Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung: Ausnahmen bei Fristen beachten

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Ein 60-jähriger schwerbehinderter Produktionshelfer stand vor einer plötzlichen Kündigung, ohne dass das Inklusionsamt hinzugezogen wurde – ein klarer Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften. Der Fall landete vor dem Arbeitsgericht Iserlohn.

Im Arbeitsrecht gelten spezielle Regeln für Schwerbehinderte, die nicht nur den Kündigungsschutz betreffen, sondern auch besondere Fristen und Anforderungen für die gerichtliche Klärung voraussetzen.

Kündigungsschutzklage: Drei Wochen Frist, aber Ausnahmen für Schwerbehinderte

Grundsätzlich müssen Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine Kündigungsschutzklage erheben, wenn sie sich gegen die Entlassung wehren wollen.

Diese Frist gilt auch für Menschen mit einem anerkannten Grad der Behinderung von mindestens 50. Der Arbeitgeber benötigt bei schwerbehinderten Arbeitnehmern die Zustimmung des Integrations- oder Inklusionsamtes zur Kündigung.

Veränderte Ausschlussfristen im Arbeitsvertrag

In dem Fall des Produktionshelfers spielten neben den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen auch die vertraglich vereinbarten Ausschlussfristen eine Rolle. Statt der üblichen tariflichen Regelungen in der Zeitarbeitsbranche war im Arbeitsvertrag eine Ausschlussfrist von vier Monaten für die Geltendmachung von Forderungen sowie eine viermonatige Klagefrist festgelegt worden.

Nach der Kündigung hatte der Arbeitnehmer zunächst keine Kündigungsschutzklage erhoben. Erst im Juni 2023, nach rechtlicher Beratung durch den gewerkschaftlichen Rechtsschutz, entschloss er sich zur Klageerhebung.

Er beantragte die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und forderte die Auszahlung offener Ansprüche aus seinem Arbeitszeitkonto sowie Lohn aus Annahmeverzug ab März 2023.

Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlender Zustimmung

Das Arbeitsgericht entschied, dass die Kündigung des Produktionshelfers ohne die Zustimmung des Inklusionsamtes unwirksam und nichtig war. Nach § 4 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) beginnt die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst, wenn die Entscheidung der Behörde dem Arbeitnehmer mitgeteilt wurde.

Da diese Zustimmung nie erteilt oder mitgeteilt wurde, hatte die Klagefrist noch nicht begonnen. Außerdem entschied das Gericht, dass die Unwirksamkeit der Kündigung nur durch den Einwand der Verwirkung begrenzt werden könne. Im vorliegenden Fall sei der Anspruch des Klägers jedoch nicht verwirkt.

Was bedeutet Verwirkung im Arbeitsrecht?

Der Begriff der Verwirkung bezieht sich darauf, dass ein Recht nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn seit seiner Möglichkeit zur Inanspruchnahme längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzukommen, die eine spätere Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment).

Ein einfaches Beispiel: Angenommen, ein Arbeitnehmer wird unrechtmäßig gekündigt, zögert jedoch fast ein Jahr, Klage zu erheben. In dieser Zeit hat der Arbeitgeber einen Ersatz gefunden und sich auf die neue Situation eingestellt. Dies könnte dazu führen, dass das Recht auf Klage verwirkt ist.

Im Fall des Produktionshelfers sah das Arbeitsgericht weder das Zeitmoment noch das Umstandsmoment als erfüllt an.

Laut der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müssen drei Kriterien erfüllt sein, damit eine Verwirkung des Klagerechts vorliegt:

  1. Zeitmoment: Es muss seit der Möglichkeit der Inanspruchnahme längere Zeit verstrichen sein.
  2. Umstandsmoment: Es müssen besondere Umstände vorliegen, die das spätere Geltendmachen als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.
  3. Zumutbarkeitsmoment: Der Verpflichtete muss sich im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten so eingerichtet haben, dass ihm durch die spätere Rechtsdurchsetzung ein unzumutbarer Nachteil entsteht.

Im konkreten Fall konnte der Arbeitgeber nicht darauf vertrauen, dass keine Klage mehr erhoben werde, da die Zustimmung des Inklusionsamtes nie erteilt worden war. Die dreiwöchige Klagefrist nach § 4 KSchG konnte daher nicht als Maßstab für das Zeitmoment herangezogen werden.

Die Rolle des Kündigungsschutzgesetzes

Das Kündigungsschutzgesetz enthält neben der allgemeinen Frist zur Klageerhebung auch eine Regelung zur nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage gemäß § 5 KSchG. Danach kann eine Klage auch nach Ablauf der dreiwöchigen Frist zugelassen werden, wenn der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller zumutbaren Sorgfalt daran gehindert war, die Klage rechtzeitig zu erheben.

Der Antrag auf nachträgliche Zulassung muss innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses gestellt werden, darf jedoch nicht später als sechs Monate nach Ablauf der versäumten Frist eingereicht werden.

Das Arbeitsgericht machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass ein Arbeitgeber vor Ablauf dieser Sechsmonatsfrist nicht damit rechnen könne, keiner Kündigungsschutzklage mehr ausgesetzt zu sein.

Im Fall des Produktionshelfers, dessen Kündigung ohne die Zustimmung des Inklusionsamtes ausgesprochen worden war, konnte der Arbeitgeber nicht davon ausgehen, dass die Möglichkeit einer Klage ausgeschlossen sei.

Anspruch auf Lohnzahlung und Annahmeverzug

Zusätzlich zu der Frage der Wirksamkeit der Kündigung musste das Gericht auch über die Ansprüche des Produktionshelfers auf Lohnzahlung entscheiden. Dabei ging es um die offenen Ansprüche aus dem Arbeitszeitkonto sowie den Lohn aus Annahmeverzug ab März 2023.

Das Gericht stellte fest, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft nicht ausdrücklich anbieten musste, um seinen Anspruch auf Lohnzahlung zu bewahren.

Die Bereitstellung eines funktionsfähigen Arbeitsplatzes liegt in der Verantwortung des Arbeitgebers. Wird eine Kündigung ausgesprochen, die sich später als unwirksam herausstellt, muss der Arbeitgeber trotzdem einen Arbeitsplatz anbieten.

Falls er dies nicht tut, kann der Arbeitnehmer Anspruch auf Lohn haben, ohne aktiv anbieten zu müssen, seine Arbeit fortzusetzen. Ein Beispiel: Ein Mitarbeiter wird gekündigt, obwohl dies rechtlich nicht zulässig ist. Nachdem die Kündigung unwirksam erklärt wurde, ist es Sache des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz bereitzustellen.

Der Arbeitnehmer muss nicht erneut anbieten, zu arbeiten, da die Kündigung ja nie hätte wirksam sein dürfen. Das Gericht konnte in diesem Fall keinen Leistungsunwillen des Klägers erkennen, sodass die ausstehenden Lohnansprüche bestätigt wurden.

Auswirkungen auf die Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag

Die Ausschlussfrist legt fest, dass Ansprüche innerhalb einer bestimmten Zeitspanne geltend gemacht werden müssen, ansonsten verfallen sie unwiderruflich. Der Produktionshelfer hatte im Juni 2023 die Klage erhoben und damit die viermonatige Ausschlussfrist für Ansprüche ab dem 1. März 2023 gewahrt.

Hätte er diese Frist verpasst, wären seine Ansprüche verfallen und er hätte keinen rechtlichen Anspruch mehr auf die offenen Zahlungen gehabt. So jedoch blieben seine Ansprüche bestehen, und ihm standen die entsprechenden Zahlungen zu.