Wer in einer besonderen Wohnform der Eingliederungshilfe lebt, erhält kein Pflegegeld nach § 37 SGB XI, auch wenn ein Pflegegrad vorliegt.
Stattdessen gibt es nur die pauschale Beteiligung der Pflegekasse nach § 43a SGB XI, derzeit gedeckelt auf maximal 266 Euro pro Monat. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) im Verfahren B 3 P 9/22 R entschieden.
Die Richter stellten klar: Maßgeblich ist der Ort und die Struktur der Versorgung – nicht, wer die Leistungen bezahlt. Damit bleibt die Pauschalleistung auch dann begrenzt, wenn Betroffene die Eingliederungshilfe als Selbstzahler finanzieren.
Warum das Pflegegeld entfällt
Pflegegeld gibt es nur bei häuslicher Pflege. In besonderen Wohnformen nach § 71 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI liegt aber keine häusliche Pflege vor, weil dort eine Gesamtversorgung bereitsteht, die einer vollstationären Einrichtung weitgehend entspricht.
Das ergibt sich aus Gesetz und aus den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes: Entscheidend ist das vertraglich vereinbarte Leistungsangebot (Unterkunft, Verpflegung, Eingliederungshilfe, ggf. allgemeine Pflege), nicht die im Einzelfall tatsächlich abgerufene Leistung.
Gedeckelte Pauschale statt Pflegegeld
In besonderen Wohnformen beteiligt sich die Pflegekasse nach § 43a SGB XI pauschal an pflegebedingten Aufwendungen pflegegradunabhängig und monatsweise gedeckelt. Das BSG bekräftigt damit seine Linie: § 43a ist ein Individualanspruch, aber eben begrenzt; er ersetzt das Pflegegeld nicht und wird nicht auf Pflegegeldhöhe „hochgezogen“.
Für Selbstzahler ändert sich daran nichts: Auch sie „erhalten“ Leistungen der Eingliederungshilfe im rechtlichen Sinn – nur ohne Kostenübernahme des Sozialhilfeträgers.
Verfassungsmäßigkeit: Keine Besserstellung für Selbstzahler
Der gesetzliche „Deckel“ verstößt nach Auffassung des BSG nicht gegen das Grundgesetz. Der Gesetzgeber darf Leistungen der Pflegeversicherung ortsspezifisch ausgestalten und die Schnittstelle zur Eingliederungshilfe eigenständig regeln.
Eine Sonderbehandlung von Selbstzahlern ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Wer pflegeversicherungsrechtlich in einer besonderen Wohnform lebt, fällt daher nicht in die Pflegegeld-Systematik – unabhängig von Einkommen oder Vermögen.
Wichtige Ausnahme: Pflegegeld bei Abwesenheitstagen
Trotzdem kann es anteiliges Pflegegeld geben – und zwar für volle Tage, an denen die pflegebedürftige Person nicht in der besonderen Wohnform lebt, sondern häuslich gepflegt wird (inklusive An- und Abreisetag als volle Tage).
Das ergibt sich aus der Kombination von § 37 Abs. 2, § 38 Satz 5 und § 43a Satz 4 SGB XI. Für die Praxis bedeutet das: Wer etwa regelmäßig Wochenenden zu Hause verbringt und dort gepflegt wird, kann für diese Tage anteilig Pflegegeld beanspruchen.
Praktische Folgen für Betroffene und Angehörige
Für Bewohnerinnen und Bewohner besonderer Wohnformen – und ihre Angehörigen oder Betreuer – schafft das Urteil Planungssicherheit: In der Einrichtung ist mit der § 43a-Pauschale zu rechnen, nicht mit Pflegegeld.
Wer Pflegegeld nutzen möchte, benötigt eine Pflegesituation außerhalb der besonderen Wohnform. Bei Neu- oder Änderungsverträgen ist es daher sinnvoll, den Anwendungsbereich des Wohn- und Betreuungsvertrags (WBVG) und die Leistungs-/Vergütungsvereinbarungen genau zu prüfen, denn diese bestimmen, ob die Gesamtversorgung vorliegt und damit die Einordnung als besondere Wohnform greift.
Einordnung ins System
Die Entscheidung reiht sich in die bestehende Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe ein: Pflegeleistungen sind in besonderen Wohnformen Bestandteil der Eingliederungshilfe; die Pflegekasse beteiligt sich daran nur pauschal.
Diese Systementscheidung besteht seit Jahren und wurde vom BSG bereits in früheren Verfahren bestätigt. Neu ist hier die ausdrückliche Klarstellung für Selbstzahler und die erneute Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit der Deckelung.