Rente: Urteil trifft 3 Millionen Bestandsrentner hart

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Das Bundessozialgericht (BSG) hatte entschieden, dass alle Erwerbsminderungs-Bestandsrentner, deren Leistung vor dem 1. Januar 2019 begonnen hat, keinen Anspruch auf eine Neuberechnung nach den seit 2019 verlängerten Zurechnungszeiten haben. Damit bleiben rund drei Millionen Menschen auf deutlich niedrigeren Renten sitzen – ein Urteil, das sozialpolitisch hohe Wellen schlägt.

Um was es ging

Zurechnungszeiten sind fiktive Versicherungsjahre, die der Rentenversicherung so angerechnet werden, als hätten Betroffene bis zu einem bestimmten Alter weitergearbeitet.

Seit 2019 wird bei neuen Erwerbsminderungsrenten so gerechnet, als reichte die Erwerbsbiografie bis über das 65. Lebensjahr hinaus; zuvor endete sie früher. Für Bestandsrentner blieb es dagegen bei der alten, kürzeren Zeitspanne – ein Unterschied, der im Schnitt gut 70 Euro im Monat ausmacht und im konkreten Musterfall sogar 185 Euro brutto.

Der Weg durch die Instanzen

Der Kläger, seit 2004 voll erwerbsgemindert, wollte genau diese längere Zurechnungszeit auch für seine laufende Rente durchsetzen. Nachdem das Sozialgericht Duisburg und das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen seine Klage abgewiesen hatten, landete das Verfahren in Kassel. Unter dem Aktenzeichen B 5 R 29/21 R wies der 5. Senat die Revision schließlich zurück – ebenso ein Parallelverfahren mit identischer Fragestellung.

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts

Die Kasseler Richter sahen in der Ungleichbehandlung von Neu- und Bestandsrentnern keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Sie verwiesen erstens auf das Rentenbeginnprinzip, wonach Reformen grundsätzlich nur für Neurentner gelten; zweitens auf den Gesetzeszweck, künftige, nicht vergangene Erwerbsbiografien abzusichern; drittens auf den Grundsatz der Finanzierbarkeit; und viertens darauf, dass der Gesetzgeber mit Blick auf die Haushaltslage gestaffelt reformieren durfte.

Rentengerechtigkeit?

Würde man alle vor 2019 bewilligten Renten rückwirkend anheben, entstünden laut Berechnungen der Rentenversicherung jährliche Mehrkosten von weit über vier Milliarden Euro – Geld, das im Umlagesystem sofort aufgebracht werden müsste.

Die Richter stuften diese Summe als „erheblich“ und die Entscheidung des Gesetzgebers, sie zu vermeiden, als legitim ein. Sozialverbände kontern, dass das gesamtgesellschaftliche Armutsrisiko erwerbsgeminderter Menschen durch das Urteil vergrößert werde.

Der pauschale Rentenzuschlag

Um die Kluft zumindest zu verkleinern, hat der Gesetzgeber einen pauschalen Zuschlag eingeführt. Seit dem 1. Juli 2024 erhöhen sich Renten, die zwischen 2001 und Juni 2014 begonnen haben, um 7,5 Prozent; für Renten mit Beginn zwischen Juli 2014 und Ende 2018 gibt es 4,5 Prozent. Der Zuschlag wirkt automatisch auf die persönlichen Entgeltpunkte – ein Antrag ist nicht nötig.

Warum die Lücke bleibt

Trotz dieses Zuschlags erreicht die Monatsrente eines Bestandsrentners je nach Einzelfall oft nur zwei Drittel des Niveaus eines gleich gelagerten Neurentners. Im oben genannten Musterfall steigt sie um knapp 128 Euro, während eine Neuberechnung nach neuem Recht gut 185 Euro gebracht hätte. Verbände kritisieren deshalb einen dauerhaften Nachteil von bis zu 20 Prozent.

Reaktionen von Betroffenen und Verbänden

Der Sozialverband VdK sprach unmittelbar nach dem Urteil von einer „bitteren Entscheidung“ und kündigte an, Karlsruhe anzurufen. Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) wertete das Ergebnis als schwere Hypothek für die soziale Teilhabe Erwerbsgeminderter. Beide Verbände stützen sich auf rund 1,8 Millionen Ratsuchende, die sich von der Reform ausgeschlossen fühlen.

Karlsruhe bestätigt die Linie des BSG

Im Juni 2023 griff das Bundesverfassungsgericht den Fall unter dem Aktenzeichen 1 BvR 847/23 auf – und nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Die Karlsruher Richter erklärten, der Gesetzgeber dürfe aus administrativen und finanziellen Gründen Stichtage setzen, solange diese sachlich nachvollziehbar seien. Damit ist der Rechtsweg praktisch ausgeschöpft.

Während das Urteil die Konsistenz der gesetzlichen Rentenformel bewahrt und das Risiko weiterer Milliardenlasten vermeidet, festigt es strukturelle Ungleichheiten im unteren Einkommenssegment. Gut jeder siebte Erwerbsgeminderte bezieht neben der Rente Leistungen aus der Grundsicherung – eine Quote, die mit Blick auf die Nachholeffekte eher steigen dürfte.