BSG-Urteil: Hartz IV-Berechnung verfassungskonform

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Bundessozialgericht sieht erneut keine Verfassungswidrigkeit bei den Hartz IV Regelleistungen

26.09.2012

Die Hartz IV Berechnungsgrundlage ist nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel nicht verfassungswidrig. Nach Ansicht des Gerichts gehören die Ausgaben von Arbeitslosengeld II-Beziehern nicht zwangsläufig zum Existenzminimum (Az.: B 14 AS 153/11 R). Damit widerspricht das BSG der Rechtsauffassung des Sozialgerichts Berlin, das die Berechnungsgrundlage als nicht verfassungsgemäß beanstandete. Allerdings ist das Berliner Verfahren vor der Bundesverfassungsgericht noch nicht beschieden.

Im verhandelten Fall hatte eine Hartz IV-Betroffene aus dem Rhein-Neckar-Kreis geklagt. Nach Ansicht der Klägerin sei der Eckregelsatz für Alleinstehende nicht ausreichend, um das Existenzminimum zu sichern. Vor allem das soziokulturelle Existenzminimum sei mit der neuerlicher Berechnung der schwarz-gelben Bundesregierung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2010 nicht verfassungsgemäß berechnet worden und damit nicht mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland konform.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte am 9. Februar 2010 die damaligen Berechnungsgrundlagen als „nicht transparent und damit als verfassungswidrig“ eingestuft (Az.: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 sowie 1 BvL 4/09). Der Gesetzgeber musste darauf erneut die Hartz IV Regelleistungen berechnen und änderte im Jahre 2011 die Sätze. Bis auf die Kinderregelleistungen wurden die Sätze für Erwachsene in Folge minimal angehoben. Erneut bediente sich die Bundesregierung zahlreicher statistischer Tricks, um die Regelleistung klein zu rechnen. So wurden beispielsweise einzelne Posten einfach herausgestrichen. Eben jenes Verfahren beanstandete auch die Klägerin.

Herausstreichen von Posten angeblich verfassungsgemäß
Doch der Argumentation der Klägerin folgte das Gericht nicht. Die Ausgaben der der unteren Einkommensschichten gehören nicht zwangsläufig zum Existenzminimum, so die Richter. Der Gesetzgeber habe bei der Berechnung einen „sehr weiten Gestaltungsspielraum“ gehabt. Daher sei es rechtens, einzelne Bedarfe aus der Berechnung herauszustreichen, wie es in der aktuell veröffentlichten Urteilsbegründung des Bundessozialgerichts heißt. Ein soziokulturelles Existenzminimum könne „nur wertend umschrieben“ werden. Somit sei die Berechnung der Hartz IV Regelsätze, die seit 2011 gelten, sowie die Höhe, verfassungskonform.

Wieder wurden Bedarfe nur geschätzt
Das sah die Klägerin freilich anders. „Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nach einer transparenten Berechnung wurden nicht eingehalten“, so das Argument. So sei beispielsweise der Bedarf, den die Ärmsten in Deutschland benötigen, wieder freihändig ohne Grundlage „geschätzt worden“. Damit sei das Verfahren zur Berechnung in Teilen wieder intransparent gewesen. Als Beispiel nannte die Klagevertretung die Streichungen der Posten Alkohol, Tabak, Beherbergungsdienstleistungen, Blumen oder auch die Kosten für eine chemische Reinigung. Somit werde das Konsumentenverhalten nicht mehr realistisch wiedergegeben. Zudem habe der Gesetzgeber nicht mehr das Verhalten der Konsumenten der ärmsten 20 Prozent, sondern lediglich 15 Prozent der ärmsten Bevölkerung zur Grundlage der Berechnung herangezogen.

Auch diesen Argumenten wollte das Gericht nicht folgen und wies die Klage ab. Nach Meinung der Richter seien die Grundlagen und die Datenerhebung seitens der Bundesregierung nicht zu beanstanden. Diese würde vielmehr die „soziale Wirklichkeit“ in Bezug auf das Existenzminimum widerspiegeln. Es sei zudem unmöglich die Grenze zwischen „Deckung und Unterdeckung punktgenau“ zu ziehen. Auch, dass der Gesetzgeber nur die Einkommensverhältnisse sowie das Konsumentenverhalten der ärmsten 15 Prozent verwandt habe, um die Regelleistungen nach dem SGB II zu berechnen, könne nicht als verfassungswidrig eingestuft werden. Das Verbrauchsverhalten der genannten „Referenzgruppe könne nicht allein der Maßstab für das Existenzminimum sein“, urteilten die Richter.

Bier, Wein und Schnaps kein Bestandteil des Existenzminimum
Das Trinken von Bier, hochprozentigem Alkohol und das Rauchen von Tabakwaren seien kein Bestandteil des Existenzminimum. Vielmehr habe die Bundesregierung diese Posten begründet aus der Berechnung herausgestrichen, weil diese der Gesundheit schaden. Zwar wäre die Streichung des Postens „Schnittblumen und Zimmerpflanzen“ aus dem Gerichtspunkt der Sozialpolitik durchaus „problematisch“, allerdings seien diese nicht „zur Sicherung der Existenz bedeutend“, so das Gericht.

Global betrachtet seien aber die Arbeitslosengeld II-Regelleistungen nicht „evident unzureichend bemessen“, so der abschließende Urteilsspruch. Nur wenn das der Fall ist, können diese als verfassungswidrig eingestuft werden. Hartz-IV Beziehern bleibe bei der Höhe der SGB II Sätze laut Ansicht der Bundessozialrichter „ein angemessener Spielraum für persönliche Präferenzen“.

Sozialgericht Berlin: Höhe und Berechnung verfassungswidrig
Im April diesen Jahres war jedoch das Sozialgericht Berlin (Az.: S 55 AS 9238/12) zu einem anderen Ergebnis gelangt. Die Berliner Richter hatten die Bemessungen sowie die Höhe der Regelleistungen als verfassungswidrig und als zu niedrig beurteilt. Der Bedarf wurde „ins Blaue hinein“ geschätzt, so die Richter. Das sei nicht konform mit den Grundsetzen der Verfassung und daher verfassungswidrig. Aufgrund dessen wurde das Verfahren an das Bundesverfassungsgericht zur „Richtervorlage zur Prüfung“ vorgelegt. Dort ist das Verfahren seitdem anhängig. Demnach ist in Sachen Hartz IV Regelsätze noch nicht das letzte Wort gesprochen. Zudem sind noch weitere Verfahren in ähnlicher Form noch nicht beschieden. (sb)

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