Schwerbehinderten Pauschbetrag: Viele gehen unerwartet leer aus

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Der Behindertenpauschbetrag soll Menschen mit Behinderung steuerlich entlasten, indem er die typischen Mehrkosten pauschal abdeckt. In der Praxis zeigt sich jedoch immer wieder: Viele Berechtigte schöpfen die Möglichkeiten nicht aus, andere gehen trotz anerkannter Behinderung komplett leer aus.

Das liegt weniger an bösem Willen des Finanzamts, sondern an komplizierten Regeln, knappen Einkommen, technischen Hürden – und daran, dass zentrale Feinheiten kaum bekannt sind.

Behindertenpauschbetrag einfach erklärt: So funktioniert die Steuerentlastung

Der Behindertenpauschbetrag ist kein Zuschuss, der ausgezahlt wird, sondern ein Abzugsbetrag in der Einkommensteuer. Er mindert das zu versteuernde Einkommen, ähnlich wie Werbungskosten oder Sonderausgaben. Je höher der anerkannte Grad der Behinderung ist, desto größer fällt die Pauschale aus.

Sie reicht von einigen Hundert Euro im Jahr bei einem GdB von 20 bis zu knapp 3.000 Euro bei einem GdB von 100. Wer als hilflos gilt, blind oder taubblind ist oder einen hohen Pflegegrad hat, kann einen deutlich höheren Pauschbetrag geltend machen, der sich im mittleren vierstelligen Bereich bewegt.

Jahresprinzip: Warum ein später Bescheid trotzdem für das ganze Jahr gilt

Wichtig ist das Jahresprinzip: Der Pauschbetrag gilt immer für das gesamte Kalenderjahr, sobald die Behinderung für dieses Jahr festgestellt ist. Wird der Grad der Behinderung im Laufe des Jahres angehoben, gilt für das ganze Jahr der höhere Wert.

Das bedeutet: Selbst wenn der Feststellungsbescheid erst im November oder Dezember eintrifft, kann für alle zwölf Monate des Jahres der volle Betrag angesetzt werden – sofern Betroffene aktiv werden und den Pauschbetrag in ihrer Steuererklärung eintragen oder als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte hinterlegen lassen.

Anspruchsvoraussetzungen: Wann ein GdB wirklich steuerlich zählt

Wichtig für den Behindertenpauschbetrag ist der anerkannte Grad der Behinderung. Steuerlich relevant wird dieser erst ab einem GdB von 20. Die früheren Sonderbedingungen für niedrige Werte – etwa die „dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit“ – wurden abgeschafft. Heute genügt der im Bescheid des Versorgungsamtes oder der Unfallversicherung ausgewiesene GdB ab 20.

Merkzeichen und Pflegegrade: Höhere Beträge für besonders schwere Fälle

Anspruch besteht außerdem für Menschen, die als hilflos gelten, etwa mit Merkzeichen „H“ oder mit einem hohen Pflegegrad, ebenso für blinde oder taubblinde Menschen mit entsprechenden Merkzeichen. In diesen Fällen kommen besonders hohe Pauschbeträge in Betracht, die viele alltägliche Mehrkosten abdecken sollen, ohne dass jede einzelne Ausgabe nachgewiesen werden muss.

Behindertenpauschbetrag für Kinder: So profitieren Eltern steuerlich

Für Kinder mit Behinderung gilt der gleiche Maßstab wie für Erwachsene. Der Pauschbetrag steht zunächst dem Kind zu, kann aber auf die Eltern übertragen werden, wenn für das Kind Kindergeld oder Kinderfreibeträge gewährt werden.

Im Normalfall wird der Betrag zur Hälfte auf beide Eltern verteilt; auf gemeinsamen Antrag kann er aber in voller Höhe einem Elternteil zugeordnet werden – etwa demjenigen, der steuerlich mehr davon hat.

Gerade bei getrennt lebenden Eltern wird die automatische 50:50-Aufteilung schnell zur Falle: Hat ein Elternteil kaum oder keine steuerpflichtigen Einkünfte, vergeht ein Teil der Entlastung wirkungslos. Nur eine aktive Entscheidung der Eltern stellt sicher, dass der Pauschbetrag dort landet, wo er die Steuerlast tatsächlich senkt.

Pflegepauschbetrag und Behindertenpauschbetrag: Zwei Instrumente, die oft verwechselt werden

Eigenständig neben dem Behindertenpauschbetrag steht der Pflegepauschbetrag für Angehörige, die eine nahestehende Person unentgeltlich pflegen. Er setzt unter anderem einen anerkannten Pflegegrad voraus und bezieht sich auf die pflegende Person, nicht auf die behinderte oder pflegebedürftige Person.

In der Praxis werden Pflege- und Behindertenpauschbetrag häufig durcheinandergebracht. Das ist gefährlich, weil unterschiedliche Bedingungen gelten und Fehler dazu führen können, dass am Ende gar kein Pauschbetrag gewährt wird.

Antrag stellen: So kommt der Pauschbetrag in den Steuerbescheid

Der Behindertenpauschbetrag wird nicht von selbst berücksichtigt. Wer ihn nutzen möchte, muss aktiv werden – entweder über die jährliche Steuererklärung oder über einen Antrag auf Lohnsteuerermäßigung. In der Steuererklärung wird der Pauschbetrag im Abschnitt zu außergewöhnlichen Belastungen eingetragen.

Beim ersten Antrag verlangt das Finanzamt in der Regel einen Nachweis: entweder eine Kopie des Schwerbehindertenausweises oder des Feststellungsbescheids zum GdB.

In den Folgejahren genügt meist der Verweis auf den einmal vorgelegten Bescheid, solange sich daran nichts ändert oder der Bescheid nicht befristet war. Trotzdem lohnt sich ein Blick in die Unterlagen: Viele Betroffene gehen davon aus, dass der Pauschbetrag automatisch fortgeführt wird, obwohl der Bescheid zwischenzeitlich ausgelaufen ist oder die Befristung übersehen wurde.

Lohnsteuerermäßigung: Monatlich mehr Netto durch Freibetrag in den ELStAM

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich den Pauschbetrag auch als Freibetrag in den elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmalen eintragen lassen. Dann wirkt er sich bereits während des Jahres auf die monatliche Lohnsteuer aus und nicht erst über die Steuererstattung im Folgejahr.

Dafür ist ein gesonderter Antrag beim Finanzamt nötig, der rechtzeitig gestellt werden muss, damit der Freibetrag noch im laufenden Jahr berücksichtigt werden kann.

Elektronischer Datenaustausch ab 2026: Entlastung mit neuem Fehlerpotenzial

Ab 2026 ändert sich die Praxis beim Nachweis: Die Versorgungsämter sollen die Daten zum GdB elektronisch an die Finanzverwaltung übermitteln. Papiernachweise werden dann in vielen Fällen überflüssig, neue Bescheide sollen automatisiert beim Finanzamt ankommen. Auf den ersten Blick klingt das nach einer spürbaren Entlastung für Betroffene.

Gleichzeitig eröffnet die Automatisierung aber neue Fehlerquellen. Entscheidend ist, dass die steuerliche Identifikationsnummer korrekt beim Versorgungsamt hinterlegt ist. Stimmt sie nicht oder wird sie gar nicht gemeldet, kann die Finanzverwaltung die Daten nicht korrekt zuordnen.

Dann erscheint der Behindertenpauschbetrag schlicht nicht im Steuerbescheid oder in den ELStAM – und wer seine Unterlagen nicht kontrolliert, merkt es oft erst nach Jahren.

Typische Verlierergruppen: Wer beim Behindertenpauschbetrag leer ausgeht

Viele Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen gehen beim Behindertenpauschbetrag ungewollt leer aus, obwohl die formalen Voraussetzungen teilweise erfüllt wären.

Eine erste Gruppe sind Betroffene ohne festgestellten oder zu niedrig festgestelltem GdB. Chronische Erkrankungen, dauerhafte Schmerzen, psychische Leiden oder funktionelle Einschränkungen führen nicht automatisch zu einem Feststellungsbescheid.

Wer nie einen Antrag beim Versorgungsamt stellt, hat steuerlich keinen Anspruch – selbst dann, wenn die Belastung im Alltag erheblich ist. Ein weiterer Knackpunkt sind GdB-Bescheide mit einem Wert von 10; dieser spielt im Steuerrecht keine Rolle und bringt keinen Pauschbetrag.

Geringe Einkommen: Wenn die Steuerlast schon auf null steht

Die zweite Gruppe sind Menschen mit sehr niedrigen oder steuerfrei gestellten Einkommen. Der Behindertenpauschbetrag mindert zwar das zu versteuernde Einkommen, er bringt aber nur dann einen finanziellen Effekt, wenn überhaupt Einkommensteuer anfällt.

Liegt das Gesamteinkommen schon unterhalb des Grundfreibetrags, ist die Steuerlast ohnehin null – durch den Pauschbetrag kann sie nicht weiter sinken.

Besonders betroffen sind Rentnerinnen und Rentner mit kleinen Renten, Minijobber und Beschäftigte in sehr geringem Teilzeitumfang. Formal sind sie berechtigt, praktisch wird die steuerliche Entlastung jedoch nicht spürbar. Der Pauschbetrag bleibt damit ein „Papierrecht“, das die Lebensrealität vieler Betroffener kaum erreicht.

Getrennte Eltern mit behindertem Kind: Pauschbetrag falsch verteilt

Eine dritte Problemgruppe findet sich bei getrennt lebenden Eltern mit einem behinderten Kind. Ohne ausdrücklichen gemeinsamen Antrag wird der Behindertenpauschbetrag automatisch hälftig auf beide Elternteile verteilt. Hat ein Elternteil kaum oder gar keine steuerpflichtigen Einkünfte, verpufft sein Anteil wirkungslos.

Nur wenn beide Eltern schriftlich vereinbaren, den Pauschbetrag vollständig auf den besser verdienenden Elternteil zu übertragen, wird die vorhandene Entlastung voll ausgeschöpft. Dass diese Möglichkeit besteht, ist vielen Betroffenen nicht bekannt – und der Fiskus klärt darüber selten von sich aus auf.

Bürgergeld, Grundsicherung und Steuererstattung: Wenn das Jobcenter mitverdient

Hinzu kommen Empfänger von Bürgergeld oder Grundsicherung, die zwar eine Steuererstattung erhalten, davon aber kaum profitieren. Steuererstattungen werden im Leistungsrecht regelmäßig als Einkommen gewertet und auf die Leistungen angerechnet.

Das bedeutet: Ein Teil der entstehenden Steuerersparnis kann im Zuflussmonat wieder „aufgefressen“ werden, weil Jobcenter oder Sozialamt die Zahlung bei der Leistungsberechnung berücksichtigen. Die steuerliche Entlastung wird dann über das Sozialrecht teilweise neutralisiert.

Pauschbetrag oder tatsächliche Kosten: Welche Strategie sich wirklich lohnt

Der Behindertenpauschbetrag ist eine Vereinfachung: Wer ihn nutzt, muss seine krankheits- und behinderungsbedingten Mehrkosten nicht im Detail belegen. Gleichzeitig ist er ein Wahlrecht.

In vielen Fällen können Betroffene entscheiden, ob sie die Pauschale in Anspruch nehmen oder stattdessen sämtliche tatsächlichen Kosten als außergewöhnliche Belastungen geltend machen. Ein Doppelansatz ist ausgeschlossen.

Die Pauschale ist hauptsächlich dann vorteilhaft, wenn die laufenden Mehrkosten des Alltags eher im mittleren Bereich liegen und sich nur schwer nachweisen lassen – etwa zusätzliche Fahrtkosten, Medikamente, Kleidung, Alltagshilfen oder Umbauten in kleinerem Umfang.

In Fällen mit sehr hohen Ausgaben, wie etwa bei aufwendigen Umbaumaßnahmen, teuren Hilfsmitteln oder dauerhaften hohen Pflegeleistungen, kann es dagegen sinnvoll sein, die tatsächlichen Kosten anzusetzen.

Dabei ist zu beachten, dass auf diese Kosten noch eine „zumutbare Eigenbelastung“ angerechnet wird, die vom Einkommen abhängt. Wer hier falsch abwägt, verschenkt möglicherweise bares Geld.

Gerade für Menschen mit schwankenden oder hohen Gesundheitskosten kann es sich lohnen, gemeinsam mit einer Beratungsstelle oder einer steuerkundigen Person durchzurechnen, welcher Weg im konkreten Jahr die größere Steuerersparnis bringt.

Einmal getroffene Entscheidungen lassen sich im Rahmen der gesetzlichen Fristen über einen Änderungsantrag korrigieren, aber der Aufwand steigt, je mehr Jahre betroffen sind.