Voraussetzung fรผr das Merkzeichen RF ist, dass der schwerbehinderte Mensch mit einem Grad der Behinderung von mindestens 80 wegen seines Leidens stรคndig nicht an รถffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann.
Das gilt auch, wenn Betroffene mehrere gesundheitliche Beeintrรคchtigungen haben, die jeweils fรผr sich allein nicht ausreichen wรผrden. Das Wechselspiel zwischen den einzelnen Einschrรคnkungen kann zur Zuerkennung des Merkzeichens RF fรผhren (L 3 SB 3862/12).
Das Merkzeichen RF wird im Schwerbehindertenausweis eingetragen und berechtigt in der Regel zu einer Ermรครigung des Rundfunkbeitrags auf ein Drittel, nicht automatisch zur vollstรคndigen Befreiung.
Eine vollstรคndige Befreiung vom Rundfunkbeitrag kann sich nur in bestimmten Fรคllen, etwa beim Bezug bestimmter Sozialleistungen oder bei Taubblindheit, ergeben. Auรerdem kรถnnen auch blinde, hochgradig sehbehinderte oder gehรถrlose Menschen unter besonderen Voraussetzungen das Merkzeichen RF erhalten.
Inhaltsverzeichnis
Antrag abgelehnt
Der Betroffene beantragte die behรถrdliche Feststellung des Merkzeichens RF. Sein Grad der Behinderung betrรคgt 100. Zu den Beeintrรคchtigungen gehรถren eine chronische Darmerkrankung (Colitis ulcerosa), psychische Stรถrungen (posttraumatische Belastungsstรถrung sowie Phobien) und degenerative Wirbelsรคulenverรคnderungen.
Trotz dieser zahlreichen Beschwerden lehnte die zustรคndige Versorgungsbehรถrde (Versorgungsamt) die Feststellung des Merkzeichens RF ab. Zur Begrรผndung hieร es, Toiletten seien regelmรครig erreichbar, und Hilfsmittel wegen Inkontinenz (Windelhosen) seien zumutbar. Die Einschrรคnkungen fรผhrten nach Auffassung der Behรถrde nicht dazu, dass der Betroffene generell nicht an Veranstaltungen teilnehmen kรถnne.
Sozialgericht folgt der Behรถrde โ Landessozialgericht korrigiert
Das Sozialgericht stimmte der Argumentation der Behรถrde im Wesentlichen zu und wies die Klage ab.
Der Betroffene legte Berufung ein. Das Landessozialgericht entschied anschlieรend, dass ihm das Merkzeichen RF zuzuerkennen ist. Die Richter rรผgten, dass die Vorinstanzen die gesundheitlichen Beeintrรคchtigungen des Mannes nicht in ihrem Zusammenwirken, sondern nur isoliert betrachtet hatten.
Zumutbarkeit ist Gesamtbewertung โ nicht nur โsubjektives Empfindenโ
Zwar sei es grundsรคtzlich richtig, dass das Aufsuchen einer Toilette und das Verwenden von Inkontinenzhilfen bei รถffentlichen Veranstaltungen objektiv zumutbar sein kรถnnen. Die Vorinstanz habe jedoch nicht hinreichend berรผcksichtigt, dass beim Klรคger eine krankheitswertige Phobie vorliegt.
Entscheidend ist dabei nicht eine bloรe subjektive Scham oder Unlust, sondern eine รคrztlich bestรคtigte psychische Stรถrung, die in die rechtliche Zumutbarkeitsprรผfung einzubeziehen ist.
Krankhafte Angst, andere Menschen zu belรคstigen
Der Betroffene litt unter einer ausgeprรคgten Angst, andere Menschen durch seine Inkontinenz zu belรคstigen. Diese krankhafte Furcht fรผhrte dazu, dass er seit mindestens 2001 keine รถffentlichen Veranstaltungen mehr besuchte. Dieses Verhalten war nach Auffassung des Gerichts Ausdruck der psychischen Stรถrung und nicht frei wรคhlbare Vermeidungsstrategie.
Erhรถhte Infektionsgefahr verstรคrkt die Einschrรคnkungen
Hinzu kam eine durch die Medikation bedingte deutlich erhรถhte Infektanfรคlligkeit. Die behandelnde รrztin berichtete von hรคufigen grippalen Infekten mit Fieber sowie Pilzerkrankungen. Besonders hervorgehoben wurde ein schwerer, zwei Wochen andauernder Infekt mit mehrtรคgigem Fieber รผber 41 Grad. Diese gesundheitliche Situation machte Aufenthalte in Menschenmengen zusรคtzlich unzumutbar.
Psychische und kรถrperliche Beeintrรคchtigungen greifen ineinander
Das Gericht stellte heraus, dass beim Betroffenen ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren vorliegt: tatsรคchliche Folgen der Inkontinenz, eine langjรคhrige psychische Stรถrung mit krankhafter Angst sowie eine erhebliche medikamentรถs bedingte Infektanfรคlligkeit.
In der Gesamtschau sei es ihm nicht zumutbar, an รถffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Damit seien die Voraussetzungen fรผr das Merkzeichen RF erfรผllt.
Was bedeutet das Urteil fรผr Betroffene?
Die Entscheidung des Landessozialgerichts (Urteil vom 16.01.2013, L 3 SB 3862/12) stellt klar: Ob ein Mensch mit Schwerbehinderung im Sinne des Merkzeichens RF โstรคndigโ nicht an รถffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann, kann sich aus kรถrperlichen, psychischen oder โ wie hier โ aus dem Zusammenwirken beider ergeben. Die Prรผfung der Zumutbarkeit muss immer eine Gesamtschau vornehmen und ausdrรผcklich auch die psychische Verfassung berรผcksichtigen.
Fรผr Betroffene wichtig: Das Merkzeichen RF ist eine Voraussetzung fรผr die Rundfunkbeitrags-Ermรครigung, ersetzt aber nicht den Antrag beim Beitragsservice.
Wer zusรคtzlich bestimmte Sozialleistungen (z. B. Bรผrgergeld, Grundsicherung) erhรคlt oder zu den besonders geschรผtzten Gruppen gehรถrt, kann unabhรคngig davon eine vollstรคndige Befreiung vom Rundfunkbeitrag beantragen.




