Kann eine Witwenrente auch bezogen werden, wenn der geschiedene Ex-Partner verstirbt? Folgende Anfrage erhielten wir: Eine Frau, 1978 verheiratet, zwei Kinder, im Jahr 2000 geschieden. Als der frรผhere Ehemann im Oktober 2021 stirbt, stellt sich die Frage, ob der langjรคhrigen Partnerin aus erster Ehe eine Witwenrente zusteht. Wie ist die Rechtslage? Das erklรคren wir.
Groรzรผgige Regeln fiel weg
Bis 1977 erhielten auch geschiedene Frauen oder Mรคnner eine sogenannte Geschiedenen-Witwen- oder -Witwerrente, solange sie nicht wieder verheiratet waren. Diese groรzรผgige Regelung war ein รberbleibsel aus einer Zeit, in der Ehepartner โ meist Frauen โ typischerweise aus dem Erwerbsleben ausschieden, um Haushalt und Kinder zu versorgen. Mit der groรen Rentenreform 1977 รคnderte sich das System radikal.
Der Versorgungsausgleich wurde eingefรผhrt: Die wรคhrend der Ehe erworbenen Rentenanwartschaften werden seither bei der Scheidung aufgeteilt und jedem Ehegatten anteilig gutgeschrieben.
Als Ausgleich dafรผr entfiel der dauerhafte Anspruch auf geschiedenen Witwenrente fรผr alle Scheidungen ab dem 1. Juli 1977. Fรผr รคltere Scheidungen blieb ein Bestandsschutz erhalten, der heute im ยง 243 SGB VI geregelt ist.
ยง 243 SGB VI: Enges Zeitfenster fรผr die โgeschiedene Witwenrenteโ
Der Wortlaut des ยง 243 SGB VI ist eindeutig: Nur wer vor dem 1. Juli 1977 geschieden wurde, kann im Todesfall des frรผheren Partners noch eine kleine oder groรe Witwen- beziehungsweise Witwerrente erhalten, sofern keine erneute Heirat erfolgt ist.
Auf alle spรคter Geschiedenen erstreckt sich diese Regelung nicht. Die Klรคgerin in dem eingangs geschilderten Fall hat sich zwar lange um Familie und Betrieb gekรผmmert, ihr Scheidungsdatum โ 22. Mai 2000 โ liegt jedoch deutlich nach dem Stichtag, sodass ein Rentenanspruch aus dieser Vorschrift ausgeschlossen ist.
Die Erziehungsrente des ยง 47 SGB VI โ das unbekannte Hilfsnetz
Viele Betroffene wissen nicht, dass es neben der Witwen- und Witwerrente noch eine weitere Rente wegen Todes gibt: die Erziehungsrente. Sie richtet sich speziell an geschiedene Eltern. Voraussetzung ist, dass der verstorbene Ex-Partner nach dem 30. Juni 1977 geschieden war, dass der zurรผckbleibende Elternteil ein eigenes Kind oder ein Kind des Verstorbenen erzieht, nicht wieder geheiratet hat und die allgemeine fรผnfjรคhrige Wartezeit erfรผllt.
Die Leistungen entsprechen im Wesentlichen der Erwerbsminderungsrente des Verstorbenen und laufen lรคngstens bis zur Regelaltersgrenze. Im besagten Fall scheitert dieser Anspruch daran, dass die Kinder mittlerweile erwachsen sind; eine laufende Erziehung liegt nicht mehr vor.
Warum die Antragstellerin dennoch leer ausgeht
Rechtlich ist das Ergebnis zwingend: Die 2000 geschiedene Frau fรคllt weder unter die geschiedenen Witwen- bzw. Witwerrente noch erfรผllt sie die Tatbestandsvoraussetzungen der Erziehungsrente. Weder ยง 243 noch ยง 47 SGB VI greifen.
Dass sie jahrzehntelang familiรคre Care-Arbeit geleistet hat, รคndert nichts, weil der Gesetzgeber diese Zeiten schon im Versorgungsausgleich berรผcksichtigt hat. Mit der Scheidung wurden ihr Rentenanwartschaften des frรผheren Ehemannes รผbertragen; der Hinterbliebenenschutz entfiel zugleich.
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Handlungsspielrรคume und Alternativen
Betroffene, die sich in รคhnlicher Situation befinden, sollten dennoch nicht vorschnell aufgeben. In einigen Fรคllen lassen sich Versorgungslรผcken mildern, etwa durch eine eigenstรคndige Altersrente bei genรผgender Versicherungszeit, durch Kindererziehungszeiten oder durch freiwillige Nachzahlungen, sofern die Fristen noch offen sind.
Wichtig ist eine frรผhzeitige Rentenauskunft, um mรถgliche Lรผcken zu erkennen und gegebenenfalls mit freiwilligen Beitrรคgen oder dem Aufschub des Rentenbeginns gegenzusteuern. Eine fachkundige Beratung hilft, auch selten genutzte Mรถglichkeiten wie die Anrechnung von Ersatzzeiten oder den Ausgleich von Abschlรคgen zu prรผfen.
Reformbedarf bleibt
Fachverbรคnde und Sozialgerichtsbarkeit diskutieren seit Jahren, ob der Hinterbliebenenschutz nach Scheidungen gerechter gestaltet werden muss. Immer mehr Ehen enden, wรคhrend klassische Familienmodelle mit Alleinversorger weiter abnehmen. Modellrechnungen des Bundesrechnungshofs zeigen jedoch, dass eine Wiedereinfรผhrung der geschiedenen Witwenrente erhebliche Kosten verursachen wรผrde und rechtspolitisch umstritten ist.
Vorstellbar wรคre langfristig eine Ausweitung der Erziehungsrente, etwa durch flexiblere Definitionen von Kindererziehung oder Pflegezeiten, doch konkrete Gesetzesinitiativen liegen derzeit nicht vor.
Fazit
Der Fall zeigt, wie eng das Zeitfenster fรผr eine geschiedenen Witwen- oder Witwerrente und wie restriktiv die Voraussetzungen der Erziehungsrente sind. Wer zwischen 1977 und heute geschieden wurde, hat in aller Regel keinen Anspruch mehr auf klassische Hinterbliebenenrenten, es sei denn, die Bedingungen des ยง 47 SGB VI sind erfรผllt.
Das Beispiel zeigt zudem, wie wichtig es ist, die rentenrechtlichen Konsequenzen einer Scheidung frรผhzeitig zu kennen.