Ein Sozialamt darf Menschen mit Behinderungen nicht zwingen, das Pflegeheim zu wechseln. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen urteilte, dass ein Umzug in eine andere Einrichtung nicht gegen den Willen der Betroffenen erfolgen darf. (L 8 SO 47/21 B ER)
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Worum ging es?
Ein 52 Jahre alter Mann mit Schwerbehinderung lebte in einem Pflegeheim im Harz. Da er die Heimkosten nicht aus eigenen Mitteln decken konnte, übernahm diese vorerst das Sozialamt im Ennepe-Rihr-Kreis.
Nach rund eineinhalb Jahren, im Oktober 2020, teilte die Behörde dem Mann jedoch mit, dass er in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen betreut werden sollte. Dies sei bei seinen Einschränkungen sinnvoller.
Keine weitere Unterstützung vom Sozialamt
Außerdem stellte das Sozialamt die Leistungen ein und schrieb, der Betroffene sollte stattdessen Eingliederungshilfe beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe beantragen.
Der Mann will bleiben
Der Betroffene fühlte sich jedoch in der Einrichtung im Harz wohl, gut betreut und hatte sich eingelebt.
Er wollte nicht wechseln und fürchtete außerdem, dass eine ähnlich gute Versorgung in einer anderen Einrichtung nicht gegeben sei.
Sorge wegen psychischer Probleme
Diese Sorge kam auch daher, dass er psychische Probleme hatte, die die Betreuer der Einrichtung im Harz kannten, und mit denen sie umgehen konnten.
Er hatte Angst, dass sich seine psychischen Beschwerden in einer anderen Einrichtung verschlechterten. Vor Gericht sagte er aus, dass ihn bereits Einrichtungen für Behinderte abgelehnt hätten, weil der Pflegeaufwand zu hoch gewesen wäre.
Mit dem Einstellen der Mittel des Sozialamtes drohte ihm die Kündigung des derzeitigen Heimplatzes.
Das Sozialamt muss weiter zahlen
Das Landessozialgericht folgte der Argumentation des Pflegebedürftigen und verpflichtete das Sozialamt vorläufig dazu, weiter den Aufenthalt in der Einrichtung im Harz zu zahlen.
Es geht um Menschenwürde und Selbstbestimmung”
Wesentlich für die Eingliederungshilfe sei es, so das Gericht, Menschenwürde und SAelbstbestimmung zu wahren.
Dies bedeute Achtung und Respekt gegenüber der freien Entscheidung behinderter Menschen gegen die Inanspruchnahme von Leistungen der Eingliedeurngshilfe.
Autonomie, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung behinderten Menschen hätten Vorrang gegenüber vermeintlich besseren Hilfsangeboten.
Unzulässiger Druck
Der Pflegebedarf werde derzeit gedeckt und damit hätte der Betroffene weiterhin Anspruch auf Übernahme der Heimkosten. Diese zu verweigern, sei ein unzulässiger Druck des Sozialamts gewesen.
Fazit: Klare Kante gegen Behördenwillkür
Dieses Urteil ist richtig, wichtig und notwendig. Zwar sind Rechte für Menschen mit Behinderungen und der Schutz der Betroffenen gegen Diskriminierung gesetzlich festgeschrieben, doch die Praxis deutscher Behörden sieht oft gänzlich anders aus.
Bevormundung durch das Sozialamt
Immer wieder maßen sich Mitarbeiter von Behörden an, über die Köpfe der Betroffenen hinweg zu entscheiden. So wie in diesem Fall bevormunden Sozialämter diese Menschen und behaupten, sie wüssten besser, was gut für die Betroffenen sei als die Betroffenen selbst.
Wollte das Sozialamt sich aus der Verantwortung schleichen?
Zudem kommt in diesem Fall der Verdacht auf, dass das Sozialamt die Behauptung, eine andere Einrichtung sei besser geeignet, lediglich vorschob, um den Pflegebedürftigen an eine andere Behörde zu verschieben.
Ob das Sozialamt den Betroffenen “nur” bevormundete oder dies außerdem auf niederen Beweggründen tat, sei dahingestellt.
Autonomie darf nicht verletzt werden
Gut ist jedenfalls, dass das Landessozialgericht klar gestellt hat, dass Menschenwürde, Menschenrechte, Autonomie und Selbstbestimmung nicht verletzt werden dürfen.
Menschen mit Behinderung, die in einer ähnlichen Situation sind, können sich bei Übergriffen von Behörden auf dieses Urteil beziehen.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.