Schwerbehinderung: Steuer statt nur Pauschbetrag – Dann lohnen sich Einzelnachweise mehr

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Der Behinderten-Pauschbetrag ist für viele Menschen mit Schwerbehinderung der naheliegende Weg: ein Betrag, ein Kreuz, fertig. Genau darin liegt ein Risiko, denn in manchen Jahren bildet dieser Pauschbetrag die tatsächliche Belastung nicht mehr ab.

Wenn hohe Eigenanteile für Hilfsmittel anfallen, sich Arzt- und Therapiefahrten häufen, ein notwendiger Umbau umgesetzt wird oder eine Haushaltshilfe bezahlt werden muss, kann der Einzelnachweis die bessere Strategie sein.

Entscheidend ist jedoch die Steuerwirkung: Nur wenn die Kosten lückenlos nachweisbar sind und nach Abzug der zumutbaren Belastung noch genügend abziehbarer Betrag übrig bleibt, lässt sich der Pauschbetrag wirklich übertreffen.

Der Kern: Einzelnachweise wirken erst hinter der „Zumutbar-Hürde“

Beim Pauschbetrag gibt es einen festen Abzug – ohne Belege. Bei Einzelnachweisen werden tatsächliche Aufwendungen meist als außergewöhnliche Belastungen angesetzt. Die Steuerersparnis entsteht jedoch in vielen Fällen erst oberhalb der zumutbaren Belastung.

Das ist der zentrale Grund, warum Einzelnachweise trotz hoher Rechnungen häufig enttäuschen: Ein Teil der Kosten bleibt steuerlich wirkungslos, weil er als „zumutbar“ gilt.

Die praktische Frage lautet deshalb nicht: „Wie viel habe ich gezahlt?“, sondern: „Wie viel bleibt nach der Zumutbar-Hürde übrig – und ist dieser Betrag höher als mein Pauschbetrag?“

Sofort verständlich: zwei Mini-Rechenbeispiele aus der Praxislogik

Damit die Entscheidung nicht theoretisch bleibt, hilft ein kurzer Realitätscheck mit einfachen Zahlen. Es geht hier nicht um eine perfekte Steuerberechnung, sondern um die Mechanik.

Beispiel 1: Einzelnachweise lohnen sich (typisches Umbau-/Hilfsmittel-Jahr)
Anerkennungsfähige Kosten: 5.200 € (Hilfsmittel + Therapiefahrten + Zuzahlungen)
Zumutbare Belastung (vereinfachtes Beispiel): 1.800 €
Steuerlich wirksam: 3.400 €
Wenn der Pauschbetrag im selben Jahr z. B. 1.140 € beträgt, ist der Abstand deutlich: 3.400 € „wirksamer“ Abzug statt 1.140 € Pauschbetrag. In so einem Jahr kippt es häufig Richtung Einzelnachweise, sofern die Nachweise sauber sind.

Beispiel 2: Pauschbetrag bleibt stärker (oder mindestens sicherer)
Anerkennungsfähige Kosten: 3.000 €
Zumutbare Belastung (Beispiel): 2.200 €
Steuerlich wirksam: 800 €
Wenn der Pauschbetrag höher liegt als 800 €, ist der Pauschbetrag in der Regel die bessere Wahl – und vor allem die risikoärmere, weil nicht jeder Einzelposten streitfrei anerkannt wird.

Der entscheidende Punkt ist: Wer nur „Gesamtsumme der Rechnungen“ betrachtet, überschätzt die Wirkung von Einzelnachweisen fast immer.

Der schnelle Entscheidungsrahmen für die Steuererklärung

Prüfpunkt Worauf es ankommt
1. Pauschbetrag als Messlatte Wie hoch ist der Pauschbetrag im eigenen Fall (GdB/Merkzeichen)?
2. Kosten realistisch filtern Nur behinderungs- bzw. krankheitsbedingt veranlasste und grundsätzlich abziehbare Posten zählen. Erstattungen (Kasse/Versicherung/Zuschüsse) gehören abgezogen.
3. Zumutbare Belastung mitdenken Erst der Teil oberhalb dieser Schwelle bringt typischerweise steuerliche Wirkung – und muss den Pauschbetrag übertreffen, damit es sich „wirklich lohnt“.

Wann Einzelnachweise typischerweise gewinnen

Einzelnachweise sind besonders oft vorn, wenn mehrere große Kostenblöcke zusammentreffen und die Dokumentation stimmt.

Hilfsmittel und Behandlungen: hier entscheidet nicht der Betrag, sondern der Nachweis

Bei vielen gesundheits- und hilfsmittelbezogenen Kosten scheitert die Anerkennung nicht daran, dass es „zu teuer“ wäre, sondern daran, dass der formale Nachweis fehlt oder zu spät beschafft wurde.

Für bestimmte Maßnahmen verlangt das Steuerrecht spezifische Nachweise (z. B. Verordnungen; in einzelnen Konstellationen auch qualifizierte Bescheinigungen), und in der Praxis ist es wichtig, dass diese Unterlagen zeitlich zur Maßnahme passen.

Wer erst nach dem Kauf oder nach Beginn der Behandlung „irgendwas besorgt“, liefert dem Finanzamt den Hebel, die Kosten als nicht ausreichend nachgewiesen einzuordnen.

Umbauten: nur dann stark, wenn medizinische Notwendigkeit und Leistungsbild klar sind

Umbauten sind ein typischer „Kipp-Punkt“, weil hier schnell mehrere tausend Euro zusammenkommen. Gleichzeitig sind Umbau-Rechnungen eine Ablehnungsfalle, wenn sie wie allgemeine Modernisierung wirken.

Entscheidend ist, dass die Notwendigkeit nachvollziehbar ist (warum genau dieser Umbau erforderlich ist) und die Rechnung konkret beschreibt, was gemacht wurde. Je besser der Zusammenhang dokumentiert ist, desto weniger Angriffsfläche bleibt für die Einordnung als bloße Wohnwertverbesserung.

Haushaltshilfen und Handwerker: häufig ist § 35a der bessere Weg als § 33

Viele rechnen Haushaltshilfen automatisch unter „außergewöhnliche Belastung“. In der Praxis ist jedoch oft die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen (§ 35a EStG) interessanter, weil sie direkt an der Steuer ansetzt und nicht erst „hinter“ der zumutbaren Belastung beginnt.

Die Kehrseite ist formal, aber hart: Rechnung und unbare Zahlung sind hier der Prüfstein. Barzahlung ist in der Praxis der häufigste Grund, warum dieser Vorteil verloren geht.

Fahrten: warum hohe Kilometer allein selten reichen

Fahrten sind ein häufiger Anlass, „auf Einzelnachweise zu wechseln“, aber genau hier entstehen die meisten Fehleinschätzungen. Es gibt für behinderungsbedingte Fahrten in vielen Fällen Pauschalen, die verwaltungsseitig als Standardspur gedacht sind; wer darüber hinaus „das Auto komplett“ mit tatsächlichen Kosten absetzen will, trifft schnell auf Begrenzungen und Diskussionen.

In der Praxis sind Fahrten deshalb selten der alleinige Grund, um den Pauschbetrag zu verlassen – sie werden eher dann relevant, wenn ohnehin schon große Posten (Hilfsmittel/Umbau/Haushalt) im selben Jahr anfallen und die Schwelle zur Wirksamkeit klar überschritten wird.

So sortiert man Belege, damit das Finanzamt sie nicht „wegwischt“

Der häufigste Fehler ist nicht „zu wenig“, sondern „zu unscharf“: Rechnung ohne eindeutigen Leistungsinhalt, Zahlung nicht nachweisbar, Erstattung nicht gegengerechnet, medizinische Veranlassung nicht erkennbar. Wer Einzelnachweise nutzen will, sollte pro größerem Posten ein kleines, geschlossenes Belegpaket bauen, das in sich stimmt.

Belegpaket pro Maßnahme Was darin enthalten sein sollte
1. Anlass/Notwendigkeit Verordnung, Bescheinigung oder kurze ärztliche Einordnung – passend zur Maßnahme und zeitlich sauber.
2. Rechnung Konkrete Leistungsbeschreibung (nicht „Pauschal-Sanierung“), bei Handwerk idealerweise nachvollziehbar getrennt nach Arbeits- und Materialanteilen.
3. Zahlung Kontoauszug/Überweisung, bei § 35a zwingend unbar.
4. Erstattungen Kassen- oder Versicherungsanteile, Zuschüsse, Beihilfe – alles, was den Eigenanteil mindert.
5. Kurznotiz (2–3 Sätze) Wofür genau war es erforderlich, wie hängt es mit der Behinderung/Krankheit zusammen, welcher Zeitraum?

Wer diese Logik einmal als Standard setzt, reduziert Rückfragen massiv – und verhindert, dass Positionen aus formalen Gründen gestrichen werden, obwohl sie inhaltlich nachvollziehbar wären.

Wichtig für die Praxis: Es ist nicht immer „alles oder nichts“

Der Pauschbetrag ist die solide Basis, aber es gibt Konstellationen, in denen zusätzlich außergewöhnliche Kosten relevant werden, oder in denen bestimmte Posten sinnvoller über § 35a laufen.

Entscheidend ist, sauber zu trennen und nicht doppelt anzusetzen. Sobald klar ist, welche Schiene (Pauschbetrag, § 33, § 35a) für welchen Kostenblock genutzt wird, wird die Steuererklärung zugleich einfacher und belastbarer.

FAQ

Woran erkennt man am schnellsten, dass Einzelnachweise sich nicht lohnen?
Wenn nach einem groben Überschlag der zumutbaren Belastung nur ein kleiner Rest übrig bleibt, der den Pauschbetrag nicht übertrifft, ist der Pauschbetrag meist die bessere Wahl.

Welche Posten kippen die Rechnung am häufigsten zugunsten von Einzelnachweisen?
Hohe Eigenanteile bei Hilfsmitteln, medizinisch begründete Umbauten und größere, sauber abgerechnete Unterstützungsleistungen im Haushalt – besonders, wenn mehrere dieser Blöcke im selben Jahr zusammenkommen.

Was ist der häufigste Ablehnungsgrund bei Einzelnachweisen?
Formale Brüche: fehlender oder unpassender Nachweis der medizinischen Veranlassung, unklare Rechnungen, fehlende Zahlungsbelege oder nicht berücksichtigte Erstattungen.

Warum ist § 35a bei Haushalt/Handwerk oft so attraktiv?
Weil er häufig unabhängig von der zumutbaren Belastung wirkt – allerdings nur, wenn Rechnung und unbare Zahlung lückenlos nachweisbar sind.

Quellen

  • Einkommensteuergesetz (EStG), insbesondere § 33, § 33b, § 35a
  • Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV), insbesondere Nachweisregelungen für Krankheitskosten
  • Lohnsteuer-Richtlinien/Lohnsteuer-Hinweise (aktuelle Fassung) zu Behinderten-Pauschbetrag und behinderungsbedingten Aufwendungen