Schwerbehinderung: Mit GdB 80 Rundfunkbeitrag-Ermäßigung? Gericht setzt Schlussstrich

Ein Mann mit der Diagnose paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie klagte, um eine Ermäßigung des Rundfunkbeitrags (Merkzeichen RF) sowie einen höheren Grad der Behinderung zu bekommen. Die Klage scheiterte in beiden Instanzen der Sozialgerichte in Bayern. (L 2 SB 67/21)

Erwerbsminderung und Erbschaft

Der Betroffene hatte keine Ausbildung und lebte allein in einem Haus, das seine Eltern ihm vererbten. Er bezog eine Erwerbsminderungsrente und finanzierte seinen Lebensunterhalt darüber hinaus aus einer Erbschaft.

Schwerbehinderung wegen Schizophrenie

Er hat einen anerkannten Grad der Behinderung von 80 wegen einer chronisch paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie und nimmt deshalb eine gesetzliche Betreuung in Anspruch. Seine Halluzinationen zeigen sich unter anderem dadurch, dass er glaubte, dass zahlreiche Menschen geklont seien, darunter auch er selbst.

Betroffener glaubt, dass unsichtbare Kräfte ihn manipulieren

Auch gebe es Köln und München gleich mehrfach. Er berichtete von Stimmen, die seine Gedanken aussprechen, ihn beschimpfen und manipulieren würden. Die Max-Planck-Gesellschaft schädige ihn zudem durch Strahlen, und im Fernsehen rede man über ihn.

Antrag auf Merkzeichen und höherem GdB

Er versuchte, beim zuständigen Versorgungsamt einen Anspruch auf das Merkzeichen RF durchzusetzen, also eine Ermäßigung des Rundfunkbeitrags zu erreichen. Zudem begehrte er das Merkzeichen B für Anspruch auf eine permanente Begleitperson sowie einen höheren Grad der Behinderung – von 90.

Hinweis zur Rechtslage: Das Merkzeichen RF führt seit 2013 nicht zu einer vollständigen Befreiung, sondern zu einer Ermäßigung auf ein Drittel des Rundfunkbeitrags. Voraussetzung für RF ist neben einem GdB von mindestens 80, dass Betroffene ständig von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sind.

Das Merkzeichen wird im Rahmen des Schwerbehindertenrechts festgestellt; erst anschließend kann die Beitragsermäßigung beim Beitragsservice beantragt werden.

Dazu reichte er ein Attest ein, nach dem aus psychiatrischer Sicht eine Ermäßigung angemessen sei. Eine vom Versorgungsamt beauftragte Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin lehnte dies ab, und das Versorgungsamt schloss, dass der Grad der Behinderung weiter 80 betrage und kein Anspruch auf beide Merkzeichen bestehe.

Betroffener sagt, er könne sich nicht unter Menschen aufhalten

Der Mann legte Widerspruch ein und verwies darauf, dass er Stimmen höre und andere ihn ausgrenzten. Er könne sich nur zu Hause und nicht unter Menschen aufhalten und wolle deshalb die Ermäßigung beim Rundfunkbeitrag erhalten.

Verfolgungs- und Beziehungswahn

Der behandelnde Psychiater gab an, dass der Betroffene sich wieder in seiner Behandlung befinde. Er berichtet von einer chronisch verlaufenden paranoiden Schizophrenie. Die wahnhaften Symptome zeigten sich in ausgeprägten Verfolgungs- und Beziehungsideen. Der Wahn sei ebenso systematisch wie in seiner Dynamik gedämpft.

Betroffener kann seinen Wahn kontrollieren

Der Psychiater nannte es eine „doppelte Buchführung“. Der Betroffene sei misstrauisch, könne aber die Form wahren und sich bei umständlichen Gedanken ordnen. Er könne sich kaum an Regeln und Routinen halten, Aufgaben kaum strukturieren und planen, Kontakte schwer pflegen und Unternehmungen nur eingeschränkt durchhalten. Er ziehe sich zurück und verhalte sich wie ein Eigenbrötler.

Das Versorgungsamt sah die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht als erfüllt an und wies den Widerspruch als unbegründet zurück. Der ärztliche Bericht zeige nicht, dass der Betroffene ständig und dauerhaft von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei (eine zentrale Voraussetzung, um die Ermäßigung zu erhalten). Auch der GdB sei mit 80 richtig festgestellt.

Klage vor dem Sozialgericht

Der Betroffene klagte vor dem Sozialgericht München, um seinen Anspruch durchzusetzen. Er begründete dies damit, dass ihm seit 26 Jahren Stimmen seinen Gedanken mittels „mind control“ hinterhersprechen, ihn verspotten und hypnotisieren würden.

Alle Leute könnten diese Stimmen hören, und deshalb könne er nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, sich nirgends mehr sehen lassen und halte sich nur zu Hause auf. Er schaue auch nur selten fern, weil auch im Fernsehen und Radio über ihn gesprochen würde. Deshalb wolle er die Ermäßigung beim Rundfunkbeitrag.

Beauftragter Psychiater bestätigt Schizophrenie

Ein vom Sozialgericht beauftragter Sachverständiger bestätigte eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie sowie den Grad der Behinderung von 80. Er bezeichnete seine Entscheidung als grenzwertig.

Zwar meide der Betroffene seinen eigenen Ausführungen zufolge sämtliche öffentlichen Veranstaltungen, andererseits besuche er regelmäßig eine psychiatrische Tagesstätte (wo er sich unter Menschen aufhalte). Der Psychiater hob hervor, dass es sich bei der Tagesstätte um einen geschützten Rahmen handle.

Kläger glaubt, es sei geklont

Der Betroffene habe geschildert, Stimmen würden ihm Befehle erteilen, etwas zu tun und ihn hypnotisieren. Menschen würden zu Tausenden als Klone in nachgebauten Städten der USA leben. Er sei ebenso geklont wie seine Geschwister und alte Schulkameraden.

Er könne nicht zu Volksfesten oder ins Kino gehen, denn die Stimmen würden ihn dann so malträtieren, dass er es nicht aushalte. Auch beim Fernsehen fühle er sich beeinträchtigt, manipuliert und kontrolliert.

Mann wirkt orientiert und klar

Der Betroffene habe sich wach, klar und orientiert gezeigt, ohne Einschränkungen bei Konzentration, Merkfähigkeit, Auffassung und Gedächtnis. Gefühle der Überforderung und Unfähigkeit bestünden teilweise, ebenso Selbstzweifel und depressive Schwankungen.

Der Sachverständige hielt es für denkbar, das Merkzeichen RF zu gewähren, da es sich um eine grenzwertige Bewertung handle, obliege diese Entscheidung jedoch den Richtern.

Versorgungsamt fordert, die Klage abzuweisen

Das Versorgungsamt blieb weiter auf seinem Standpunkt. Die laufende Behandlung habe den Zustand des Betroffenen deutlich gebessert. Er lebe dank Unterstützung von Familie und Institutionen sogar allein im Haus seiner verstorbenen Eltern. Im Gutachten sei ersichtlich, dass er keine erhebliche Unruhe zeige, gerne fernsehe und Musik über eine Telefon-App höre.

Sozialgericht weist Klage ab

Das Sozialgericht wies die Klage in allen Punkten ab. Es bestehe weder Anspruch auf einen höheren Grad der Behinderung als 80 noch auf das Merkzeichen RF. Außer Blinden / wesentlich sehbehinderten Personen und Hörgeschädigten hätten Menschen mit einem Grad der Behinderung dann Anspruch auf Ermäßigung, wenn sie ständig nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könnten.

Dies gehe aus den Befundberichten jedoch nicht hervor. Die Gutachten beschrieben keine ständige motorische Unruhe, die es allgemein und umfassend ausschlösse, an Veranstaltungen teilzunehmen. Auch das Aufsuchen der Tagesstätte spreche dafür, dass er in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.

Berufung vor dem Landessozialgericht

Der Mann legte Berufung vor dem Bayerischen Landessozialgericht ein. He geltend, der Fall sei „grenzwertig“ und verwies auf den Sachverständigen sowie seinen behandelnden Psychiater, die ihm das Merkzeichen RF zubilligen würden. Deshalb habe das Sozialgericht nicht richtig entschieden.

In der Tagesstätte sei er nur unter Leuten, die er lange kenne, und die ihm nichts täten. Dies sei keine Öffentlichkeit.

Betreuer nimmt nicht am Verfahren teil

Der Betreuer betonte, dass er nicht am Verfahren teilnehme. Er halte das Urteil des Sozialgerichts für eindeutig, und die Behauptung des Betroffenen für abstrus, angebliche Einschränkungen seiner Gesundheit seien nicht berücksichtigt. Er habe dem Betroffenen freigestellt, gegen das Urteil vorzugehen.

Betroffener glaubt an Experimente, damit er keine Freundin findet

Das Versorgungsamt blieb bei seiner Argumentation, und der Betroffene wiederholte seine vor dem Sozialgericht vorgebrachte Begründung. Zudem sagte er, er habe Hoden- und Kopfschmerzen wegen der Versuche, die die Max-Planck-Gesellschaft an ihm durchführe. Er wolle keine solchen Experimente, die den Zweck hätten, dass er keine Freundin finde.

Internet statt Fernsehen

Er wohne zwar allein, aber Freunde, Bekannte und ein Bruder kämen fast täglich. Auch die würden die Stimmen hören, welche seine Gedanken laut aussprächen. Sein Bruder und die Malteser würden für ihn einkaufen, da er Angst habe, jemandem über den Weg zu laufen, den er nicht möge.

Er wolle Geld beim Rundfunkbeitrag sparen, da er sich einen Internetanschluss legen lassen habe, um in Kontakt mit anderen zu sein. Er wolle auch mal ins Ausland fahren, aber das koste Geld, welches er nicht habe.

Psychiater sieht kein Merkzeichen RF

Das Landessozialgericht beauftragte einen weiteren Psychiater als Sachverständigen. Dieser erklärte, die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF seien nicht erfüllt. Die bekannte Diagnose liege unverändert vor, verbunden mit zerfahrenem Denken und kaum bremsbarem Redefluss.

Der Betroffene verkenne die Realität, verarbeite andere Menschen paranoid und höre Stimmen. Vergleichbare Befunde gebe es bereits seit Jahrzehnten.

Angaben zum Besuch von Veranstaltungen widersprechen sich

Dem Betroffenen sei es sicher nur mit erheblicher Mühe möglich, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Seine eigenen Aussagen dazu widersprächen sich. So äußere er zum einen, dass er beim Kinobesuch durch Stimmen gestört würde. Andererseits sage er, dass er gerne wieder einmal ins Kino gehen würde, dass ihm aber das Geld fehle.

Es besteht die Fähigkeit, sich zu kontrollieren

Er habe keine Probleme gehabt, eine einstündige Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen. Innerhalb seiner Wahnvorstellungen habe er die Möglichkeit, sich zu kontrollieren und sei auch in der Lage, ein Zimmer in seinem Haus zu vermieten, ohne wesentliche Konflikte mit den Mietern zu haben.

Öffentliche Veranstaltungen zu besuchen ist nicht unmöglich

Grundsätzlich sei er also in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Die Gründe, die ihn an einem Besuch hinderten, seien ebenso eine eingeschränkte Konzentration wie seine paranoide Wahrnehmung und auch ein teilweise geringes Interesse.

Auch Geldmangel spiele eine Rolle. Dies alles bedeute aber nicht, dass es ihm vollständig unmöglich sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.

Landessozialgericht weist Berufung ab

Das Landessozialgericht wies die Berufung ab. Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF. Dieses sei neben Hörgeschädigten und Blinden / wesentlich Sehbehinderten für Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 80 vorgesehen, die wegen ihrer Beschwerden ständig überhaupt nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könnten. Dies sei hier nicht gegeben.

Die Anforderungen sind streng, zum Wohl der Betroffenen

Die Anforderungen seien äußerst streng, um Inklusion zu entwickeln. Praktisch sei die Unfähigkeit eines behinderten Menschen, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, gleichbedeutend mit einer Bindung an das Haus. Das subjektive Empfinden bedeute nicht, dass ein Besuch objektiv unzumutbar sei.

Wahnhafte Vorstellungen seien nicht mit einer objektiven Hinderung gleichzusetzen. Vielmehr sei dies ein Anlass, eine konsequente ärztliche Behandlung einschließlich Medikation in Angriff zu nehmen.