Eine in Brandenburg lebende Rentnerin verlor ihre kostenfreie Familienversicherung, weil ihre Altersrente aus Polen die zulässige Einkommensgrenze überschritt – obwohl nach Steuern weniger auf ihrem Konto ankam.
Der Fall landete vor dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, das am 27. März 2025 ein Grundsatzurteil fällte: Für die Prüfung der Familienversicherung zählt bei Renten der Bruttobetrag, nicht der ausgezahlte Netto-Zahlbetrag. Damit bestätigte das Gericht die Auffassung der Krankenkasse und wies die Klage endgültig ab.
Der konkrete Streitfall – und warum er viele betrifft
Die Klägerin, Jahrgang 1957, lebt seit 2008 in Deutschland und ist seit 2011 mit einem gesetzlich versicherten Ehemann verheiratet. Über ihn war sie familienversichert. Berufstätig war sie nicht, bezog jedoch eine Altersrente aus Polen.
Im Rahmen einer Überprüfung im Jahr 2020 stellte die Krankenkasse fest, dass die regelmäßige Bruttorente – nach Abzug des Anteils für Kindererziehungszeiten – die maßgebliche Grenze überstieg.
Die Familienversicherung wurde rückwirkend beendet; die Frau gilt seit März 2019 als freiwilliges Mitglied, Beiträge wurden nacherhoben. Das Sozialgericht Cottbus hatte zunächst der Klägerin Recht gegeben, das LSG hob dieses Urteil jedoch auf.
Der rechtliche Rahmen: Familienversicherung und Einkommensgrenzen
Die beitragsfreie Familienversicherung ist in § 10 SGB V geregelt. Ehegatten, Lebenspartner und Kinder können mitversichert sein, sofern unter anderem das regelmäßige Gesamteinkommen eine bestimmte Grenze nicht überschreitet.
Diese allgemeine Einkommensgrenze entspricht ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV; 2025 liegt sie bei 535 Euro pro Monat. Für Minijobs gilt eine gesonderte Grenze von 556 Euro. Diese Werte werden jährlich angepasst.
Brutto oder Netto? Das LSG stellt auf den Bruttobetrag ab
Kern des Rechtsstreits war die Frage, ob für die Grenze der Netto-Zahlbetrag (also nach Abzug von Steuern) oder der Bruttorentenbetrag maßgeblich ist.
Das LSG entschied eindeutig: Maßgeblich ist der Bruttobetrag der Rente ohne den Anteil für Kindererziehungszeiten. Steuerabzüge oder Sozialbeiträge bleiben unberücksichtigt.
Diese Auslegung folgt dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 SGB V, der bei Renten ausdrücklich auf den „Zahlbetrag … ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil“ abstellt.
Auslandsrenten zählen voll – Umrechnung nach EZB-Referenzkurs
Dass es sich um eine ausländische Rente handelt, ändert nichts: Auch Auslandsrenten sind beim Gesamteinkommen zu berücksichtigen. Für die Umrechnung in Euro ist nach § 17a SGB IV der Referenzkurs der Europäischen Zentralbank maßgeblich. Sonderzahlungen, wie die in Polen bekannten 13. oder 14. Renten, waren im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich, weil bereits die reguläre Rente die Grenze überschritt.
Konsequenz: Ende der Familienversicherung und automatische Anschlussversicherung
Überschreitet das Gesamteinkommen die Grenze dauerhaft, endet die Familienversicherung kraft Gesetzes. Ohne anderweitige Absicherung setzt sich die Mitgliedschaft automatisch als freiwillige Versicherung bei der bisherigen Kasse fort – die sogenannte obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V.
Die Kasse darf Beiträge rückwirkend festsetzen, sofern die Voraussetzungen vorlagen und keine Austrittserklärung in der gesetzlich vorgesehenen Frist erfolgte.
Einordnung: Warum das Urteil über den Einzelfall hinausweist
Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg schafft Klarheit in einer Frage, die in der Praxis häufig zu Missverständnissen führt. Viele Betroffene orientieren sich am Netto-Zahlbetrag auf dem Konto.
Das Urteil betont hingegen, dass bei Renten der Bruttowert entscheidend ist und Auslandsrenten den gleichen Regeln unterliegen wie inländische. Für Familien mit Auslandsbezug ist das besonders relevant, da Wechselkurse schwanken und Sonderzahlungen auftreten können. Krankenkassen und Fachportale weisen seit Jahresbeginn 2025 ausdrücklich auf die Grenzwerte von 535 Euro bzw. 556 Euro bei Minijobs hin.
Was Betroffene jetzt beachten sollten
Wer über die Familienversicherung mitversichert ist und eine eigene Rente bezieht – ob aus dem In- oder Ausland –, sollte das regelmäßige Gesamteinkommen sorgfältig prüfen.
Maßgeblich ist der Bruttorentenbetrag ohne Kindererziehungsanteile, umgerechnet nach dem EZB-Referenzkurs. Überschreitungen sollten der Krankenkasse unverzüglich mitgeteilt werden, um Rückforderungen und nahtlose Einstufungen in die freiwillige Versicherung rechtssicher zu klären. Auch bei geringfügigen Überschreitungen ist Vorsicht geboten, da bereits wenige Euro den Ausschlag geben können.
Fazit
Das LSG-Urteil vom 27. März 2025 (Az. L 14 KR 189/23) stellt klar: Bei Renten ist für die Familienversicherung der Brutto-Zahlbetrag ausschlaggebend; Nettoauszahlungen helfen nicht über die Grenze hinweg. Auslandsrenten werden nach einheitlichen Regeln behandelt und in Euro nach dem EZB-Referenzkurs umgerechnet.
Wer die Einkommensgrenze von 535 Euro (2025) überschreitet, verliert den Anspruch auf beitragsfreie Mitversicherung; die Mitgliedschaft setzt sich dann als freiwillige Versicherung fort – mit entsprechenden Beiträgen