Wenn Sie einen Grad der Behinderung von 30 oder 40 haben, können Sie sich am Arbeitsplatz mit einem Schwerbehinderten rechtlich gleichstellen lassen, wenn Ihre Stelle wegen Ihrer Beeinträchtigung bedroht ist oder wenn Sie wegen Ihrer Behinderung Probleme haben, einen Job zu finden.
Mit dieser Gleichstellung erhalten Sie besondere Nachteilsausgleiche schwerbehinderter Menschen. Zum Beispiel muss ein potenzieller Arbeitgeber bei Ihrer Bewerbung die Schwerbehindertenvertretung einschalten, wenn eine solche vorhanden ist.
Tut er dies nicht, und liegt der Verdacht einer Diskriminierung wegen der Behinderung vor, dann haben Sie Anspruch auf Schadensersatz. Das Bundesarbeitsgericht entschied allerdings, dass dies erst gilt, wenn Sie bereits gleichgestellt sind, und nicht, wenn Sie einen Antrag gestellt nhaben und das Verfahren noch nicht entschieden ist.(8 AZR 212/22)
Inhaltsverzeichnis
Förderprogramm für Studierende
Der Betroffene studierte Sozialrecht und hat einen anerkannten Grad der Behinderung von 50. Das Bundesarbeitsgericht erläutert: „Im Mai 2020 schrieb die Beklagte ein Förderprogramm für Studierende in den Studiengängen Sozialrecht oder Wirtschaftsrecht aus.
Teilnehmer des Programms werden von der Beklagten mit einem monatlichen Betrag iHv. 880,00 Euro brutto gefördert. Für Zeiten der betrieblichen Praxis an den Einsatzorten der Beklagten in Bad Hersfeld, Fulda oder Frankfurt am Main erhalten die Teilnehmer eine monatliche Praktikumsvergütung iHv. 1.570,00 Euro brutto.“
Bewerbung und Gleichstellungsantrag
Am 28. Juli bewarb sich der Betroffene um eine Teilnahme an dem Programm. Am 31. Juli 2020 beantragte er die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen bei der zuständigen Bundesagentur für Arbeit.
Betroffener weist im Auswahlgespräch auf den Gleichstellungsantrag hin
Am 12. August 2020 nahm er in der Agentur für Arbeit in Fulda am Auswahlgespräch für das Förderprogramm statt. Dabei wies er auf seine Behinderung hin und teilte mit, dass er einen Gleichstellungsantrag gestellt hatte.
Die Absage erfolgt vor der rückwirkenden Anerkennung
Das Bundesarbeitsgericht fasst zusammen: „Am 17. August 2020 sagte die Beklagte dem Kläger wegen des Förderprogramms telefonisch ab. Die Agentur für Arbeit Stuttgart stellte den Kläger mit Bescheid vom 10. September 2020 rückwirkend zum 31. Juli 2020 einem schwerbehinderten Menschen gleich.“
Klage wegen Diskriminierung
Der Betroffene klagte vor dem Arbeitsgericht und vertrat den Standpunkt der Arbeitgeber habe ihn aufgrund seiner Behinderung benachteiligt.
Er hätte im Auswahlgespräch auf seine Behinderung hingewiesen und über das laufende Gleichstellungsverfahren informiert. Deshalb hätte für den Arbeitgeber die Pflicht bestanden, bei der Auswahl die Schwerbehindertenvertretung einzuschalten.
Wörtlich heißt es: „Indem sie dies unterlassen habe, habe sie gegen ihre gesetzlichen Pflichten aus § 164 Abs. 1 Satz 4, § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verstoßen. Stattdessen habe die Beklagte ihm, ohne den Ausgang des Gleichstellungsverfahrens abzuwarten, zeitnah eine Absage erteilt.“
Die Klage scheitert in allen Instanzen
Er scheiterte mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht, das Landesarbeitsgericht wies die Berufung zurück, und das Bundesarbeitsgericht lehnte eine Revision ab. Die Begründung aller drei Instanzen deckte sich in den wesentlichen Punkten.
Keine Verpflichtung des Arbeitgebers
Das Bundesarbeitsgericht begründete die fehlenden Begründung der Revision damit, dass keine Pflicht des Arbeitgebers bestanden habe, die Schwerbehindertenvertretung einzuschalten.
Das Gleichstellungsverfahren sei am Laufen gewesen. Eine Pflicht bestünde auch nicht, weil der Gleichstellungsantrag nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens positiv entschieden worden sei.
Zum Zeitpunkt des Auswahlgesprächs bestand keine Gleichstellung
Kurz gesagt: Eine Verpflichtung, die Verfahrensvorschriften für schwerbehinderte Menschen und diesen Gleichgestellte einzuhalten besteht erst, wenn die Gleichstellung anerkannt, nicht aber wenn diese beantragt und noch nicht entschieden ist.
Wäre die Gleichstellung anerkannt gewesen, dann hätte der Kläger zu Recht eine Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung vermuten können.
Hier galt jedoch, so entschieden die Richter: „Der Kläger ist nach § 2 Abs. 2 SGB IX nicht schwerbehindert, weil bei ihm kein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Der Kläger ist in Bezug auf die Bewerbung um das von der Beklagten ausgeschriebene Förderprogramm auch nicht als einem schwerbehinderten Menschen iSv. § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellt anzusehen.“