Wenn Sozialgerichte tagesaktuelle Krimis schreiben, dann findet sich die Handlung oft tief in der Aktenlage. Genau das zeigt ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 11. Juni 2025 (Az. L 33 R 333/21).
Eine Frau scheiterte mit dem Versuch, sich um 14 Jahre älter zu machen und so in den rentenversicherten Ruhestand zu gleiten.
Ihre Strategie: eine neue Identität, eine neue Sozialversicherungsnummer und ein türkischer Pass, der sie auf das Geburtsjahr 1946 zurückdatiert. Doch die Richterinnen und Richter griffen zu einem Mittel, das man eher aus Strafverfahren kennt: dem Vergleich historischer Fingerabdrücke.
Was wurde genau verhandelt?
Die Klägerin war 1981 gemeinsam mit ihrem Ehemann in die Bundesrepublik eingereist. Damals erklärte sie sich als Frau Y., geboren 1960 in Beirut, staatenlos, und legte einen libanesischen Pass vor. Auf dieser Grundlage erhielt sie ihre Sozialversicherungsnummer – der Beginn eines gewöhnlichen Lebenslaufs in Deutschland.
Erst 2015 stellte sie ihre Geschichte auf den Kopf: Nun heiße sie Frau T., sei 1946 in der Türkei geboren und türkische Staatsbürgerin. Ein 2014 ausgestellter türkischer Pass und ein Auszug aus dem Personenstandsregister sollten das „neue“ Alter belegen.
Sozialgericht gab statt – Berufungsinstanz legte den Hebel um
Vor dem Sozialgericht Berlin war die Inszenierung zunächst erfolgreich. Das Gericht verpflichtete die Rentenversicherung, eine neue Versicherungsnummer auf Basis des Geburtsjahres 1946 zu erteilen, womit der Weg zur Altersrente frei gewesen wäre.
Doch die Rentenversicherung legte Berufung ein – und der 33. Senat des LSG nahm sich des Falls mit kriminalistischer Akribie an.
Forensische Sachaufklärung: Abgleich jahrzehntealter Fingerabdrücke
Kernstück der Beweisaufnahme war ein Abgleich der Fingerabdrücke, die die Klägerin bei der Einreise hinterlassen hatte, mit neuen Abdrucken aus dem laufenden Verfahren.
Das Ergebnis ließ keine Zweifel: Frau Y. und Frau T. sind identisch. Damit stand fest, dass die nachträgliche Verlagerung des Geburtsjahrs nicht auf einer Personenverwechslung beruhte, sondern auf bewusster Täuschung.
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Gewicht des „erstgenannten Datums“ und Zweifel an späten Registereinträgen
Rechtlich stützte sich das LSG auf das Prinzip, dass das der Rentenversicherung erstmals mitgeteilte Geburtsdatum maßgeblich bleibt, solange nicht eine ältere, zuverlässigere Urkunde das Gegenteil beweist.
Die türkische Registereintragung war – so das Gericht – rund 17 Jahre nach dem angeblichen Geburtsjahr erfolgt und deshalb nicht überzeugender als der seinerzeit vorgelegte libanesische Pass.
Zudem passte das neue Alter nicht zur Biografie: Die Klägerin hätte 1977 einen damals erst 14-jährigen Ehemann geheiratet und bis ins vermeintliche 46. Lebensjahr Kinder bekommen – Szenarien, die das Gericht als „lebensfern“ einstufte.
Urteil noch nicht rechtskräftig
Obwohl das Urteil die Klage vollständig abwies, ist der Rechtsstreit formal offen. Die unterlegene Klägerin kann beim Bundessozialgericht einen Antrag auf Zulassung der Revision stellen. Damit bleibt eine letzte prozessuale Chance – allerdings ohne neue Tatsachen, sondern nur auf Rechtsfragen beschränkt.
Signalwirkung für Verwaltung und Betroffene
Der Fall zeigt, dass auch Sozialgerichte nicht blind an amtliche Dokumente gebunden sind. Wo Indizien für Manipulation vorliegen, dürfen sie eigenständig Beweise erheben – bis hin zu kriminaltechnischen Methoden.
Künftig könnten Antragstellerinnen und Antragsteller, die ihr Geburtsdatum korrigieren wollen, noch genauer darlegen müssen, warum ältere oder widersprechende Urkunden glaubwürdiger sein sollen als einstige Einreisedaten.