Schwerbehinderung: Arbeitsassistenz gilt auch für Rente – Urteil

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Als Mensch mit Schwerbehinderung müssen Sie sich mit Vorschriften im Schnittpunkt zwischen Behinderung, Arbeit und Rente auseinandersetzen. Diese sind oft nicht aufeinander abgestimmt, und widersprechen sich bisweilen deutlich.

Behindertenrecht und Rentenrecht

Menschen haben so etwa mit Schwerbehinderung ein Recht auf Nachteilsausgleiche im Erwerbsleben. Das Rentenrecht besagt allerdings, dass mit Eintritt des Rentenalters das Berufsleben endet.

Deswegen zahlen Altersvollzeitrentner nicht mehr in die Arbeitslosen- und Rentenversicherung ein, und als Stichtag für die reguläre Altersrente gilt die Regelaltersgrenze.

Nachteilsausgleiche im Arbeitsleben

Was ist jetzt aber, wenn Nachteilsausgleiche für Menschen mit Schwerbehinderung sich auf das Arbeitsleben beziehen? Verfallen diese Ansprüche dann mit der Rente? Oder hat das Behindertenrecht Vorrang?

Arbeitsassistenz gilt auch im Rentenalter

Häufig müssen Gerichte klären, ob ein Anspruch durchgesetzt werden kann. In einem konkreten Fall entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass das Überschreiten des Rentenalters für die Übernahme einer Arbeitsassistenz eines Blinden keine Rolle spielt. )5 C 6.20).

Laut diesem Urteil kann ein schwerbehinderter Mensch über das Integrationsamt die Kostenübernahme einer notwendigen Arbeitsassistenz auch dann beanspruchen, wenn er das reguläre Renteneintrittsalter überschritten hat – und auch, wenn er bereits in Rente ist.

Ein blinder Lehrer arbeitete nach der Rente weiter

Der Betroffene kam 1951 zur Welt. Er ist blind und hat einen anerkannten Rat der Behinderung von 100. Er betrieb ein Gewerbe, arbeitete selbstständig als Lehrer und Berater.

Der Landeswohlfahrtsverband finanzierte ihm eine Assistenzkraft für die Arbeit mit 22 Wochenstunden und monatlich 1.650 Euro.

Ab dem 1. Juli 2016 bezog der Betroffene eine Altersrente. Der Verband strich daraufhin die Finanzierung der Assistenzkraft. Der Betroffene war aber auch nach Renteneintritt weiter erwerbstätig und deshalb auf die Assistenz angewiesen.

Klagen waren lange erfolglos

Der Selbstständige stellte einen Antrag, die Kosten vom 1. Juli 2016 bis zum 30. Juni 2017 weiter zu übernehmen, und der Träger lehnte diesen ab und ebenso der Widerspruch gegen die Ablehnung.

Auch eine Klage des Betroffenen vor dem Verwaltungsgericht war erfolglos. Doch das Bundesverwaltungsgericht stimmte ihm letztlich zu und wies die Sache an die vorherige Instanz zurück, um diese anderweitig zu verhandeln.

Altersgrenze ist nicht geregelt

Das Bundesverwaltungsgericht stellte etwas Grundsätzliches fest, auf das sie sich als Mensch mit Schwerbehinderung in ähnlicher Situation berufen können, denn es ging hier nicht nur um den konkreten Fall.

Das Gericht führte folgendes aus zum Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz als begleitender Hilfe im Arbeitsleben (Paragraf 102 Absatz 4 Neuntes Sozialgesetzbuch).

Eine Altersgrenze sei in diesem Paragrafen nicht ausdrücklich geregelt. Sie lasse sich auch, im Gegensatz zur Einschätzung des Landeswohlfahrtsverbandes und des Verwaltungsgerichts, nicht auslegen.

Erwerbsarbeit und reale Assistenzleistungen

Der Anspruch entstünde hingegen daraus, dass ein Mensch mit Schwerbehinderung einer nachhaltig betriebenen Erwerbsarbeit nachgehe, die geeignet sei, “dem Aufbau bzw. der Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage zu dienen.”

Ein weiteres Kriterium sei, dass reale Assistenzleistungen erbracht würden, die notwendig seien. Dabei müssten die konkreten Arbeitsumstände zum Ausgleich von Nachteilen berücksichtigt werden, welche sich aus der Behinderung ergeben.

Diese Voraussetzungen müsste der Verwaltungsgerichtshof prüfen, und deshalb könne das Bundesverwaltungsgericht hier nicht abschließend in der Sache entscheiden, sondern weise die Sache zurück an die vorige Instanz.

Die Notwendigkeit ist gegeben

Bei dem Betroffenen besteht kein Zweifel, dass die Voraussetzungen weiterhin bestehen, um eine Arbeitsassistenz als Nachteilsausgleich zu beschäftigen. Um weiterhin seiner Arbeit nachzugehen, benötigt er diese Hilfe.

Der Landeswohlfahrtsverband hatte zuvor auch nie infrage gestellt, ob diese Kriterien erfüllt seien. Ausschlaggebend für das Einstellen der Leistung war ausschließlich die begonnene Altersrente.

Warum ist das Urteil wichtig?

Was das Bundesverwaltungsgericht nicht ausführte: Dieser Mensch mit Schwerbehinderungen hätte ohne die Kostenübernahme einen realen Nachteil gegenüber Menschen ohne Schwerbehinderung in der gleichen Situation.

Er ist auf Assistenz angewiesen. Ohne Kostenübernahme müsste er diese entweder selbst zahlen oder könnte seiner Erwerbstätigkeit nicht nachgehen.

Da Rentner unbegrenzt hinzuverdienen dürfen, und ohne entsprechende Einschränkung keinen Assistenten benötigen, besteht ein enormer Nachteil für den Betroffenen, wenn er keine Hilfe bezahlt bekommt.

Es ist deshalb gut und richtig, dass das Gericht hier klargestellt hat, dass dieser Nachteilsausgleich so lange besteht, wie er nötig ist.

Das Urteil ist wichtig, weil es über diesen Fall hinausweist. Als Mensch mit Schwerbehinderung können sie sich darauf beziehen, wenn sie in Rente gehen und weiter mit notwendiger Arbeitsassistenz einer Erwerbstätigkeit nachgehen.