Abschlagsfreie Rente rückwirkend: Gericht verweist auf Beratungspflicht der Rentenversicherung

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Das Sozialgericht Karlsruhe zog eine klare Grenze. Die Rentenversicherung muss eine Altersrente rückwirkend zahlen, wenn sie neue Ansprüche nicht rechtzeitig erklärt. Im entschiedenen Fall erhält eine 1950 geborene Versicherte die abschlagsfreie Rente ab 1. Juli 2014 nachgezahlt. Sie war damals anspruchsberechtigt. Die Beratung im Jahr 2014 wies sie jedoch nicht auf die Reform hin. Das Gericht sah darin einen erheblichen Beratungsfehler mit finanziellen Folgen. (AZ: S 2 R 3648/15)

Kernpunkt: Pflicht zum aktiven Hinweis

Die Richter betonten die Hinweispflicht der Rentenversicherung. Die Behörde muss Versicherte aus eigenem Antrieb informieren, wenn Akten einen möglichen Anspruch zeigen. Das gilt vorwiegend nach Reformen mit neuen Leistungsrechten. Allgemeine Broschüren reichen dafür nicht aus. Erforderlich sind konkrete und individuelle Hinweise. Nur so können Betroffene ihr Recht fristgerecht sichern.

Warum die Nachzahlung möglich wurde

Die Klägerin erfüllte am 1. Juli 2014 die Voraussetzungen für die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren. Ihren Antrag stellte sie erst im Mai 2015. Normalerweise gilt das strenge Antragsprinzip. Die Rente beginnt erst mit dem Antragsmonat. Das Gericht wendete den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch an. Die unterlassene Information verursachte die Verspätung. Die Rente ist daher so zu zahlen, als wäre der Antrag rechtzeitig gestellt worden.

Was 2014 neu war: Rente ab 63 ohne Abschlag

Zum 1. Juli 2014 trat das RV-Leistungsverbesserungsgesetz in Kraft. Es führte die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte ein. Wer 45 Jahre Wartezeit erfüllt, kann seitdem früher ohne Abschläge in Rente gehen. Für frühe Jahrgänge lag die Altersgrenze bei 63 Jahren. Jüngere Jahrgänge erreichen die Grenze stufenweise später. Die Reform erweiterte den Kreis der Anspruchsberechtigten spürbar.

Freiwillige Beiträge zählen unter Bedingungen

Mit der Reform wurde die Anrechnung freiwilliger Beiträge erweitert. Voraussetzung ist eine ausreichende Zahl an Pflichtbeiträgen. Beiträge in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn zählen nicht, wenn gleichzeitig Zeiten der Arbeitslosigkeit bestehen. Diese Regeln verhinderten missbräuchliche Gestaltungen. Zugleich halfen sie Menschen, die zuvor knapp an der 45-Jahres-Grenze scheiterten. Viele erreichten durch freiwillige Beiträge nun die erforderliche Wartezeit.

EDV-gestützte Information ist zumutbar

Nach Auffassung des Gerichts musste die Rentenversicherung neu anspruchsberechtigte Personen anhand ihrer Daten erkennen. Eine EDV-gestützte Auswertung sei möglich und zumutbar. Die Behörde durfte sich nicht auf unklare Einzelfaktoren berufen. Die Hinweispflicht würde sonst leerlaufen. Wer nach Aktenlage offensichtlich die 45 Jahre erreicht, sollte zügig und individuell informiert werden. Diese Pflicht bestand hier und wurde verletzt.

Beitragszuschuss zur Krankenversicherung

Mit der rückwirkenden Rente entsteht auch ein Anspruch auf den Beitragszuschuss zur Krankenversicherung. Der Zuschuss betrifft freiwillig oder privat versicherte Rentner. Er orientiert sich an den tatsächlichen Aufwendungen und ist gesondert zu beantragen. Die Nachzahlung umfasst damit nicht nur die Rente. Auch der Zuschuss für die betroffene Zeit wird fällig. Das erhöht die Wirkung der Entscheidung deutlich.

Was Sie jetzt prüfen sollten

Prüfen Sie, ob Sie 2014 oder später durch eine Reform neu anspruchsberechtigt wurden. Wichtig ist vor allem die Rente für besonders langjährig Versicherte. Hatten Sie eine Beratung oder Rentenauskunft, in der der neue Anspruch fehlte, kann ein Herstellungsanspruch bestehen. Sichten Sie Ihre Unterlagen sorgfältig. Dazu zählen Beratungsprotokolle, Rentenauskünfte, Versicherungsverläufe und Jahresmeldungen. Notieren Sie Daten und Gesprächsinhalte möglichst genau.

So gehen Sie vor, wenn Sie betroffen sind

Fordern Sie einen aktuellen Versicherungsverlauf an. Prüfen Sie, ob die Wartezeit von 45 Jahren erreicht ist. Klären Sie, ob freiwillige Beiträge angerechnet werden können. Beachten Sie die Ausnahmen für die letzten zwei Jahre. Stellen Sie einen Überprüfungsantrag, wenn ältere Bescheide betroffen sind. Verweisen Sie auf die fehlende Beratung und den daraus folgenden Herstellungsanspruch. Beantragen Sie den Zuschuss zur Krankenversicherung, sofern keine Pflichtversicherung besteht.

Was das Urteil für andere bedeutet

Die Entscheidung zeigt: Fehlende Hinweise dürfen Versicherte nicht benachteiligen. Entsteht ein Anspruch durch eine Reform, muss die Rentenversicherung aktiv informieren. Unterbleibt dies, kann eine Nachzahlung möglich sein. Weitere Entscheidungen stärken diese Linie. Betroffene erhalten mehr Rechtssicherheit. Sie wissen, dass Beratungsfehler korrigierbar sind und nicht beim Einzelnen hängen bleiben.

Hintergrund: Wer zählt als „besonders langjährig“?

Als besonders langjährig gelten Versicherte mit 45 Jahren Wartezeit. Dazu zählen vor allem Pflichtbeiträge aus Beschäftigung. Kindererziehungszeiten und Pflegezeiten können hinzukommen. Zeiten des Arbeitslosengeldes können die Anrechnung in den letzten zwei Jahren einschränken. Seit 2014 werden freiwillige Beiträge unter Bedingungen einbezogen. Wer unsicher ist, sollte die Zeiten prüfen lassen und fehlende Nachweise nachreichen.

Zusammenfassung

Wenn Sie seit 2014 die 45 Jahre erfüllen und niemand auf den neuen Anspruch hingewiesen hat, lohnt sich eine Prüfung. Beratungspapiere und Rentenauskünfte sind zentral. Finden sich Lücken, kann ein Herstellungsanspruch die Rente rückwirkend sichern. Das gilt auch für den Zuschuss zur Krankenversicherung. Handeln Sie strukturiert, halten Sie Fristen ein und holen Sie unabhängige Hilfe. So sichern Sie Leistungen, die Ihnen rechtlich zustehen.