Erwerbsminderungsrente: Reihenfolge entscheidet über die Höhe der EM-Rente

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Die Reihenfolge im Versicherungsverlauf verändert oft in fataler Weise die Erwerbsminderungsrente. Viele Versicherte erwarten eine nachvollziehbare Berechnung ihrer Erwerbsminderungsrente. Doch die Höhe der Rente hängt nicht nur von der Anzahl der Beitragsjahre ab.

Späte Niedriglöhne senken die Rente

Entscheidend wirkt die Reihenfolge einzelner Beschäftigungsphasen – etwa Minijobs, Teilzeit oder Zeiten der Arbeitslosigkeit. Die Deutsche Rentenversicherung bewertet diesen Verlauf über Durchschnittswerte, die sich durch späte Niedriglöhne, Minijobs oder Lücken massiv verschieben. Diese Logik bleibt für viele Betroffene unsichtbar, obwohl er hunderte Euro pro Monat kosten kann.

Reihenfolge-Effekt: Minijob, Teilzeit und Arbeitslosigkeit

Die DRV setzt jedes Jahr des Versicherungsverlaufs in Relation zum gesamten Erwerbsleben. Niedrigverdienst am Ende drückt die Rentenpunkte deutlich stärker als dieselbe Phase am Anfang. Teilzeitphasen verlieren an Wirkung, wenn zuvor Arbeitslosigkeit den Verlauf geprägt hat.

Selbst gesetzlich positiv bewertete Erziehungszeiten tragen nur dann zu einer höheren Erwerbsminderungsrente bei, wenn spätere Niedriglohnphasen diesen Effekt nicht wieder zunichtemachen. Wer diese Wechselwirkung nicht kennt, versteht den Bescheid oft nicht – und erhält eine Rente, die weit unter den Erwartungen bleibt.

Drastische Auswirkungen auf den Durchschnitt

Die Rentenhöhe ergibt sich aus allen erzielten Rentenpunkten, geteilt durch die gesamte Versicherungszeit. Ein spätes Jahr mit Minijob oder stark reduziertem Einkommen kann den über Jahrzehnte aufgebauten Durchschnitt schlagartig nach unten ziehen.

Frühere Hochlohnphasen schützen nicht zuverlässig, wenn der Versicherungsverlauf später abflacht. Damit entsteht ein Effekt, der vielen erst bewusst wird, wenn der EM-Bescheid auf dem Tisch liegt – zu spät für eine Korrektur.

Praxisbeispiel 1: Minijob vor der Erwerbsminderung – und der Rentenwert bricht ein

Sabine arbeitete 25 Jahre Vollzeit, ehe sie kurz vor ihrer Erkrankung in einen Minijob wechselte. Die DRV bewertete diese späte Niedrigverdienstphase als besonders rentenmindernd und senkte ihren Durchschnitt spürbar. Ihre Erwerbsminderungsrente fällt rund 180 Euro monatlich niedriger aus – obwohl sie fast ihr gesamtes Leben Vollzeit gearbeitet hat.

Praxisbeispiel 2: Arbeitslosigkeit schwächt spätere Teilzeitjahre

Mehmet sammelte viele Jahre Teilzeitpunkte, bevor ihn zwei Jahre Arbeitslosigkeit trafen. Nach seiner Erkrankung beantragte er EM-Rente. Die DRV stufte seine Teilzeitjahre als zu schwach ein, um den vorherigen Arbeitslosigkeitszeitraum auszugleichen. Die Folge: eine überraschend niedrige Rente, obwohl alle Zeiten korrekt erfasst wurden.

Praxisbeispiel 3: Erziehungszeiten verpuffen durch Niedriglohnphasen

Julia profitierte eigentlich von rentensteigernden Kindererziehungszeiten. Doch ihre späteren Niedriglohnbeschäftigungen verwischten den Vorteil vollständig. Der Versicherungsverlauf sank rechnerisch ab – und damit auch ihre Erwerbsminderungsrente, obwohl die Erziehungszeiten gesetzlich aufwerten sollen.

Warum die Rentenversicherung dieses Problem kaum anspricht

Die DRV erklärt die Berechnungsformeln zwar korrekt, aber sie beleuchtet die praktischen Auswirkungen kaum. Versicherte verstehen daher nicht, welche Phasen besonders rentensensibel sind. In Beratungen zeigt sich immer wieder: Ein einziges falsch platziertes Niedrigverdienstjahr reicht aus, um die EM-Rente dauerhaft zu mindern. Mehr Transparenz würde viele Betroffene vor Rentenverlusten schützen.

So können Sie gegensteuern

Sie können zumindest dann gegensteuern, wenn falsche Dokumentationen oder lückenhafte Nachweise Ihre Rentenberechnung nach unten drücken. Dazu ein praktisches Beispiel.

Thomas ist 48, seit längerer Zeit krankgeschrieben und ahnt, dass eine Erwerbsminderungsrente irgendwann notwendig werden könnte. In seinem Versicherungsverlauf fehlen mehrere Monate aus einer früheren Beschäftigung, außerdem sind zwei Minijob-Jahre nicht als „rentenrechtlich relevant“ bewertet, obwohl der Arbeitgeber Beiträge gezahlt hat. Gleichzeitig wusste Thomas nicht, dass er seine Reha früher hätte abbrechen dürfen, weshalb er Zeiträume falsch dokumentiert bekam.

Schritt 1: Versicherungsverlauf bei der DRV anfordern und prüfen

Thomas beantragt eine schriftliche Kontenklärung. Dabei erkennt er mehrere Lücken und falsch bewertete Zeiten. Jede fehlende oder zu niedrig bewertete Zeit senkt den Durchschnitt, aus dem die DRV seine spätere EM-Rente berechnet.

Schritt 2: Fehlende Beschäftigungszeiten nachweisen

Mit alten Lohnabrechnungen und einer Arbeitgeberbescheinigung weist Thomas nach, dass er in den angeblichen „Lücken“ tatsächlich pflichtversichert war. Die DRV korrigiert diese Monate – und seine Rentenpunkte steigen.

Schritt 3: Minijob-Beiträge richtig verbuchen lassen

Die DRV hatte zwei Minijob-Jahre versehentlich nicht als beitragspflichtig bewertet. Nach Vorlage der Entgeltmeldungen werden die Punkte nachträglich gutgeschrieben. Das stabilisiert seinen Durchschnitt spürbar, weil Niedrigverdienstjahre nun zumindest bewertet werden und nicht als „Nullpunkte“ einbrechen.

Schritt 4: Reha-Bericht korrigieren lassen

Der unzutreffende Reha-Bericht hätte die DRV im späteren EM-Verfahren dazu verleitet, seine Leistungsfähigkeit zu überschätzen. Thomas legte eine Patientenstellungnahme und Arztberichte vor, sodass die DRV den Reha-Befund korrigiert im Datensatz hinterlegt. Dadurch sinkt das Risiko einer Ablehnung, und die „Zurechnungszeit“ wird realistischer bewertet.

Ergebnis: Durch die Korrekturen steigt Thomas’ prognostizierte EM-Rente um rund 120 Euro im Monat. Ohne diese Prüfung hätte der fehlerhafte Versicherungsverlauf die Rente dauerhaft gedrückt.

Wie das frühe Ende eines Minijobs den Rentendurchschnitt stabilisiert

Auch einen Minijob rechtzeitig zu beenden, kann zu einer höheren Rente wegen Erwerbsminderung führen. Ein Beispiel aus der Praxis demonstriert dies.

Ausgangslage: Katrin ist 52 und kämpft seit Monaten mit chronischen Rückenproblemen und Fatigue-Symptomen. Sie arbeitet nur noch in einem Minijob, weil sie die frühere Teilzeitstelle aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr schafft. Ihre Ärztin deutet an, dass eine Erwerbsminderungsrente in den nächsten ein bis zwei Jahren möglich sein könnte. Katrin ahnt nicht, welchen Einfluss dieser Minijob auf ihre spätere Rentenhöhe hat.

Was ist in diesem Fall das Problem?

Minijobs erzeugen extrem niedrige Rentenpunkte. Stehen diese Punkte zeitlich kurz vor dem Eintritt einer Erwerbsminderung, wirken sie besonders stark auf den Durchschnitt. Die DRV gewichtet spätere Jahre höher, weil sie näher am Leistungsfall liegen.

Wenn Katrin den Minijob fortsetzt, fließen weitere Monate mit nahezu null Rentenpunkten in den Versicherungsverlauf ein – genau in der sensibelsten Phase vor dem möglichen EM-Antrag. Diese zusätzliche Niedrigverdienstphase könnte ihre spätere EM-Rente um 80 bis 150 Euro pro Monat drücken – dauerhaft.

Krankengeld gilt als Pflichtversicherung

Nach einer unabhängigen Beratung beendet sie den Minijob frühzeitig und meldet sich erneut arbeitsunfähig. Ihre Ärztin unterstützt den Schritt, weil die Minijob-Tätigkeit ihren Gesundheitszustand verschlechtert. Von nun an gilt der Zeitraum als Krankengeldphase – und diese wird als rentenrechtlich relevanter Durchschnittsverdienst bewertet, nicht als Null-Punkte-Monat.

Warum das wirkt? Krankengeldphasen zählen als pflichtversicherte Zeit und führen zu einer Bewertung, die sich am vorherigen Einkommen orientiert. Das stabilisiert den persönlichen Rentendurchschnitt. Katrin vermeidet damit weitere Niedrigrentenmonate, die ihre Erwerbsminderungsrente massiv gedrückt hätten.

110 Euro mehr durch rechtzeitige Beendigung

Weil sie den Minijob rechtzeitig beendet hat, rutscht ihr Durchschnitt nicht weiter ab. Die spätere Berechnung zeigt: Ihre Erwerbsminderungsrente liegt rund 110 Euro pro Monat höher, als sie mit fortgesetztem Minijob ausgefallen wäre. Der Schritt rettet ihr nicht nur den Rentenwert, sondern verschafft ihr auch ein stabileres EM-Verfahren, weil ihre gesundheitliche Leistungsfähigkeit klarer dokumentiert ist.

Was Betroffene unbedingt tun sollten

Wer gesundheitlich angeschlagen ist oder eine Erwerbsminderung befürchtet, sollte sofort den Versicherungsverlauf prüfen lassen. Frühzeitige Klärung von Lücken, unrichtigen Zeiten oder unnötigen Minijobphasen verhindert spätere Verluste. Jede ungünstige Reihenfolge wirkt direkt auf die Rentenpunkte – und damit auf die gesamte Erwerbsminderungsrente.

FAQ: Die fünf wichtigsten Fragen zur Reihenfolge im Versicherungsverlauf

Warum beeinflusst die Reihenfolge die Rentenhöhe?
Weil spätere Jahre stärker auf den persönlichen Durchschnitt wirken. Niedrigverdienst kurz vor der Erwerbsminderung drückt die Rentenpunkte besonders stark.

Wie stark kann ein einzelnes Jahr die EM-Rente senken?
Je nach Versicherungsverlauf 50 bis über 150 Euro monatlich – vor allem, wenn es als letztes Niedriglohnjahr vor dem Leistungsfall gilt.

Zählen Erziehungszeiten immer positiv?
Ja, aber spätere Niedriglohnbeschäftigungen können den rechnerischen Vorteil wieder aufheben.

Kann ich den Verlauf nachträglich verbessern?
Du kannst fehlerhafte Zeiten korrigieren und fehlende Versicherungsjahre klären lassen. Die Reihenfolge selbst bleibt, aber die Bewertung kann sich verbessern.

Wann lohnt sich Beratung besonders?
Sobald gesundheitliche Probleme auftreten oder ein EM-Antrag absehbar wird. Dann entscheidet jedes Jahr über die künftige Rente.

Fazit

Die Erwerbsminderungsrente fällt nicht zufällig niedrig aus. Sie reagiert empfindlich auf jede Phase des Versicherungsverlaufs – und besonders auf deren Reihenfolge. Viele unterschätzen, wie stark ein Minijob kurz vor der Erwerbsminderung die Rentenhöhe zerstört. Stehen Monate mit fast null Rentenpunkten direkt vor dem Leistungsfall, drücken sie den gesamten Durchschnitt spürbar nach unten.

Wer den Minijob rechtzeitig beendet und stattdessen in eine durchgängige Krankengeldphase wechselt, stabilisiert seinen Versicherungsverlauf sofort. Krankengeld zählt als voll bewertete Pflichtzeit und verhindert weitere Niedrigrentenmonate. Dieser Schritt rettet oft über hundert Euro monatliche EM-Rente – ganz ohne zusätzliche Beiträge.

Wer seine Biografie rechtzeitig überprüft, erkennt die Stellschrauben, die die Rentenpunkte stabilisieren oder zerstören. Nur so schützt man sich vor der Rentenlücke, die sonst erst im Bescheid sichtbar wird.