Bundesarbeitsministerin spricht sich gegen ein Grundeinkommen aus
12.05.2017
Ein bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet, dass jeder Bürger so viel Geld erhält, dass seine Existenz gesichert ist. Befürworter sehen dies als unabdingbar an, da durch die Digitalisierung sowieso keine Vollbeschäftigung mehr nötig oder möglich sei.
Ein Milliardengewinn
Zugleich würde der Staat und damit der Steuerzahler Milliarden an Euro einsparen – in Deutschland fielen insbesondere die horrenden Kosten weg, die der Verwaltungsapparat der Hartz-IV-Behörden verschlingt. Finnland probiert das bedingungslose Grundeinkommen derzeit erfolgreich bei 2.000 Arbeitslosen aus.
Für Menschen, die abhängig von Hartz IV sind, bedeutet ein bedingungsloses Grundeinkommen ein Leben, das frei ist von dem Entzug ihres Privatlebens und den Drangsalierungen der Jobcenter. Statt jede noch so kleine Entscheidung im Alltag von den zuständigen Sachbearbeitern genehmigen zu lassen, könnten sie wieder selbst über ihr Leben entscheiden.
Nahles ist gegen die Freiheit, den Beruf zu wählen
Die Arbeitsministerin Andrea Nahles bezweifelt indessen, dass bei einem bedingungslosen Grundeinkommen niemand mehr schlechte und schlecht bezahlte Arbeit annimmt.
Sie sagte: „Anständige Löhne zu zahlen, weil man ein Grundeinkommen hat, das könnte genau den gegenteiligen Effekt haben und den Druck rausnehmen: Man hat ja ein Grundeinkommen, deshalb zahlt man nur noch, was man braucht fürs Leben drauf.“
Hartz-IV Betroffene vergessen
Eine Gruppe, für die das Grundeinkommen ganz anderen Druck „rausnehmen“ würde, vergisst Frau Nahles einmal wieder: Hartz-IV Empfänger. Ein Grundeinkommen dürfte für all jene Menschen ein Grund zur Freude sein, die unter dem Druck der Jobcenter stehen, jede Knechterei annehmen zu müssen und ansonsten bestraft zu werden.
Der permanente Druck durch die Jobcenter führt nachgewiesen zu psychischen Erkrankungen, schlechter Gesundheitsversorgung und Mangelernährung bei Sanktionen – bis hin zur Suizidgefahr.
Am Thema vorbei?
Ob ein bedingungsloses Grundeinkommen tatsächlich dazu führt, sich nicht mehr in miserable Ausbeutung zu begeben, führt indessen am Thema Hartz IV vorbei, für das Arbeitsministerin Nahles erhebliche Verantwortung trägt. Zuletzt verkündete sie es als Wohltat, Hartz-IV Betroffenen, den Ärmsten der Armen, ganze 5 Euro mehr im Monat zuzugestehen.
Tatsächlich hätten es Arbeitgeber schwer, Menschen zu Hungerlöhnen in erbärmliche Jobs zu stecken, wenn deren Grundexistenz gesichert ist. Sie müssten vielmehr anständige Löhne für menschenwürdige Arbeit bieten – denn sie hätten keine Jobcenter mehr als Vollstrecker, die Menschen zu menschenunwürdiger Tätigkeit zwingen.
Nahles sagte wörtlich: „Es widerstrebt mir persönlich. Ich möchte unabhängig sein.“ Unabhängig sein wollen auch Hartz-IV Abhängige – nämlich unabhängig von der schwarzen Pädagogik der Mitarbeiter der Jobcenter, die mit erwachsenen Menschen umspringen wie autoritäre Erzieher mit kleinen Kindern, deren Lebensstil bestimmen wollen und willkürlich entscheiden, welche Jobs für die Betroffenen „zumutbar“ seien.
Arroganz der Wohlsituierten
Aus Nahles Worten spricht die Arroganz derjenigen, die auch unter den jetzigen Verhältnissen unabhängig sind und von ihrer Erwerbstätigkeit sehr gut leben können. Die Lebensrealität von Millionen Menschen in Deutschland sieht gänzlich anders aus – egal, ob sie Jobs haben oder nicht.
Für sie wäre es eine extreme Entlastung zusätzlich zum Grundeinkommen zum Mindestlohn zu arbeiten statt eine Vollzeitstelle mit Hartz-IV Mitteln aufstocken zu müssen und so trotz Arbeit den Zumutungen der Jobcenter ausgesetzt zu sein.
Konto für Erwerbstätige
Nahles schlägt statt dem Grundeinkommen ein persönliches Erwerbstätigenkonto vor, so solle jeder ab dem 18. Geburtstag ein steuerfreies Startguthaben von 15.000 oder 20.000 Euro bekommen. Mit diesem Geld könnten in der Erwerbszeit klar definierte Ziele angegangen werden: Qualifizierung. Unternehmensgründung, Sabbatical oder Pflegezeit.
Wohlgemerkt: Es handelt sich um ein Konto für die Erwerbszeit, also um Erwerbstätige. Die Vorstellung ist ihr offensichtlich ein Gräuel, dass jemand ohne Erwerbstätigkeit und ohne staatlichen Druck, irgend eine als Erwerbsarbeit deklarierte Beschäftigung auf sich zu nehmen, seine Grundexistenz gesichert hat.
Nahles fürchtet Kontrollverlust
Explizit spricht sie zwar von Unabhängigkeit, implizit verrät sie aber, dass sie sich genau vor dieser Unabhängigkeit fürchtet. Dass jemand so unabhängig sein könnte, selbst zu entscheiden, welche Arbeit er annimmt – das möchte die Arbeitsministerin verhindern.
Selbstbestimmung
Befürworter des Grundeinkommens plädieren gerade für die Selbstbestimmung, die eine solche Grundsicherung ermöglicht. Frei vom finanziellen Druck könnten die Betroffenen Projekte aufbauen, in denen sie nicht unmittelbar Geld verdienen.
Entfaltung ohne Druck
Darunter fällt erst einmal alles, was sich mit Kultur assoziieren lässt – vom Einrichten einer Stadtteilbibliothek über einen interkulturellen Sportverein bis zu einem gemeinsamen Kochen mit Menschen im Viertel.
Darunter fällt aber auch eine längere Auslandsreise, um Lebenserfahrung zu sammeln, die ehrenamtliche Tätigkeit in Menschenrechts- oder Naturschutzorganisationen, und darunter fallen auch sämtliche Formen von Weiterbildung.
Es handelt sich also um Freiräume, die sich vor der Einführung des verschulten Bachelorsystems, Studierende erfüllen konnten – so wie Frau Nahles, in der Zeit, in der sie studierte.
Hartz IV schließt die Tür zum Leben
Die Realität von jungen Menschen im Hartz-IV System sieht anders aus, und das gerade in der kreativen Phase zu Beginn der 20er, wenn sie ins Leben hinaus wollen. Statt frei vom finanziellen Druck die Welt erst einmal kennen zu lernen, werden sie in das Raster von funktionieren oder materiellem Leid gepresst.
Fetisch Arbeit
Das bedingungslose Grundeinkommen würde zudem Milliarden von Euro frei setzen, die dazu dienen, den Unterdrückungsapparat der Jobcenter in Gang zu halten. Aber der Fetisch Arbeit, egal wie, und auch mit Zwang, ist der Arbeitsministerin so sehr Lebensprinzip, dass selbst rein ökonomische Vernunft keine Bedeutung hat.
„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen,“ sagte Müntefering seinerzeit. Die Abscheu von Andrea Nahles steht in dieser sozialdemokratischen Tradition. Eine humane Gesellschaft sieht anders aus. (Dr. Utz Anhalt)
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