Wenn die Rentenversicherung ausgezahltes Geld zurückverlangt, dann muss sie diese Forderung begründen, und zwar nachvollziehbar. Vage Aussagen geschweige denn die Forderung allein reichen nicht aus, um einen finanziellen Anspruch zu stützen.
So entschied das Sozialgericht Berlin in einem konkreten Fall. (S 19 R 964/21)
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Witwer sollte 8000 Euro zahlen
Die Rentenversicherung verlangte von einem über 80jährigen Witwer, 8000 Euro zurückzuzahlen. Für den Betroffenen war das ein Schock. Hinzu kam noch, dass er beim besten Willen nicht wusste, warum er dieses Geld zurückzahlen musste und die Versicherung keinen konkreten Grund nannte.
Rente neu berechnet, Fehler der Versicherung
2019 berechnete die Rentenversicherung die Witwerrente neu und zahlte sie in Höhe von 530 Euro aus. 2020 stellte der Träger jedoch einen Fehler in der Berechnung fest und zahlte nur noch 267 Euro pro Monat.
Der Grund war die Anrechnung von Tantiemen für die Schauspieltätigkeiten seiner verstorbenen Gattin. Jetzt wollte die Versicherung 8000 Euro von dem Witwer haben.
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Widerspruch und Klage
Ein Widerspruch des Witwers blieb erfolglos. Mit Hilfe des DGB Rechtsschutzes legte er deshalb Klage beim Sozialgericht Berlin ein. Dieses gab dem Rentner Recht. Es entschied, dass der Rückforderungsbescheid formal fehlerhaft sei, und das bedeute, er sei rechtswidrig.
“Schutzwürdiges Vertrauen”
Selbst ein früherer rechtswidriger Bewilligungsbescheid dürfe nicht zurückgenommen werden, wenn derjenige, der davon begünstigt gewesen sein, auf dessen Gültigkeit vertraut hätte und sein Vertrauen schutzwürdig sei.
Was bedeutet Schutzwürdigkeit?
Das Gericht erläuterte: “Schutzwürdigkeit liegt in der Regel dann vor, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder Vermögensdispositionen getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 S. 2 SGB X).”
Dies sei hier der Fall, ohne Zweifel seien die bewilligten Rentenleistungen längst verbraucht.
Rentenversicherung bezieht sich nicht auf den konkreten Fall
Zudem hätte der Aufhebungsbescheid sich nicht auf den konkreten Fall bezogen, und für den Witwer sei völlig unklar geblieben, auf welche konkrete Regelung sich die Rückforderung bezöge.
Die Versicherung hätte selbst ermitteln müssen
Die Rentenversicherung hätte es versäumt, selbst zu ermitteln, prüfen und aufzuklären, ob die Voraussetzungen für eine Aufhebungsverfügung vorlägen.
Zumindest hätte im Aufhebungsbescheid stehen müssen, warum sich der Witwer nicht auf Vertrauensschutz berufen könne und was der Vorwurf an ihn sei. Dies sei notwendig, weil der Betroffene ansonsten keine Möglichkeit hätte, sich gegen die Aufhebung zu verteidigen.
Es sei völlig unklar, ob und wenn dann wann der Witwer von den Tantiemen gewusst hätte, ob er fahrlässig gehandelt hätte oder sogar bewusst versucht hätte, eine Täuschung zu begehen. Es sei nicht die Aufgabe des Gerichts, dies nachzuprüfen, und dies sei auch nicht der Inhalt der Klage.
Vielmehr beurteile das Gericht nur, ob der angefochtene Bescheid rechtens sei. Das Gericht hob den angefochtenen Bescheid auf. Die 8.000 Euro wird er nicht zahlen müssen, denn dafür müsste die Versicherung einen neuen Bescheid für die Rückforderung stellen. Die Fristen dafür sind inzwischen abgelaufen.
Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht, Sozialpolitik und Naturwissenschaften. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.