Eine Krankenkasse verweigerte einem Menschen, der an Depression erkrankt ist, das Krankengeld. Die Versicherung bezweifelte die Schwere der Krankheit, weil der Mann sich angeblich nicht intensiv genug behandeln ließ. Das Sozialgericht Duisburg stellte sich jedoch hinter den Erkrankten. (S 17 KR 1094/21)
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Hintergrund: Der Fall
Der Betroffene wurde im November 2020 arbeitsunfähig, seine Hausärztin schrieb ihn krank, mit den Diagnosen Belastungsreaktion und essenzielle Hypertonie. Ein psychiatrisches Institut stellte ab Februar 2021 eine depressive Episode fest.
Der sozialmedizinische Dienst sieht das anders
Der sozialmedizinische Dienst im Auftrag der Krankenkasse kam zu dem Ergebnis, dass der Betroffene ab Februar 2021 körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könnte. Seine Erkrankungen würden keine Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen, und therapeutische Maßnahmen könnten in der theoretisch arbeitsfreien Zeit stattfinden.
Krankengeld-Zahlung eingestellt
Die Kasse stoppte die Zahlung des Krankengeldes. Der Erkrankte legte Widerspruch ein, die Versicherung ließ ihn erneut begutachten und kam zum selben Ergebnis wie zuvor. Daraufhin zog der Betroffene vor das Sozialgericht, um seinen Anspruch auf Krankengeld durchzusetzen.
Krankenkasse behauptet, es gebe keine Depression
Die Krankenversicherung blieb vor Gericht bei ihrer Behauptung, der Kläger sei arbeitsfähig, und eine depressive Episode lasse sich nicht nachvollziehen. Denn wenn diese vorhanden sei, wäre es erstaunlich, dass der Betroffene lediglich die vom Hausarzt begonnene Medikation fortgesetzt habe, statt eine stationäre Behandlung aufzusuchen oder weitere therapeutische Maßnahmen einzuleiten.
Das Gericht prüft die Erkrankung unabhängig
Das Gericht holte sich jetzt ein Gutachten eines Sachverständigen ein. Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie untersuchte den Betroffenen persönlich. Er sah für die strittige Zeit von Februar 2021 bis Mai 2022 eine mittlere bis schwere depressive Episode. Auch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten seien nicht möglich gewesen. Die Krankenkasse lehnte dieses Gutachten ab.
Gericht widerspricht Krankenkasse
Das Gericht hielt hingegen die Gutachten im Auftrag der Krankenkasse für unzureichend, und die Stellungnahmen des sozialmedizinischen Dienstes enthielten keine psychopathologischen Befunde. Nur zu behaupten, dass keine Erkrankungen für eine Arbeitsunfähigkeit vorliegen, genüge nicht den Anforderungen.
Das eingeholte Gutachten des Facharztes entspreche wiederum den qualitativen Anforderungen an ein psychiatrisches Sachverständigengutachten.
Bei der psychiatrischen Erkrankung des Klägers komme dem Patientengespräch und dem psychopathologischen Befund im Rahmen eines persönlichen Gesprächs jedoch besonders hohe Bedeutung zu, und die psychiatrische Institutsambulanz hätte mehrfach ein psychiatrisches Krankheitsbild dokumentiert.
Fehlende Einweisung kein Beleg einen leichten Verlauf der Krankheit
Die Behauptung der Krankenkasse, bei einer schweren Depression sei eine Einweisung in eine Klinik nötig, habe zwar einen wahren Kern. Dies geschehe aber leider oft nicht und eine fehlende Einweisung sei deshalb kein Beleg dafür, dass die Erkrankung leicht verlaufe.
Finanzielle Sorgen
Die Krankenkasse wandte weiterhin ein, dass der Betroffene primär über seine finanziellen Sorgen beim Ende des Krankengeldes gesprochen hätte. Auch dies sprach aber nach Auffassung des Gerichtes nicht gegen eine schwere depressive Erkrankung.
Ein Entzug der wirtschaftlichen Existenz mit dem Ende des Krankengeldes, sowie der Konflikt mit der Krankenkasse seien für den Erkrankten sogar eine wesentliche psychische Belastung.
Die Krankenkasse muss zahlen
Die Kasse muss jetzt Krankengeld für mehr als 16 Monate nachzahlen. Allerdings ist das Urteil bis jetzt nicht rechtskräftig, und die nächste Instanz ist das Landessozialgericht.
Handelt Krankenkasse absichtlich?
Krankenversicherungen zahlen ungern Krankengeld, da dies für sie größere Kosten bedeutet. Bisweilen lehnen sie, wie in diesem Fall, sogar qualifizierte Gutachten ab und liefern dafür eine unzureichend qualifizierte Begründung, ob aus Absicht oder Fahrlässigkeit sei dahin gestellt. Das Sozialgericht hat hier seine Pflicht erfüllt, die Realität ins Auge genommen und die Krankenkasse nicht damit durchkommen lassen, auf Kosten Erkrankter Geld zu sparen.
Was kann der richtige Weg sein?
Der Betroffene hat genau richtig gehandelt. Besonders bei Menschen mit Depressionen besteht der Verdacht, dass Krankenkassen darauf setzen, dass den Betroffenen die Kraft fehlt, sich gegen unfaire Entscheidungen zu wehren. Dieser Mann jedoch machte von seinem Recht Gebrauch, klagte und gewann den Prozess.
Auch Sie sollten nicht zögern, rechtliche Schritte einzuleiten, wenn Ihre Krankenkasse Ihnen das Krankengeld ohne stichhaltige Begründung streicht oder es Ihnen sogar von Anfang an verweigert.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.