Für viele Beschäftigte endet mit der Rente nicht automatisch das Arbeitsleben. Wer Jahrzehnte im Betrieb war, möchte oft weitermachen – aus Geldnot, aus Pflichtgefühl gegenüber dem Team oder schlicht, weil der Alltag ohne Arbeit kaum finanzierbar ist.
Gleichzeitig suchen Unternehmen händeringend Personal. Trotzdem standen Rentner, die weiterarbeiten wollten, bisher oft vor einer Mauer aus Befristungsregeln und starren Vertragsklauseln.
Mit der schon heute möglichen Hinausschiebensvereinbarung und der geplanten Lockerung des sogenannten Anschlussverbots sollen Übergänge in die „Aktivrente“ leichter werden. Doch was davon ist tatsächlich in Kraft, was ist noch politisches Versprechen – und wo sollten Betroffene aufpassen?
Inhaltsverzeichnis
Bisherige Realität: Arbeitsvertrag endet – und der Betrieb ist „offiziell“ fertig mit einem
In vielen Arbeits- und Tarifverträgen steht eine klare Altersgrenze: Mit Erreichen der Regelaltersgrenze endet das Arbeitsverhältnis automatisch. Ohne zusätzliche Vereinbarung ist dann Schluss – selbst wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmerin eigentlich zufrieden sind und weitermachen wollen.
Für Betroffene bedeutet das: Im Zweifel gibt es keine Weiterbeschäftigung, sondern nur noch eine Verabschiedung mit Blumenstrauß. Wer wiederkommen möchte, muss einen neuen Vertrag unterschreiben – und landet sofort im komplizierten Befristungsrecht.
Sachgrundlose Befristung ist nach bisheriger Rechtslage tabu, wenn beim selben Arbeitgeber früher schon ein Arbeitsverhältnis bestand. Genau das ist das berüchtigte Anschlussverbot.
Gerade ältere Beschäftigte werden so in eine paradoxe Lage gedrängt: Der Betrieb braucht sie, sie benötigen den Job – aber das Gesetz baut Hürden ein, statt Lösungen zu ermöglichen.
Schon heute möglich: Weiterarbeiten per Hinausschiebensvereinbarung
Wichtig ist: Das System ist nicht vollkommen starr. Bereits heute gibt es eine Tür, die viele nicht kennen – die Hinausschiebensvereinbarung. Sie erlaubt es, eine im Vertrag vereinbarte Altersgrenze einvernehmlich nach hinten zu verschieben.
In der Praxis sieht das so aus:
Ein Arbeitsvertrag sieht vor, dass das Beschäftigungsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze endet. Noch bevor dieses Datum erreicht ist, setzen sich Arbeitgeber und Beschäftigter zusammen und vereinbaren schriftlich: Das Arbeitsverhältnis läuft weiter, zum Beispiel für ein weiteres Jahr oder bis zu einem festen Datum. Gleichzeitig können Arbeitszeit und Lohn angepasst werden.
Diese Vereinbarung kann mehrfach geschlossen werden. So lassen sich Übergänge in kleineren Schritten organisieren – etwa erst ein Jahr länger mit reduzierter Stundenzahl, später noch einmal eine Verlängerung. Entscheidend ist der Zeitpunkt: Die Vereinbarung muss unterschrieben sein, solange der ursprüngliche Vertrag noch läuft. Wer wartet, bis der Vertrag bereits beendet ist, steht vor geschlossener Tür.
Anschlussverbot soll für Rentner fallen
Die Politik hat erkannt, dass das bisherige Anschlussverbot viele sinnvolle Weiterbeschäftigungen blockiert. Deshalb soll das Vorbeschäftigungsverbot für Menschen, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, gelockert werden.
Konkret: Bisher gilt – eine sachgrundlose Befristung ist unzulässig, wenn beim gleichen Arbeitgeber schon einmal ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Künftig sollen Arbeitgeber und bereits verrentete Beschäftigte wieder befristete Verträge ohne Sachgrund schließen können, wenn die Regelaltersgrenze erreicht ist.
Für Betroffene ist das mehr als juristische Feinarbeit. Es eröffnet die Möglichkeit, nach einer kurzen Pause oder einem echten Renteneintritt noch einmal befristet zurückzukehren. Ein klar begrenzter Vertrag über ein Jahr oder zwei, ohne komplizierte Sachgrund-Konstruktionen, wird damit wieder möglich.
Wichtig ist allerdings: Diese Neuregelung ist politisch beschlossen, aber noch nicht dauerhaft gelebte Praxis. Bis sie tatsächlich gilt, bleibt nur der Weg über Hinausschiebensvereinbarung oder befristete Verträge mit Sachgrund.
Wer aktuell einen genauen Plan hat, wann und wie lange er oder sie weiterarbeiten möchte, sollte sich die konkreten Daten und Regelungen schriftlich bestätigen lassen – statt auf eine gesetzliche Änderung „irgendwann im nächsten Jahr“ zu vertrauen.
Hinzuverdienst seit 2023: Grenzen gefallen – aber nicht jede Rente ist gleich
Eine zentrale Änderung ist bereits Realität und wirkt unmittelbar im Geldbeutel: Seit 1. Januar 2023 sind die Hinzuverdienstgrenzen für Altersrenten weggefallen. Das bedeutet für alle, die eine reguläre oder vorgezogene Altersrente beziehen: Es kann grundsätzlich beliebig hinzuverdient werden, ohne dass die Rente deshalb gekürzt wird.
Für viele Betroffene ist genau das die Grundlage dafür, überhaupt über Weiterarbeit nachzudenken. Wer eine niedrige Rente erhält, kann den Lohn aus der Beschäftigung komplett behalten und die Rente zusätzlich beziehen.
Die Grenze verläuft nur noch dort, wo andere Rentenarten betroffen sind – etwa Erwerbsminderungsrenten, bei denen weiterhin strenge Anrechnungsregeln gelten.
Konkretes Beispiel: Wie eine „Aktivrente“ im Betrieb aussehen kann
Ein Beispiel zeigt, wie die rechtlichen Spielräume genutzt werden können:
Herr M., 66 Jahre, erreicht die Regelaltersgrenze. Sein Vertrag endet laut Klausel mit Ablauf des Monats. Er arbeitet als Techniker, kennt die Anlagen in- und auswendig, sein Chef möchte ihn gerne halten – aber mit reduzierten Stunden.
Beide schließen noch vor dem Rentenstichtag eine Hinausschiebensvereinbarung. Darin steht: Das Arbeitsverhältnis wird um zwei Jahre verlängert, die Wochenarbeitszeit wird von 38 auf 20 Stunden reduziert, das Gehalt entsprechend angepasst. Herr M. bezieht ab diesem Zeitpunkt seine volle Altersrente und erhält zusätzlich seinen Teilzeitlohn. Eine Hinzuverdienstgrenze muss er bei der Altersrente nicht mehr beachten.
Kommt die Lockerung des Anschlussverbots wie geplant, hätte der Betrieb später zusätzlich die Option, nach Ablauf dieser zwei Jahre noch einmal einen klar befristeten Anschlussvertrag ohne Sachgrund zu schließen. Herr M. könnte dann selbst entscheiden, ob er für ein weiteres Jahr bleibt – ohne sich auf Dauer zu binden.
Sozialversicherung und Steuern: Mehr Geld, aber auch mehr Abzüge
Weiterarbeiten nach der Rente klingt nach einfachem Plus im Portemonnaie – tatsächlich wird ein Teil der zusätzlichen Einnahmen durch Beiträge und Steuern aufgezehrt.
Auf das Arbeitsentgelt fallen weiterhin Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung an. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entfallen, wenn eine Vollrente wegen Alters gezahlt wird. In der Rentenversicherung werden aus der Beschäftigung weiter Beiträge abgeführt. Sie können auf Wunsch in zusätzliche Entgeltpunkte umgewandelt werden, was zu einem spürbaren, wenn auch meist eher kleinen Aufschlag auf die Rente führt.
Steuerlich zählt der Lohn aus der Beschäftigung als ganz normales Einkommen. Zusammen mit der Rente kann das dazu führen, dass Betroffene erstmals überhaupt Einkommensteuer zahlen müssen oder in eine höhere Progression rutschen.
Wer knapp kalkuliert, sollte wenigstens überschlägig prüfen lassen, wie sich Lohn, Rente und Grundfreibetrag zueinander verhalten, damit die böse Überraschung nicht mit dem ersten Steuerbescheid kommt.
Vertragsgestaltung: Ohne klare Vereinbarung drohen Missverständnisse
Für Betroffene ist entscheidend, nicht nur „weiterzuarbeiten“, sondern die Bedingungen schriftlich zu fixieren. Ein sauber formulierter Vertrag oder eine Hinausschiebensvereinbarung sollte mindestens regeln, ab wann die Rente läuft, wie viele Stunden gearbeitet wird, welches Entgelt gezahlt wird und ob – bzw. bis wann – die Beschäftigung befristet ist.
Fehlt diese Klarheit, drohen Konflikte: Der Arbeitgeber geht von einer automatischen Beendigung aus, die Beschäftigte glaubt, „es laufe einfach weiter“. Oder es herrscht Unklarheit, ob der neue Status eine Teilzeitbeschäftigung im Ruhestand oder ein vollwertiges Arbeitsverhältnis ist – mit allen Rechten, aber auch Pflichten.
Was heißt das alles für Betroffene?
Weiterarbeiten nach Rentenbeginn ist schon heute möglich, wenn rechtzeitig eine Hinausschiebensvereinbarung geschlossen oder ein neuer Vertrag mit tragfähigem Sachgrund abgeschlossen wird.
Die Hinzuverdienstgrenzen für Altersrenten sind gefallen, was gerade für Menschen mit niedriger Rente eine wichtige Entlastung darstellt.
Die geplante Lockerung des Anschlussverbots soll es künftig leichter machen, nach der Regelaltersgrenze befristet zu arbeiten, auch beim früheren Arbeitgeber.
Für Betroffene bleibt die Lage aber nicht automatisch „rentnerfreundlich“. Wer den Übergang in den Ruhestand flexibel gestalten will, muss aktiv werden: rechtzeitig mit dem Arbeitgeber sprechen, keine Fristen verstreichen lassen und sich die Wirkung auf Rente, Krankenversicherung und Steuerlast genau anschauen.
Wer unsicher ist, sollte fachkundige Beratung nutzen – etwa bei einer unabhängigen Rentenberatung oder einer spezialisierten Beratungsstelle für Sozialrecht.
FAQ: Arbeiten nach dem Renteneintritt und Anschlussverbot
Wann ist Weiterarbeiten nach Rentenbeginn überhaupt möglich?
Weiterarbeit ist möglich, wenn vor Erreichen der vertraglichen Altersgrenze eine Hinausschiebensvereinbarung geschlossen oder nach Rentenbeginn ein neuer Arbeitsvertrag (mit Sachgrund, später ggf. sachgrundlos) vereinbart wird.
Was ist der Unterschied zwischen Hinausschiebensvereinbarung und neuem Arbeitsvertrag?
Die Hinausschiebensvereinbarung verschiebt nur den Beendigungszeitpunkt des bestehenden Vertrags nach hinten. Ein neuer Arbeitsvertrag setzt voraus, dass das alte Arbeitsverhältnis beendet ist und alle Konditionen neu geregelt werden.
Gilt das Anschlussverbot aktuell noch?
Ja. Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine sachgrundlose Befristung beim früheren Arbeitgeber grundsätzlich ausgeschlossen. Die geplante Lockerung für Menschen nach Erreichen der Regelaltersgrenze soll diesen Punkt gezielt aufheben.
Sind Hinzuverdienstgrenzen bei Altersrenten noch relevant?
Bei Altersrenten (regulär und vorgezogen) bestehen seit 2023 keine Hinzuverdienstgrenzen mehr. Der Arbeitslohn wird nicht mehr auf die Altersrente angerechnet, wohl aber steuerlich berücksichtigt.
Welche Sozialversicherungsbeiträge fallen beim Weiterarbeiten an?
Auf den Lohn aus der Beschäftigung werden weiterhin Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung fällig, Rentenversicherungsbeiträge können zu zusätzlichen Rentenpunkten führen, Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entfallen bei Vollrente.
Kann eine Verlängerung auch nach Erreichen der Altersgrenze vereinbart werden?
Nein. Eine Hinausschiebensvereinbarung muss vor dem vertraglich festgelegten Beendigungszeitpunkt geschlossen werden. Nach Ablauf des Vertrags ist nur noch ein neuer Arbeitsvertrag möglich.
Worauf sollten Betroffene vor einer Weiterbeschäftigung besonders achten?
Wesentlich sind ein klarer schriftlicher Vertrag (Dauer, Stunden, Lohn), die Prüfung der Wirkung auf Steuerlast und Krankenversicherung sowie die Frage, ob die geplante gesetzliche Lockerung des Anschlussverbots bereits konkret gilt oder noch im Gesetzgebungsverfahren steckt.




