Jobcenter fluchen: Anwälte dürfen weiter Bürgergeld-Widersprüche kostenlos einreichen

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Die Auseinandersetzung zwischen der Kanzlei Rightmart und dem Jobcenter Bochum über die Erstattung von Anwaltskosten hat eine grundsätzliche Frage aufgeworfen: Dürfen Kanzleien sich den Kostenerstattungsanspruch ihrer Mandantinnen und Mandanten gegen das Jobcenter abtreten lassen – und ist eine solche Klausel in der Vollmacht überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB?

Nachdem das Sozialgericht Bremen und das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen die Praxis als unzulässig bewertet hatten, hob das Bundessozialgericht (BSG) diese Entscheidungen auf.

Zwar erfolgte die Aufhebung aus verfahrensrechtlichen Gründen; inhaltlich machten die Richterinnen und Richter jedoch deutlich, dass sie die Abtretungsklausel weder für ungewöhnlich noch für überraschend halten. Der Fall wurde zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.

Wie die Kanzlei arbeitet – und warum die Kostenerstattung sehr wichtig ist

Bevor die Kanzlei tätig wird, erteilen Mandantinnen und Mandanten eine Vollmacht. Darin ist eine Klausel enthalten, mit der der Anspruch gegen das Jobcenter auf Erstattung der Anwaltskosten an die Kanzlei abgetreten wird.

Das Modell verfolgt zwei Ziele: Zum einen soll der Zugang zum Recht für Bürgergeld-Beziehende gesichert werden, ohne dass ihnen Kosten entstehen. Zum anderen vereinfacht die Abtretung die Abwicklung, weil die Kanzlei die Kostenerstattung direkt gegenüber dem Jobcenter geltend machen kann.

Im Erfolgsfall zahlt das Jobcenter die entstandenen Gebühren; im Misserfolg greift die staatliche Kostentragung. Für die Bürgergeld-Bezieher entfällt damit die Notwendigkeit, nach einem erfolgreichen Widerspruch oder Verfahren noch einmal selbst mit der Behörde über die Begleichung der Anwaltskosten zu verhandeln.

Einwand des Jobcenters Bochum

Das Jobcenter Bochum sah in der Abtretungsklausel eine „überraschende Klausel“ im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB. Nach dieser Norm werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht Vertragsbestandteil, wenn sie so ungewöhnlich sind, dass die Vertragspartnerin oder der Vertragspartner nicht mit ihnen zu rechnen braucht. Die Behörde argumentierte, die Abtretung gehe über das Erwartbare hinaus und sei deshalb unwirksam.

In der Konsequenz verweigerte das Jobcenter die direkte Begleichung der Anwaltskosten gegenüber der Kanzlei.

Erste Instanzen auf Seiten der Behörde

Sowohl das Sozialgericht Bremen als auch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen folgten der Sichtweise des Jobcenters. Sie bewerteten die Klausel als unzulässig und gelangten so zu einer Ablehnung der unmittelbaren Kostenerstattung an die Kanzlei.

Für die Praxis hätte diese Linie erhebliche Folgen: Kanzleien müssten ihre Vergütung trotz erfolgreicher Vertretung zunächst bei den Mandantinnen und Mandanten geltend machen, die wiederum gegenüber den Behörden die Erstattung einfordern müssten – ein zusätzlicher bürokratischer Schritt mit realem Risiko von Verzögerungen.

Kurswechsel beim Bundessozialgericht

Das BSG hob die vorinstanzlichen Urteile auf. Maßgeblich war zwar ein Verfahrensfehler: Der ursprüngliche Mandant, dessen Widerspruchsverfahren den Streit ausgelöst hatte, war vor dem LSG nicht beigeladen worden. Diese unterlassene Beiladung verhinderte eine abschließende Entscheidung in der Sache und zwang zur Zurückverweisung.

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Gleichwohl ist die Begründung des BSG bemerkenswert. Nach Auffassung des Gerichts spricht vieles dafür, die Abtretungsklausel als wirksame und nicht überraschende Regelung zu verstehen.

Sie steht in engem Zusammenhang mit dem Mandat und dem Interesse der Mandantschaft, eine reibungslose Kostenerstattung zu gewährleisten. Das deutliche Signal: Was im Kern die Durchsetzung berechtigter Ansprüche erleichtert, ist nicht ohne Weiteres als „Überrumpelung“ in AGB zu qualifizieren.

Zurück an das LSG mit klarer Ansage

Mit der Zurückverweisung liegt der Ball nun wieder beim Landessozialgericht. Es muss den formellen Fehler heilen und den Mandanten ordnungsgemäß beiziehen. Inhaltlich sind die Leitplanken durch die Ausführungen des BSG abgesteckt.

Das LSG wird sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, warum eine im Mandatskontext klar formulierte Abtretungsklausel überraschend sein sollte, wenn sie doch dem erkennbaren Zweck dient, die Kostenerstattung unmittelbar und sachgerecht zu organisieren. Die Chancen stehen gut, dass die bisherige Linie korrigiert wird.

Bedeutung für Bürgergeld-Beziehende und die Rechtsschutzpraxis

Für Bürgergeld-Beziehende ist die Entscheidung ein wichtiges Signal. Sie zeigt, dass niedrigschwelliger Zugang zum Recht nicht an formalen Hürden scheitern muss. Wer einen rechtswidrigen Bescheid erhält, soll sachkundig widersprechen können, ohne Kostenrisiken und ohne weitere Belastungen in der Nachbearbeitung.

Für die Rechtsschutzpraxis ist das BSG-Votum ein Plädoyer für pragmatische, transparente Vertragsgestaltung. Eine ordentliche Aufklärung, eine klar formulierte Vollmacht und eine verständlich erläuterte Abtretung sind keine versteckten Fallstricke, sondern Instrumente, um berechtigte Ansprüche durchzusetzen.

Was Betroffene jetzt wissen sollten

Betroffene, die Widerspruch gegen Jobcenter-Bescheide einlegen, können sich weiterhin darauf verlassen, dass anwaltliche Unterstützung ohne eigenes Kostenrisiko möglich ist.

Entscheidend bleibt, dass die Vollmacht verständlich ist und die Abtretung offen kommuniziert wird.

Kanzleien, die die Erstattung unmittelbar gegenüber dem Jobcenter geltend machen, handeln nicht zum Nachteil, sondern gerade im Interesse ihrer Mandantschaft. Dass das BSG diesen Zusammenhang ausdrücklich betont, stärkt die Position derjenigen, die rechtliche Barrieren abbauen wollen.

Ausblick

Die endgültige Entscheidung liegt nach der Zurückverweisung beim LSG. Doch die Richtung ist gesetzt: Das Bundessozialgericht hat die vorinstanzlichen Urteile nicht nur aus formellen Gründen aufgehoben, sondern zugleich inhaltliche Maßstäbe formuliert. Sollte das LSG diese Linie aufgreifen, dürften die Fronten bei der Kostenerstattung bald geklärt sein.