Bürgergeld: Jobcenter muss neue Waschmaschine zahlen

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Wer Bürgergeld bezieht, muss nicht mehr ohne Weiteres hinnehmen, dass ein kaputtes Haushaltsgerät aus dem knappen Regelsatz ersetzt wird. Mit Urteil vom 14. März 2023 hat das Sozialgericht Kiel (Az. S 35 AS 35/22) das Jobcenter verpflichtet, die Anschaffungskosten für eine neue Waschmaschine in Höhe von 418,95 Euro (389 Euro Kaufpreis plus 29,95 Euro Versand) als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu übernehmen.

Das Verfahren ist zwar in der Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht anhängig (Az. L 6 AS 41/23), doch schon die erstinstanzliche Entscheidung setzt Maßstäbe für die Praxis der Jobcenter und eröffnet Betroffenen neue Argumentationslinien.

Rechtliche Grundlage

§ 21 Abs. 6 SGB II schafft einen Auffangtatbestand für „unabweisbare, besondere Bedarfe“, die nicht im monatlichen Regelbedarf enthalten sind.

Die Bundesagentur für Arbeit stellt in ihren Fachlichen Weisungen ausdrücklich klar, dass solche Bedarfe – soweit sie angemessen sind – in tatsächlicher Höhe zu decken sind, wenn ein Darlehen unzumutbar wäre.

Seit der Reform zum 1. Januar 2023 umfasst die Vorschrift ausdrücklich auch einmalige Bedarfe, womit der Gesetzgeber auf frühere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesverfassungsgerichts reagierte.

Warum 1,60 Euro im Regelbedarf pro Monat nicht ausreichen

Das zentrale Argument der Kieler Richter zielte auf die statistisch ermittelte Position „Waschmaschinen, Wäschetrockner, Geschirrspül- und Bügelmaschinen“ im Regelbedarf.

Dort sind lediglich 1,60 Euro pro Monat vorgesehen. Diese Summe basiert auf einer dreimonatigen Verbrauchsstichprobe.

Weil langlebige Haushaltsgeräte während des Erhebungszeitraums meist gar nicht gekauft werden, fließen überwiegend Nullwerte in die Erhebung ein – das Ergebnis liegt also systematisch zu niedrig.

Die Richter rechneten vor, dass ein Leistungsberechtigter über 21 Jahre ansparen müsste, um allein die Waschmaschine und die übrigen Geräte aus dieser Statistik zu finanzieren.

Ein solcher Zeitraum verletze das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum, das kurzfristig und bedarfsgerecht zu sichern ist, und zeige eindrücklich die Lücke zwischen Statistik und Lebensrealität.

Unabweisbar und unzumutbar: die Kriterien des Gerichts
Das Gericht stellte zunächst fest, dass der Bedarf „unabweisbar“ sei: Ohne Waschmaschine könne der Kläger die mit dem Jobcenter vereinbarte Arbeitsaufnahme nicht organisieren, denn jede Fremdnutzung von Waschsalons würde Fahrt- und Waschkosten verursachen, die den Regelbedarf zusätzlich belasten.

Ebenso sei ein Darlehen unzumutbar. Ein Abzahlungsbetrag von etwa 35 Euro monatlich – bei typisch zwölf Monatsraten – würde das Existenzminimum unterschreiten. Damit war das Jobcenter gehalten, einen Zuschuss zu gewähren, nicht lediglich ein Darlehen.

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Angemessene Höhe: Neuanschaffung statt Gebrauchtkauf

Die Summe von 418,95 Euro stützt sich auf eine Marktrecherche im unteren Preissegment. Das Gericht hielt den Preis für angemessen, weil ein Neugerät Mängelgewährleistung bietet und typischerweise eine längere Nutzungsdauer als ein günstiges Gebrauchtmodell erwarten lässt. Das Jobcenter konnte keinen günstigeren, gleichwertigen Gebrauchtmarkt nachweisen, der zuverlässig erreichbar gewesen wäre.

Ähnliche Entscheidungen

Der Beschluss reiht sich in eine Serie von Verfahren ein, in denen Sozialgerichte § 21 Abs. 6 SGB II zugunsten der Leistungsberechtigten ausgelegt haben.

So hat das Schleswig-Holsteinische LSG bereits 2019 einem Schüler 600 Euro für einen Laptop gewährt (Az. L 6 AS 238/18 B ER). Das Bundessozialgericht zog jedoch 2021 eine engere Grenze und lehnte für Zeiträume vor 2021 einen Mehrbedarf für digitale Endgeräte ab (Urteil AZ. B 4 AS 88/20 R).

Die Kieler Waschmaschinen-Entscheidung zeigt, dass bei eindeutig lebensnotwendigen Gegenständen die Gerichte eher geneigt sind, einen unabweisbaren Bedarf anzuerkennen, während sie bei Schul- oder Arbeitsmitteln stärker differenzieren.

Praktische Folgen für Bürgergeld-Bezieher

Bürgergeld-Beziehende, deren Waschmaschine irreparabel defekt ist, sollten umgehend schriftlich beim Jobcenter beantragen, die Kosten als Mehrbedarf zu übernehmen und ausdrücklich auf § 21 Abs. 6 SGB II verweisen.

Dem Antrag sollte eine Bestätigung eines Fachbetriebs beigefügt werden, dass eine Reparatur unwirtschaftlich ist, sowie ein konkretes Angebot eines preisgünstigen Neugeräts. Lehnt das Jobcenter ab oder bietet nur ein Darlehen an, kann binnen eines Monats Widerspruch eingelegt und – falls nötig – Klage vor dem Sozialgericht erhoben werden.

Die Erfolgsaussichten hängen zwar vom Einzelfall und letztlich vom noch ausstehenden Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG ab, doch das Kieler Urteil liefert eine solide Argumentationsbasis, die inzwischen in zahlreichen Beratungsstellen herangezogen wird.

Noch nicht rechtskräftig: Berufung steht aus

Bis zum Redaktionsschluss war beim Landessozialgericht noch keine Entscheidung veröffentlicht. Prozessbeobachter rechnen damit, dass das LSG die Frage der Zumutbarkeit eines Darlehens und die statistische Berechnung des Regelbedarfs besonders kritisch prüft.

Sollte das Urteil bestätigt werden, dürfte es die Verwaltungspraxis bundesweit verändern; wird es aufgehoben, bliebe Betroffenen immer noch der Weg zum Bundessozialgericht.

In jedem Fall hat das Verfahren schon jetzt einen aufklärenden Effekt: Es macht sichtbar, dass pauschalierte Regelsätze nicht jeden Alltagsbedarf realistisch abbilden – und dass § 21 Abs. 6 SGB II als Instrument gedacht ist, solche Lücken zu schließen.