Eine Betroffene erhielt von der Grundsicherung nur die hรคlftige Miete erstattet โ mit der Begrรผndung, ihr Ehemann lebe dauerhaft in einer stationรคren Pflegeeinrichtung und sei deshalb โseinenโ Kopfteil nicht mehr zu berรผcksichtigen.
Das Sozialgericht Hamburg hat diese Praxis als eindeutig rechtswidrig bewertet (Az. S 28 SO 409/18 ER). Die Botschaft ist klar: Wer die Wohnung allein nutzt, weil der Partner auf Dauer im Pflegeheim lebt, hat Anspruch auf รbernahme der tatsรคchlichen Mietkosten durch das Sozialamt โ ohne Abzug nach dem sogenannten Kopfteilprinzip.
Inhaltsverzeichnis
Warum das Kopfteilprinzip hier nicht greift
Das Kopfteilprinzip verteilt die angemessenen Kosten der Unterkunft rechnerisch auf die in einer Wohnung lebenden Personen. Voraussetzung ist jedoch immer, dass die Wohnung tatsรคchlich gemeinsam genutzt wird. Genau daran fehlt es, wenn ein Partner dauerhaft in einer stationรคren Einrichtung lebt und die Wohnung nicht mehr als Lebensmittelpunkt nutzt.
Auch wenn die Eheleute sozialrechtlich weiterhin als Bedarfsgemeinschaft im Sinne des ยง 19 Abs. 3 SGB XII gelten kรถnnen, bleibt es dabei: Es existiert kein zweiter โaktueller Kopfโ in der Wohnung, auf den sich eine Aufteilung rechtfertigen lieรe. Das Sozialgericht stellt daher unmissverstรคndlich fest: Kein Kopfteilprinzip bei stationรคrer Unterbringung.
Diese Sicht knรผpft an die hรถchstrichterliche Rechtsprechung an. So hat das Bundessozialgericht klargestellt, dass eine Aufteilung der Unterkunftskosten voraussetzt, dass die Wohnung den aktuellen Bedarf aller dort lebenden Personen abdeckt.
Nutzt ein Mitglied der (frรผheren) Bedarfsgemeinschaft die Wohnung รผber einen lรคngeren Zeitraum nicht, entfรคllt die Berechnungsgrundlage fรผr eine Kopfteilung. In der Folge sind die tatsรคchlichen, angemessenen Unterkunftskosten der verbleibenden Person vollstรคndig zu berรผcksichtigen.
Was das fรผr Betroffene bedeutet
Fรผr Leistungsberechtigte der Grundsicherung nach dem SGB XII, deren Partner dauerhaft stationรคr untergebracht ist, heiรt das:
- Die volle, angemessene Miete (einschlieรlich kalter Nebenkosten) ist als Bedarf anzuerkennen.
- Ein Abzug auf โdie Hรคlfteโ mit Verweis auf einen abwesenden Ehepartner ist rechtsfehlerhaft.
- Die Wohnung der verbleibenden Person ist alleiniger Lebensmittelpunkt, sie trรคgt die Wohnkosten allein und muss diese aus der Grundsicherung decken kรถnnen.
Praktisch relevant ist auรerdem: Oft kรผndigt ein Sozialamt bei einem Heimeinzug zunรคchst an, kรผnftig nur noch den vermeintlichen โEigenanteilโ der in der Wohnung verbleibenden Person zu รผbernehmen. Spรคtestens mit der Feststellung, dass der Heimeinzug auf Dauer erfolgt, entfรคllt die Grundlage fรผr diesen Abzug.
Die Wohnung muss gehalten werden kรถnnen; andernfalls drohen Wohnungslosigkeit oder ein erzwungener Umzug, den die Rechtsordnung gerade verhindern will.
Einordnung durch den Sozialrechtsexperten
Anmerkung:
- Kein Raum fรผr das Kopfteilprinzip, wenn der Ehepartner im Pflegeheim lebt und die Wohnung nicht (mehr) nutzt.
- Eine kopfteilige Aufteilung setzt voraus, dass die Unterkunft gemeinsam genutzt wird und den aktuellen Bedarf weiterer Personen abdeckt.
- Fehlt diese tatsรคchliche Nutzung รผber einen erheblichen Zeitraum, ist โ in Anlehnung an die Rechtsprechung โ von einem leistungsausschlieรenden Tatbestand fรผr die abwesende Person auszugehen; die volle Berรผcksichtigung der Kosten bei der verbleibenden Person ist die Folge.
Hรคufige Gegenargumente der Behรถrden โ und warum sie nicht tragen
โDie Ehe besteht fort, also teilen wir die Kosten weiterhin.โ
Die Ehe als Rechtsverhรคltnis allein begrรผndet keine fortbestehende Wohnungsnutzung. Entscheidend ist, wer die Wohnung tatsรคchlich bewohnt.
โDer Pflegeheimeinzug kรถnnte vorรผbergehend sein.โ
Bei erkennbar dauerhafter Unterbringung entfรคllt das Argument. Fรผr kurze รbergangszeiten mag eine andere Betrachtung denkbar sein; dauerhafte stationรคre Pflege schlieรt die reale Mitnutzung der Wohnung aus.
โWir erstatten die Hรคlfte, der Rest ist zumutbar.โ
Eine pauschale Halbierung ohne tatsรคchliche Mitnutzung unterlรคuft den gesetzlich gesicherten Unterkunftsbedarf. Zumutbarkeit ersetzt nicht die Pflicht zur korrekten Bedarfsermittlung.
Praktische Hinweise fรผr Betroffene
Bescheid prรผfen: Steht im Bescheid, dass nur die โhรคlftige Mieteโ anerkannt wird, obwohl der Ehepartner dauerhaft im Heim ist, spricht vieles fรผr einen Rechtsfehler.
Nachweise beifรผgen: Legen Sie dem Sozialamt Belege zur stationรคren Unterbringung und โ soweit vorhanden โ Hinweise auf die Dauerhaftigkeit vor (Heimvertrag, รคrztliche Einschรคtzung, Pflegegrad, Kostenzusage).
Widerspruch & Eilverfahren: Bei drohenden Mietrรผckstรคnden kann ein Eilantrag beim Sozialgericht geboten sein, damit die Unterkunft gesichert bleibt (so geschehen im Verfahren vor dem SG Hamburg).
Angemessenheit im Blick behalten: Erstattet werden angemessene Kosten der Unterkunft. Prรผfen Sie daher, ob Ihre Miete innerhalb der รถrtlichen Angemessenheitsgrenzen liegt.
Besonderer Hinweis: Keine eheรคhnliche Gemeinschaft bei fehlendem Einstandswillen
Im Kontext der Grundsicherungsleistungen stellt sich hรคufig die Frage, ob eine eheรคhnliche Lebensgemeinschaft (im Sinne des ยง 43 Abs. 1 Satz 2 SGB XII) vorliegt โ etwa in Fรคllen, in denen nicht verheiratete Partner zusammenleben. Eine solche Gemeinschaft setzt wechselseitigen Einstandswillen voraus: Beide mรผssen subjektiv gewillt und objektiv in der Lage sein, Verantwortung fรผreinander zu tragen.
Fehlt es daran โ etwa, weil ein Partner aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage ist, Verantwortung fรผr eine andere Person zu รผbernehmen und einen entsprechenden Willen zu bilden โ, liegt keine eheรคhnliche Gemeinschaft vor.
Die juristische Leitlinie orientiert sich am Verstรคndnis des ยง 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB (โEheliche Lebensgemeinschaft; fรผreinander einstehenโ): Ohne wechselseitige, tragfรคhige Bindung und Bereitschaft zum Einstehen darf eine Bedarfsgemeinschaft nicht fingiert werden. In praktischer Folge dรผrfen Einkommen oder Ressourcen des erkrankten Partners nicht zugerechnet werden โ ein zentraler Schutzmechanismus fรผr die bedรผrftige Person.
Fazit
Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg schafft Rechtssicherheit: Lebt ein Ehepartner dauerhaft im Pflegeheim, muss das Sozialamt die volle, angemessene Miete der verbleibenden Person tragen. Das Kopfteilprinzip scheidet aus, weil es eine tatsรคchliche gemeinsame Wohnnutzung voraussetzt.
Fรผr Betroffene bedeutet das: Bescheide genau prรผfen, auf die dauerhafte stationรคre Unterbringung hinweisen und notfalls gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Gleichzeitig gilt: Eine eheรคhnliche Gemeinschaft setzt einen wechselseitigen Einstandswillen voraus.
Fehlt dieser โ etwa krankheitsbedingt โ, darf keine Bedarfsgemeinschaft fingiert und keine Zurechnung von Einkommen vorgenommen werden. So werden Wohnraum und Existenzsicherung real geschรผtzt.