BSG: Mittellose Menschen haben Anspruch auf Versicherungsschutz
Armen Menschen ohne Krankenversicherung muss dennoch Krankenversicherungsschutz gewรคhrt werden. Das Sozialamt darf Sozialhilfebezieher ohne Krankenversicherung nicht dazu zwingen, dass sie wegen ihrer frรผheren privaten Versicherung nun erneut einen privaten Krankenversicherungsschutz im Basistarif abschlieรen, urteilte am Donnerstag, 5. September 2019, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 8 SO 15/18 R). Betroffene kรถnnen stattdessen im Rahmen der sogenannten Quasiversicherung bei einer gesetzlichen Krankenversicherung Versicherungsschutz erhalten.
Seit 2009 besteht in Deutschland eine allgemeine Krankenversicherungspflicht. Alle Personen mit Wohnsitz in Deutschland mรผssen danach gegen Krankheitskosten versichert sein. Private Krankenversicherungen mรผssen nicht gesetzlich versicherte Personen zum Basistarif aufnehmen.
79.000 Menschen nicht krankenversichert
Dennoch sind immer noch Menschen ohne Krankenversicherungsschutz. Nach einer Antwort der Bundesregierung vom 12. August 2019 auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der Linksfraktion sind nach dem Mikrozensus 2015 rund 79.000 Menschen nicht versichert. Im Laufe des Jahres 2017 erhielten rund 29.000 nicht krankenversicherte Menschen vom Sozialamt sogenannte Hilfen zur Gesundheit.
Damit nicht versicherte sozialhilfebedรผrftige Menschen nicht durch das Sozialnetz fallen, hatte der Gesetzgeber die sogenannte Quasi-Krankenversicherung geschaffen. Danach kรถnnen Betroffene eine gesetzliche Krankenversicherung auswรคhlen, von der sie eine Versichertenkarte bekommen. Als Versicherter der Krankenversicherung gelten sie aber nicht, und sie mรผssen auch keine Beitrรคge bezahlen. Angefallene Krankheitskosten rechnet die Krankenkasse dann mit dem Sozialamt ab.
Im nun entschiedenen Fall ging es um eine bis Mitte der 1990er Jahre privat versicherte, heute 85-jรคhrige Frau. Seitdem war die frรผhere Anwรคltin nicht mehr krankenversichert. Da sie Grundsicherung im Alter erhielt, verlangte sie im Juli 2014 beim Bonner Sozialamt die Zusicherung, dass die Behรถrde im Krankheitsfall fรผr anfallende Kosten aufkommen mรผsse.
Kein Muss in die PKV
Das Sozialamt lehnte dies ab. Es bestehe eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht. Die Klรคgerin mรผsse sich daher krankenversichern. Da sie wegen ihrer frรผheren Tรคtigkeit nicht in die gesetzliche Krankenversicherung eintreten kรถnne, mรผsse sie eine private Krankenversicherung zum Basistarif abschlieรen.
Die Klรคgerin verweigerte dies. Denn wegen des langen Zeitraums ohne Versicherungsschutz hรคtte sie zunรคchst einen โPrรคmienzuschlag” von knapp 5.000 Euro bezahlen mรผssen.
Das BSG wies die Revision zwar aus formalen Grรผnden zurรผck. So kรถnne die Klรคgerin vom Sozialamt nicht die Zusage verlangen, dass die Behรถrde im Krankheitsfall fรผr ihre Kosten aufkommt. Ohne Krankenversicherung habe sie aber nach dem Gesetz โ auch als frรผher privat Versicherte โ Anspruch auf Aufnahme in die sogenannte Quasi-Versicherung. Solange sie laufend Grundsicherungsleistungen bezieht, kรถnne sie einmalig eine gesetzliche Krankenkasse ihrer Wahl aussuchen. Die Kasse mรผsse ihr im Rahmen einer Quasi-Versicherung Versicherungsschutz gewรคhren.
Allerdings betonten die Kasseler Richter, der Verstoร gegen die gesetzliche Versicherungspflicht kรถnne โein schuldhaftes Verhalten auch im Sinne sozialhilferechtlicher Normen bedeuten, das im Nachhinein zum Ersatz der Kosten verpflichtet”. Hierรผber hatte das BSG im konkreten Fall aber noch nicht zu entscheiden. fle/mwo
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