Die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) entscheidet darüber, welche Nachteilsausgleiche bei einer Behinderung bzw. Schwerbehinderung gewährt werden. Sie entscheidet aber nicht nur über steuerliche Vorteile und Nachteilsausgleiche, sondern auch über den Zugang zu bestimmten Rentenleistungen und anderen sozialen Vergünstigungen.
Daher ist es wichtig, dass die zuständigen Behörden den GdB korrekt und sorgfältig ermitteln. Ein aktuelles Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe deckt erhebliche Mängel in diesem Verfahren auf und mahnt die Versorgungsämter zur Einhaltung ihrer gesetzlichen Pflichten an.
Wie kam es zu dem Verfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe?
Ein Antragsteller beantragte die Anerkennung eines höheren GdB. Die zuständige Versorgungsverwaltung setzte diesen jedoch lediglich auf 30 fest. Der Antragsteller war mit dieser Einschätzung nicht einverstanden und legte Widerspruch ein.
Er argumentierte, dass seine gesundheitlichen Einschränkungen weitreichender seien und eine höhere Einstufung gerechtfertigt wäre. Doch die Behörde blieb bei ihrer Entscheidung und lehnte den Widerspruch ab, ohne eine weitere medizinische Untersuchung anzuordnen. Daraufhin klagte der Betroffene vor dem Sozialgericht Karlsruhe.
Welche Mängel stellte das Sozialgericht Karlsruhe fest?
Das Gericht bemängelte in seinem Urteil vom 14. April 2020 (Aktenzeichen: S 12 SB 3113/19) die mangelnde Sachaufklärung durch die Behörde. Es stellte fest, dass die Entscheidung allein auf Basis von Befundberichten und Akten getroffen wurde, ohne dass eine notwendige medizinische Begutachtung veranlasst worden war. Dies sei rechtswidrig, da bei unklarer oder unzureichender Aktenlage eine umfassende Untersuchung erforderlich sei. Besonders kritisch wurden folgende Punkte gesehen:
1. Die Versorgungsverwaltung führte keine eigenständige sozialmedizinische Untersuchung durch.
2. Die Gesamtbeeinträchtigung des Antragstellers wurde nicht ausreichend berücksichtigt.
3. Notwendige Beweismittel wurden nicht eingeholt.
Das Sozialgericht verurteilte die Beklagte zu einer erneuten Prüfung unter Einbeziehung einer medizinischen Begutachtung. Die Urteilsbegründung war deutlich: Die Behörde dürfe sich nicht auf die Gerichte verlassen, um ihre gesetzliche Sachaufklärungspflicht nachträglich zu erfüllen.
Ist fehlerhafte GdB-Bewertung ein strukturelles Problem?
Das Urteil wirft grundsätzliche Fragen zur Praxis der Versorgungsverwaltungen auf. Insbesondere in Baden-Württemberg scheint es systematische Ermittlungsdefizite zu geben. Das Sozialgericht Karlsruhe kritisierte die Behördenpraxis, GdB-Feststellungen rein auf Basis von Aktenlagen vorzunehmen. Dies sei eine fehleranfällige Vorgehensweise, die den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt. Tatsächlich gibt es immer wieder gerichtliche Entscheidungen, die diese Verwaltungspraxis beanstanden und eine genauere Prüfung fordern.
Was bedeutet das Urteil für Betroffene?
Das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe sendet eine klare Botschaft: Die GdB-Feststellung muss sorgfältig erfolgen und darf nicht auf unzureichender Prüfung basieren. Wer sich durch eine fehlerhafte Entscheidung benachteiligt fühlt, sollte Widerspruch einlegen und notfalls den Klageweg beschreiten.
In vielen Fällen haben Antragsteller gute Chancen auf eine höhere Einstufung, wenn die Behörde ihre Ermittlungspflichten nicht erfüllt hat. Dieses Urteil könnte daher weitreichende Auswirkungen auf die Praxis der Versorgungsverwaltungen haben und dazu beitragen, dass GdB-Feststellungen künftig fairer und genauer erfolgen.