Oft wollen Arbeitgeber das Einstellen von Menschen mit einer Schwerbehinderung umgehen und signalisieren bei Einladung zum Vorstellungsgespräch “nur wenig Chancen” zur Jobeinstellung.
Ein Landesarbeitsgericht musste sich daher mit folgender Rechtsfrage beschäftigen: Wann wird eine formale Einladung zur Diskriminierung? Der vorliegende Fall zeigt, dass selbst ein scheinbar gesetzeskonformer Ablauf zur Ungleichbehandlung führen kann, wenn er in einer Art und Weise erfolgt, die den Bewerber entmutigt sich zu bewerben.
Was sagt das Gesetz?
Laut § 82 Satz 2 und 3 SGB IX sind öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, sofern sie nicht offensichtlich fachlich ungeeignet sind.
Das Gesetz soll sicherstellen, dass schwerbehinderte Bewerber dieselben Chancen wie andere Bewerber erhalten. Im vorliegenden Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg verhandelt wurde, wurde diese gesetzliche Vorschrift jedoch in einer Weise ausgelegt, die den schwerbehinderten Kläger benachteiligte.
Der Arbeitgeber, in diesem Fall ein Landkreis, hatte dem Kläger zwar die Aussicht auf ein Vorstellungsgespräch gegeben, ihm jedoch gleichzeitig mitgeteilt, dass seine Bewerbung geringe nur Erfolgsaussichten habe, weil eine Schwerbehinderung vorliegt.
Welche Folgen hat eine “abschreckende” Einladung?
Der Hinweis auf die angeblich geringen Erfolgsaussichten der Bewerbung wirkte im konkreten Fall abschreckend auf den Kläger. Der schwerbehinderte Bewerber, dem ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 zuerkannt worden war, entschied sich deshalb, nicht auf die Einladung zu reagieren und das Vorstellungsgespräch nicht wahrzunehmen.
Die Reaktion ist vor allem für Betroffene nachvollziehbar, denn durch die zusätzliche Information des Arbeitgebers, dass seine Bewerbung kaum Aussicht auf Erfolg habe, wurde der Bewerber indirekt entmutigt, sich weiter um die Stelle zu bemühen.
Welche Rolle spielt die Rechtsprechung?
Sowohl das Arbeitsgericht Pforzheim als auch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg werteten diese Art der Einladung als diskriminierend.
Nach § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) besteht die Vermutung der Benachteiligung aufgrund der Behinderung, wenn ein öffentlicher Arbeitgeber seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Einladung zwar formal nachkommt, dem Bewerber aber gleichzeitig die Erfolglosigkeit in Aussicht stellt.
Diese Vorgehensweise wurde als klarer Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot bewertet, da der Arbeitgeber den Kläger von vornherein als chancenlos betrachtete, ohne ihn in einem persönlichen Gespräch ernsthaft zu prüfen.
Wie argumentierte das Landesarbeitsgericht?
Das LAG Baden-Württemberg stellte in seinem Urteil (Az.: 1 Sa 13/14) fest, dass der öffentliche Arbeitgeber seine Pflichten nach § 82 SGB IX nicht erfüllt hat.
Zwar war dem Arbeitgeber bewusst, dass der Kläger aufgrund seiner Englischkenntnisse wesentliche Anforderungen für die ausgeschriebene Stelle nicht erfüllte.
Trotzdem hätte der Kläger die Chance erhalten müssen, sich in einem Vorstellungsgespräch zu präsentieren. Durch den Hinweis auf die geringen Erfolgsaussichten wurde ihm jedoch signalisiert, dass das Gespräch lediglich eine Formsache sei und keine realen Chancen auf die Stelle bestünden. Diese Haltung widerspricht der Gesetzesregelung, das darauf abzielt, schwerbehinderten Menschen echte Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Fall?
Der schwerbehinderte Kläger fühlte sich durch das Verhalten des Arbeitgebers diskriminiert und forderte vor dem Arbeitsgericht Pforzheim eine Entschädigung in Höhe von 2.500 Euro.
Das Gericht gab seiner Klage statt, und das Landesarbeitsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Begründung lautete, dass der Arbeitgeber den Kläger aufgrund seiner Behinderung benachteiligt habe und dadurch gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoßen habe. Der Arbeitgeber hätte die Bewerbung des Klägers objektiv prüfen und ihn nicht vorab als chancenlos abstempeln dürfen.
Welche Lehren können Arbeitgeber aus diesem Urteil ziehen?
Das Urteil des LAG Baden-Württemberg zeigt, dass Arbeitgeber nicht nur formal, sondern auch inhaltlich ihren Pflichten nachkommen müssen.
Die bloße Einladung zu einem Vorstellungsgespräch reicht nicht aus, wenn sie mit Hinweisen verbunden ist, die die Erfolgsaussichten des Bewerbers von vornherein negieren. Öffentliche Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, dass sie durch solches Verhalten nicht nur gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen, sondern auch das Vertrauen in die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt erschüttern.
Die Entscheidung stärkt die Rechte schwerbehinderter Menschen und zeigt auf, dass Diskriminierung in Bewerbungsverfahren nicht toleriert wird. Arbeitgeber müssen sich darauf einstellen, dass betroffene Bewerber ihre Rechte vor Gericht erfolgreich durchsetzen können.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht, Gesundheitsprävention sowie bei gesellschaftspolitischen Themen. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und engagiert sich politisch für Armutsbetroffene.