Auch bei der Wiederheirat eines kranken Partners nach vorheriger Scheidung kann eine Versorgungsehe ausgeschlossen werden. Das gilt besonders, wenn die emotionale Verbundenheit zwischen Partnern erhalten bliebe und die Ehefrau zudem zum Zeitpunkt der Eheschließung von der objektiv lebensbedrohlichen Krebserkrankung des später Verstorbenen nichts wusste.
So urteilte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg und entschied zugunsten der Hinterbliebenen. (L 22 R 1045/10).
Inhaltsverzeichnis
Bereits vor Jahrzehnten geschieden
Die Betroffene und ihr verstorbener Ehemann waren erstmals von 1972 bis 1984 verheiratet gewesen. Im Juni 2008 heirateten sie erneut, und im August 2008 verstarb der Mann an Krebs. Die Witwe beantragte eine große Witwenrente.
Tödliche Folgen waren laut der Witwe nicht zu erwarten
Das Gericht fasst zusammen: „Sie gab an, die tödlichen Folgen der Krankheit seien bei Eheschließung nach ärztlicher Auffassung nicht zu erwarten gewesen. Die Heirat sei zur Sicherung der erforderlichen Betreuung/Pflege erfolgt. Sie fügte das Schreiben der Techniker Krankenkasse vom 23. Juli 2008 über die Bewilligung einer Arzneimitteltherapie außerhalb der zugelassenen Indikation und den an diese Krankenkasse gerichteten Bericht des Facharztes für Innere Medizin, Hämatologie und Internistische Onkologie Dr. M vom 9. Juni 2008 zur Kostenübernahme dieser Therapie bei.“
Die Rentenversicherung lehnte den Antrag ab.
Rechtsgrundlage: Bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr greift die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe (§ 46 Abs. 2a SGB VI). Diese Vermutung kann durch besondere Umstände des Einzelfalls widerlegt werden – maßgeblich ist eine Gesamtwürdigung aller inneren und äußeren Beweggründe für die Eheschließung.
Laut Rentenversicherung kannten die Eheleute die tödlichen Folgen des Krebses
Die Rentenversicherung argumentierte, laut Gericht: „Besondere Umstände, die die gesetzliche Vermutung einer sogenannten Versorgungsehe widerlegten, lägen nicht vor. In Anbetracht der Schwere der Erkrankung (inoperables Pankreaskarzinom, Lebermetastasen) bei drastischem Tumormarkeranstieg seit Mai 2008 seien die tödlichen Folgen der Erkrankung bei der erneuten Eheschließung sehr wohlbekannt gewesen. Anderweitige Motive, die auf einen von der Versorgungsabsicht abweichenden Beweggrund schließen ließen, seien nicht festzustellen gewesen.“
Kindererziehung war Grund für die Scheidung der ersten Ehe
Die Witwe legte Widerspruch ein und erklärte darin, Grund für die Scheidung der ersten Ehe seien unüberwindbare Probleme bei der Erziehung der beiden von ihr in die Ehe gebrachten Kinder gewesen. Nachdem diese erwachsen gewesen seien, seien der Geschiedene und sie sich wieder näher gekommen und sie hätten sich bereits im Jahr vor ihrer Hochzeit entschlossen, wieder zu heiraten.
Hoffnung auf Chemotherapie
Im Januar 2008 sei der Mann in die Klinik gekommen, und kurz darauf sei Krebs diagnostiziert worden. Nach der Entfernung der Milz und eines Teiles der Bauchspeicheldrüse sei eine Besserung eingetreten. Die Ärzte hätten gesagt, ein solcher Krebs könne selten operiert werden. Da dies bei Ihrem Mann jedoch der Fall gewesen sei, hätten sie Hoffnung geschöpft und wären darin bestärkt worden, dass der Krebs mit einer Chemotherapie überwunden werden könne.
Im Verlauf der Chemotherapie hätte für sie nicht der geringste Anlass bestanden, an einen so dramatischen Verlauf der Krankheit zu denken. Daran hätte sich auch zum Zeitpunkt der Hochzeit nichts geändert. Erst Anfang August 2008, also nach der Heirat, hätte sich sein Zustand ruckartig verschlechtert. Erst dann sei er wieder in ein Krankenhaus eingeliefert worden, und sie hätten erst im Juli 2008 Pflegeleistungen beantragt. Davor hätte es dafür keinen Grund gegeben.
Rentenversicherung weist Widerspruch zurück
Die Rentenversicherung wies den Widerspruch zurück. Sie begründete dies damit, dass die medizinischen Unterlagen nicht den Schluss zuließen, den Eheleuten sei der grundsätzlich lebensbedrohliche Ausgang der Krankheit nicht bekannt gewesen. Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Eheleute bei der Eheschließung das Ableben des Versicherten auf absehbare Zeit nicht erwartet hätten. Bereits im Januar 2008 sei wegen der Lebermetastasen der Zustand aussichtslos gewesen, und ein Überleben von mehr als zwölf Monaten unwahrscheinlich.
Sozialgericht weist Klage ab
Die Witwe klagte vor dem Sozialgericht, um die Witwenrente durchzusetzen. Dieses wies die Klage ab. Die Richter bezweifelten nicht, dass die Partner auch wegen gegenseitiger Zuneigung und Verbundenheit geheiratet hätten. Doch die Gesamtumstände deuteten darauf hin, dass der Versorgungszweck überwogen habe. Die Richter waren überzeugt, dass beide Partner bei der Heirat von der hohen Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs der Krankheit gewusst hätten.
Die Witwe legte Berufung vor dem Landessozialgericht ein.
Erfolg vor dem Landessozialgericht
Vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hatte sie mit ihrer Berufung Erfolg. Die Richter vernahmen die Fachärztin für Innere Medizin, die mit dem Verstorbenen die Chemotherapie besprochen hatte.
Krebsärzte erzählten nichts vom tödlichen Ausgang
Diese sagte, dass sie sicher sei, dass die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung nicht besprochen worden sei. So sei es Standard in der Krebsmedizin, Patienten nicht mit konkreten Lebenszeiten zu bedrängen. Sie war sich auch sicher, dass sie nicht erwähnt hatte, dass die Chemotherapie lediglich palliativen Zwecken diente.
Verstorbene und Witwe sahen keine Lebensbedrohung
Die Richter sahen deshalb keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Verstorbenen und der Witwe bekannt gewesen sei, dass die Erkrankung objektiv das Leben bedrohte. Die Klägerin hätte zutreffend auf die besseren Therapiemöglichkeiten verwiesen, wegen derer Krebs nicht zwangsläufig eine kurze Lebensdauer bedeute.
Der Tod war kein Thema
Zeugen hätten bestätigt, dass der Verstorbene in guter Verfassung gewesen sei und nichts auf einen baldigen Tod hingedeutet hätte. Eine Zeugin hätte bekundet, nicht den Eindruck gehabt zu haben, dass das Thema Tod zum Zeitpunkt der Hochzeit überhaupt kein Thema war. Eine andere Zeugin sagte aus, dass alle Beteiligten gehofft hätten, dass der Ehemann die Krankheit überstehe. Nicht einmal bei der Gartenparty nach der Hochzeit hätte sie mit einem baldigen Tod gerechnet.
In Abwägung aller Umstände sah das Landessozialgericht die Vermutung einer Versorgungsehe widerlegt und entschied, dass der Witwe eine große Witwenrente zusteht.