Rückwirkend Anspruch auf Krankengeld – Urteil

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Krankenkassen dürfen den Anspruch auf Krankengeld nicht ablehnen, wenn der Arzt-Patienten-Kontakt aus Gründen, die im Verantwortungsbereich des Arztes liegen, verspätet zustande gekommen ist. Dann gibt es dennoch rückwirkend einen Anspruch auf Krankengeld.

Dies entschied das Landessozialgericht (LSG) Hessen im September 2020. Voraussetzung ist, dass die Versicherte alles Mögliche unternommen hat, um die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig feststellen zu lassen.

Hintergrund des Falles: Streit um Krankengeldzahlung

Im verhandelten Fall klagte eine Versicherte gegen die Ablehnung ihres Krankengeldanspruchs durch die Krankenkasse. Die 1963 geborene Frau war seit dem 6. März 2018 aufgrund von Neurasthenie (ICD-10 F 48.0) arbeitsunfähig und erhielt bis zum 18. März 2018 Krankengeld.

Da ihr behandelnder Arzt aus organisatorischen Gründen erst am 21. März 2018 einen Folgetermin anbieten konnte, versäumte sie den gesetzlich vorgegebenen Zeitrahmen zur lückenlosen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit. Der daraufhin gestellte Antrag auf Krankengeld ab dem 19. März 2018 wurde von der Krankenkasse abgelehnt.

Die Versicherte legte Widerspruch ein, welcher ebenfalls abgelehnt wurde. Sie klagte schließlich vor dem Sozialgericht Darmstadt.

Entscheidung des Sozialgerichts: Ablehnung der Klage

Das Sozialgericht Darmstadt wies die Klage der Versicherten im Mai 2020 ab. Zur Begründung verwies das Gericht auf die Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB V), nach denen der Anspruch auf Krankengeld unter anderem von der rechtzeitigen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit abhängig sei.

Berufung zum Landessozialgericht Hessen: Versicherte im Recht

Die Versicherte legte Berufung beim Landessozialgericht Hessen ein und argumentierte, dass sie alles in ihrer Macht Stehende getan habe, um den Termin rechtzeitig zu erhalten. Sie verwies darauf, dass sie die Praxis bereits am 19. März telefonisch kontaktierte, der behandelnde Arzt jedoch keinen früheren Termin anbieten konnte und darauf hinwies, dass die Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch rückwirkend möglich sei.

Das LSG Hessen hob die Entscheidung des Sozialgerichts auf und verurteilte die Krankenkasse zur Zahlung des Krankengeldes für den Zeitraum vom 19. März 2018 bis zum 13. August 2018.

Anforderungen an den Arzt-Patienten-Kontakt

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ein persönlicher Kontakt mit dem behandelnden Arzt notwendig, um die Arbeitsunfähigkeit festzustellen und den Anspruch auf Krankengeld zu sichern.

Diese Bescheinigung muss spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgen.

Versäumnis aufseiten des Arztes und Zurechenbarkeit

Das LSG Hessen entschied, dass die verspätete Feststellung der Arbeitsunfähigkeit der Versicherten nicht zur Last gelegt werden könne, da die Verzögerung im Verantwortungsbereich des Arztes lag. Die Versicherte habe alles in ihrer Macht Stehende getan, um einen rechtzeitigen Termin zu erhalten.

Das LSG bezog sich dabei auf die Grundsätze des Übermaßverbotes und des Rechtsgedankens von Treu und Glauben. Ein Versicherter könne nicht für Versäumnisse haftbar gemacht werden, die in der Verantwortung des Arztes oder der Krankenkasse liegen. Diese Sichtweise wurde bereits in mehreren Urteilen des BSG bestätigt und nun erneut vom LSG Hessen bekräftigt.

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Rechtsprechung des Bundessozialgerichts: Erweiterung der Unschädlichkeit

Das BSG hat in seiner bisherigen Rechtsprechung enge Ausnahmen anerkannt, wenn eine lückenlose ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht eingehalten werden konnte. Insbesondere dann, wenn der Versicherte alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, der behandelnde Arzt jedoch irrtümlich oder aus organisatorischen Gründen keinen rechtzeitigen Termin vergeben konnte, bleibt der Krankengeldanspruch bestehen.

In einem Urteil vom März 2020 entschied das BSG, dass auch eine telefonische Kontaktaufnahme als ausreichend angesehen werden könne, wenn der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt aus Gründen, die der Sphäre des Arztes zuzurechnen sind, verspätet zustande kommt.

Verpflichtungen der Versicherten: Zumutbarkeit und Eigenverantwortung

In der Rechtsprechung des BSG wird hervorgehoben, dass Versicherte grundsätzlich dazu verpflichtet sind, alles ihnen Zumutbare zu unternehmen, um eine rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu gewährleisten. Dies bedeutet, dass sie sich frühzeitig um einen Arzttermin bemühen müssen.

Im vorliegenden Fall hat die Versicherte diese Verpflichtung erfüllt, indem sie am letzten Tag der Frist die Arztpraxis kontaktierte. Ein “Arzt-Hopping”, also das Aufsuchen eines anderen Arztes, wäre weder zumutbar noch erforderlich gewesen, insbesondere da der behandelnde Arzt bereits mit der Krankheitsgeschichte der Patientin vertraut war.

Vertragsärztliche Pflichten und Krankenkassenverantwortung

Das Urteil des LSG Hessen stellt klar, dass auch Vertragsärzte und Krankenkassen eine Verantwortung gegenüber den Versicherten tragen. Die Vertragsärzte sind verpflichtet, im Rahmen des Möglichen Termine zur Sicherstellung der Krankengeldansprüche ihrer Patienten anzubieten.

Eine falsche oder verspätete Beratung durch den Arzt darf nicht zulasten der Versicherten gehen. Die Krankenkassen müssen in solchen Fällen die Verantwortung übernehmen.

Konsequenzen für die Praxis: Schutz der Versicherten

Das Urteil des LSG Hessen stärkt die Rechte der Versicherten und schützt sie vor den Folgen organisatorischer Probleme in Arztpraxen, die sie nicht zu vertreten haben.

Versicherte können sich darauf verlassen, dass ihr Anspruch auf Krankengeld auch dann nicht gefährdet ist, wenn der behandelnde Arzt aus Gründen, die nicht in ihrer Verantwortung liegen, keinen rechtzeitigen Termin anbieten kann.

Bedeutung des Urteils für zukünftige Fälle

Mit diesem Urteil hat das LSG Hessen die Rechtsprechung des BSG konsequent angewendet und erweitert. Es zeigt, dass Krankenkassen nicht allein aufgrund formaler Fristversäumnisse Krankengeld verweigern dürfen.