So verlängert sich die Kündigungsfrist bei Schwerbehinderung – Urteil

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Im Arbeitsrecht gelten üblicherweise enge Fristen, um Kündigungen gerichtlich anzugehen. Für viele Beschäftigte beträgt diese Frist nach Zugang einer Kündigung drei Wochen. Ist jedoch ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 anerkannt, sieht die Situation anders aus.

Denn in solchen Fällen darf die Kündigung nur mit Zustimmung des Integrations- oder Inklusionsamtes ausgesprochen werden. Und genau da kommt es zu Fristbesonderheiten, wie das Arbeitsgericht Iserlohn in einem Verfahren bestätigte. (Az: 4 Ca 675/23)

Der Fall: Befristeter Vertrag, abweichende Ausschlussfristen und eine vorzeitige Kündigung

Ein 60-jähriger Produktionshelfer mit Schwerbehinderung hatte bei einem Leiharbeitsunternehmen einen befristeten Arbeitsvertrag bis zum 30. Juni 2023. Dieser Vertrag sah keine Anwendung der tariflichen Ausschlussfristen der Zeitarbeitsbranche vor, sondern stattdessen eine viermonatige Frist zur Geltendmachung von Forderungen sowie eine weitere viermonatige Frist zur Klageerhebung.

Als Fälligkeitstermin für das Arbeitsentgelt wurde im Tarifvertrag der 15. Tag des Folgemonats bestimmt.

Obwohl die Befristung noch bis Ende Juni laufen sollte, kündigte der Arbeitgeber im Januar 2023 bereits zum 28. Februar 2023 – und zwar ohne Beteiligung des Inklusionsamtes, obwohl die Schwerbehinderung bekannt war.

Zusätzlich hatte der betroffene Produktionshelfer noch Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto, die ihm laut letzter Abrechnung zustanden. Angebote des Arbeitgebers, auf einem anderen Arbeitsplatz tätig zu werden, lehnte er ab.

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Späte Klage und die Argumente beider Seiten

Erst im Juni 2023, einige Monate nach Erhalt der Kündigung, reichte der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage ein. Zuvor hatte er sich gewerkschaftlichen Rat geholt. Im Prozess wurde einerseits die Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund fehlender Zustimmung des Inklusionsamtes geltend gemacht.

Zudem verlangte der Arbeitnehmer die Auszahlung der offenen Stunden sowie Lohn aus Annahmeverzug ab März 2023.

Der Arbeitgeber argumentierte, die dreiwöchige Klagefrist des Kündigungsschutzgesetzes und auch die vertraglich vereinbarten Ausschlussfristen seien längst abgelaufen.

Einen Anspruch auf Lohn aus Annahmeverzug lehnte er ab, weil aus seiner Sicht der Kläger zumutbare Stellenangebote verweigert habe.

Warum die Kündigung trotz Fristversäumnis nicht greift

Das Arbeitsgericht Iserlohn stellte klar, dass die Kündigung mangels Zustimmung des Inklusionsamtes unwirksam und sogar nichtig war. Die übliche Dreiwochenfrist des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) beginne erst zu laufen, wenn ein entsprechender behördlicher Bescheid vorliegt. Im Wortlaut des § 4 KSchG heißt es:

Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

War oder ist eine Kündigung also behördlich nicht genehmigt, kann die Klagefrist gar nicht anlaufen. Die Unwirksamkeit kann dann nur noch durch Verwirkung begrenzt werden – und diese setzt umfangreiche Voraussetzungen voraus.

Verwirkung: Zeit, Umstände und Vertrauensschutz

Ein Recht gilt als verwirkt, wenn der Anspruchsberechtigte längere Zeit untätig bleibt (Zeitmoment) und besondere Faktoren hinzukommen (Umstandsmoment), die ein spätes Einfordern als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.

Außerdem müsste sich der Verpflichtete in seinem Verhalten so einrichten, dass er durch das späte Geltendmachen schwere Nachteile erleidet.

Im hier entschiedenen Fall war diese Konstellation jedoch nicht erfüllt. Das Gericht betonte, dass man nicht einfach schematisch auf drei Wochen oder eine kurze Zeitspanne blicken könne.

Da die Kündigung einer behördlichen Zustimmung bedurfte und diese fehlte, war der Arbeitgeber selbst dafür verantwortlich, dass die Kündigung gar nicht erst rechtswirksam werden konnte.

Die sechsmonatige Frist nach § 5 KSchG: Orientierung für Arbeitgeber

Das Arbeitsgericht verwies in diesem Zusammenhang auch auf § 5 KSchG. Dort findet sich eine Regelung für die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage. Diese kann bis zu sechs Monate nach Ablauf der ursprünglichen Klagefrist beantragt werden, wenn etwa wichtige Gründe einen früheren Klagezugang verhindert haben.

Das zeigt, dass Arbeitgeber innerhalb dieses Zeitraums immer damit rechnen müssen, sich doch noch einem Kündigungsschutzprozess stellen zu müssen.

Im Fall einer ohne Zustimmung ausgesprochenen Kündigung wusste oder hätte der Arbeitgeber wissen müssen, dass er sich auf juristisch dünnem Eis bewegt und daher ein Prozess auch nach Monaten möglich ist.

Annahmeverzug und Lohnansprüche: Warum ein Angebot der Arbeitskraft entbehrlich war

Weil das Arbeitsgericht die Kündigung für unwirksam erklärte, war der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer über den Kündigungstermin hinaus weiterzubeschäftigen. Für nicht gearbeitete Tage schuldet er demnach Lohn aus Annahmeverzug – und zwar auch, ohne dass der Kläger seine Arbeitskraft nochmals ausdrücklich anbietet.

Es liegt nämlich am Arbeitgeber, einen funktionierenden Arbeitsplatz bereitzustellen. Spricht der Arbeitgeber hingegen eine unrechtmäßige Kündigung aus, fehlt es an den nötigen Voraussetzungen, dass der Arbeitnehmer tätig werden kann. Ein Leistungsunwille war hier nicht zu erkennen.

Ausschlussfristen gewahrt: Juni-Klage ist rechtzeitig

Mit der im Juni 2023 eingereichten Klage blieben auch die vertraglich vereinbarten Ausschlussfristen für Forderungen ab dem 1. März 2023 gewahrt.

Der Arbeitnehmer verlor somit weder seine Stunden aus dem Arbeitszeitkonto noch den Vergütungsanspruch aus Annahmeverzug, weil er noch rechtzeitig den gerichtlichen Weg beschritt.