Der Deutsche Presserat ist ein Zusammenschluss von Medien, die sich verpflichten, ihrer journalistischen Berufspflicht nachzukommen, und dazu gehört ganz besonders, bei den Fakten zu bleiben statt Leser mit Lügen in die Irre zu führen.
Dieser Presserat hat keine strafrechtlichen Befugnisse, und sein schärfstes Schwert ist eine Rüge gegen Presseorgane, die gegen die journalistische Ethik verstoßen. Überdurchschnittlich oft kassiert die Bild-Redaktion solche Rügen, und dieses Mal sind es stigmatisierende Darstellungen von Leistungsberechtigten beim Bürgergeld.
Bild verbreitet Falschinformationen über Bürgergeld-Bezieher
Mehrfach suggerierte Bild, dass Menschen, die Bürgergeld beziehen müssen, grundsätzlich arbeiten könnten, dies aber aus Faulheit nicht täten. Diese Falschdarstellung wurde öffentlich immer wieder kritisiert und mit den Fakten gerade gerückt. Trotzdem verbreitete Bild diese diffamierenden Märchen weiter – und irgendwann reichte es dem Presserat.
Vier Millionen fantasierte Arbeitsunwillige
So behauptete Bild im Juni 2024: „Im Mai bezogen 4,021 Millionen erwerbsfähige Arbeitslose Bürgergeld. Also Menschen, die arbeiten KÖNNTEN, es aber nicht tun“ (…). Die Redaktion Übermedien befragte die Bundesagentur für Arbeit, und eine Sprecherin der Agentur sagte zu diesen Zahlen: „Die Umschreibung ist nicht zutreffend.“
Bürokratische Realität wird zu konkreter Situation verbogen
Bild verzerrte hier die bürokratische Definition „erwerbsfähige Leistungsberechtigte“ falsch zu einer konkreten Lebenssituation. Wer prinzipiell nicht als erwerbsfähig gilt, hat keinen Anspruch auf Bürgergeld, sondern fällt unter Leistungen der Sozialhilfe.
Grundsätzlich erwerbsfähig bedeutet nicht tatsächlich vermittelbar
„Erwerbsfähig“ bedeutet dabei lediglich, dass jemand dieses grundsätzlich körperlich, psychisch und geistig ist. Doch sehr viele Menschen, die Bürgergeld beziehen, können praktisch keiner Erwerbsarbeit nachgehen, weil sie Angehörige pflegen oder Kinder betreuen, die keinen Kita-Platz bekommen. Unter die Millionen Bürgergeld-Geldbezieher fallen auch Kinder und Minderjährige.
Wer Bürgergeld bezieht, zur Schule geht oder eine Ausbildung macht, wer an einer Weiterbildung oder sonstigen Maßnahme des Jobcenters teilnimmt, kann ebenfalls keine Erwerbstätigkeit aufnehmen.
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Arbeiter werden bei Bild zu Nicht-Arbeitern
Selbst die Aufstocker, die einer Erwerbsbeschäftigung nachgehen, aber nicht genug verdienen, um damit ihren Lebensunterhalt zu decken, fasst die Bild unter diejenigen, die „nicht arbeiten“.
Diejenigen unter den Leistungsbeziehern beim Bürgergeld, die tatsächlich direkt eine Arbeit aufnehmen könnten, sind rund 800.000. Auch bei denen ist fast nie fehlender Wille der Grund, warum sie nicht in Arbeit kommen, sondern vielschichtige Vermittlungshürden.
Krank und ohne Qualifikation
Jeder dritte von ihnen hat eine psychiatrische Diagnose, rund jeder zweite keine berufliche Ausbildung, oft fehlt sogar ein Schulabschluss. Viele haben Probleme beim Lesen und Schreiben sowie unzureichende Sprachkentnnisse. Suchterkrankungen sind ebenso häufig wie gesundheitliche Einschränkungen.
Die Chancen dieser Menschen, in reguläre Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu kommen, sind sehr gering, und die meisten von ihnen wünschen sich nichts mehr als einen Arbeitsplatz und ein regelmäßiges Einkommen.
Die Zahl derjenigen, die die Jobcenter jährlich sanktionieren, weil sie wiederholt eine zumutbare Stelle nicht annahmen, betrug 2024 gerade einmal 23.400. Ein gewaltiger Unterschied zu den von Bild behaupteten vier Millionen. Die Wirklichkeit liegt gerade einmal bei 0,58 Prozent der von Bild behaupteten Menge.
Das sind also völlig falsche Zahlen, und Bild macht aus absoluten Ausnahmen ein Massenphänomen.
Springer ignoriert die Fakten
Der Axel-Springer-Verlag ließ die sachliche Kritik einfach an sich abprallen. Eine Sprecherin erwiderte auf konkrete Fragen und die Konfrontation mit den Fakten: „Wir stehen zu unserer redaktionellen Berichterstattung und haben ihr nichts hinzuzufügen.“
Eine Tradition der Stigmatisierung
Die Bild verzerrte bereits zu Hartz IV Zeiten -und sogar davor- die Realität von Menschen, die von Sozialleistungen leben müssen. So stigmatisierte sie bereits 2003 einen deutschen Immoblienmakler, der in Florida lebte, durch Krankheit erwerbsunfähig geworden war und laut medizinischem Gutachten bei einer Rückkehr nach Deutschland akut suizidgefährdet gewesen wäre.
Ein Kranker wird zum Faulenzer gemacht
Diesen Erkrankten inszenierte Bild als „Florida-Rolf“, um eine Neidkampagne zu entfachen stellte das Medium ihn als Faulenzer dar, der von Steuergeldern am Strand von Florida Urlaub macht. In Wirklichkeit lebte der Betroffene in einem winzigen Apartment auf niedrigem Niveau direkt an einem Parkplatz.
Am 13. März 2006 ging es weiter mit der Bild-Schlagzeile „Erwischt! Frechste Sozialabzockerin“, und im Dezember 2006 präsentierte das Boulevard-Blatt dann einen Empfänger von Sozialleistungen als „Deutschlands frechster Arbeitsloser“.
Presserat erkennt massive Irreführung
Der Deutsche Presserat rügte nun im März 2025 öffentlich drei Artikel der Bild – die höchstmögliche Stufe der Kritik dieses Gremiums an medialer Berichterstattung. Wörtlich warf das Selbstkontrollorgan der Bild-Redaktion vor, eine „massive Irreführung der Leserschaft und eine Stigmatisierung“ von Leistungsberechtigten nach dem Sozialgesetzbuch II zu betreiben.