werden.”

Faktencheck: Aktuell können Bürgergeld-Leistungen um 10 bis 30 Prozent gekürzt werden, wenn Pflichten nicht erfüllt werden. Bei wiederholter und nachhaltiger Weigerung, zumutbare Arbeit anzunehmen, kann die Leistung bis zu zwei Monate vollständig gestrichen werden.

Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) analysierte die Wirkung von Sanktionen auf die Arbeitsvermittlung, basierend auf Daten von 2012 bis 2015.

Das Ergebnis: Moderate Sanktionen können die Vermittlungsquote verbessern, während zu strenge Sanktionen oft zu schlechteren Jobangeboten und geringerem Einkommen führen. Ein zu harter Ansatz kann also kontraproduktiv sein.

Rechtliche Rahmenbedingungen: Das Bundesverfassungsgericht entschied 2019, dass Sanktionen strengen Anforderungen genügen müssen. Das Existenzminimum muss jederzeit gewährleistet sein. Eine vollständige Streichung der Leistungen ist verfassungswidrig.

Behauptung 5: Das Bürgergeld ist zu teuer und zu hoch

Aussage: “Angesichts der Inflationsentwicklung fällt das Bürgergeld aktuell 14 bis 20 Euro im Monat zu hoch aus.”

Faktencheck: Im Januar 2024 wurde der Regelsatz für das Bürgergeld um 12 Prozent erhöht, was über der damaligen Inflationsrate von 2,2 Prozent lag. Dennoch konnte diese Erhöhung die vorherigen Kaufkraftverluste nicht vollständig ausgleichen. Zwischen 2021 und 2023 hatten Bürgergeld-Empfänger erhebliche Einbußen, insbesondere durch steigende Kosten für Lebensmittel und Energie.

Eine Analyse der Ökonomin Irene Becker für den Paritätischen Gesamtverband zeigt, dass die jüngste Erhöhung lediglich einen Teil der Verluste kompensiert und nicht ausreichend ist, um finanzielle Rückstände aufzuholen.

Finanzielle Betrachtung: Im Jahr 2023 beliefen sich die Ausgaben für das Bürgergeld auf etwa 42,6 Milliarden Euro. Dies entspricht weniger als sieben Prozent des Gesamtbudgets des Bundeshaushalts von 613,9 Milliarden Euro.

Im internationalen Vergleich gibt Deutschland nicht überdurchschnittlich viel für Sozialleistungen aus. Eine Untersuchung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zeigt, dass der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt 2019 bei 26,7 Prozent lag. Länder wie Frankreich und Italien investieren über 30 Prozent.