Ohne Schweigepflichtentbindungserklรคrung fรผr die behandelnden รrzte gibt es keine Sozialhilfe. Eine Gewรคhrung von Sozialhilfe nach dem 4. Kapitel des SGB XII ist nicht mรถglich, wenn die Klรคgerin trotz mehrmaliger Aufforderungen durch das Gericht die sie behandelnden รrzte nicht angibt und diese auch nicht von ihrer Schweigepflicht entbindet.
Denn die Klรคgerin trรคgt die Beweislast fรผr die Feststellung der Erwerbsminderung.
Die Unerweislichkeit einer Tatsache geht zu Lasten desjenigen Beteiligten, der aus ihr eine gรผnstige Rechtsfolge herleitet (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2006 โ B 11a AL 7/05 R; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 1. Februar 2010 โ 1 BvR 20/10).
So lautet das aktuelle Urteil des LSG Baden-Wรผrttemberg vom 19.09.2024 (L 7 SO 2826/23). Das Bundessozialgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe fรผr die Klรคgerin und die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt (BSG, Beschluss vom 04.06.2025, Az. B 8 SO 64/24 BH).
Kurzbegrรผndung des Gerichts
In einem sozialgerichtlichen Verfahren, in dem โ wie hier โ die Erwerbsfรคhigkeit der Klรคgerin im Streit steht, ist diese aus Grรผnden des effektiven Rechtsschutzes in vollem Umfang von Amts wegen zu ermitteln und aufzuklรคren (vgl. zur Ermittlungspflicht des Gerichts bei einer Feststellung des Rentenversicherungstrรคgers gemรคร ยง 45 SGB XII: BSG, Urteil vom 25. August 2011 โ B 8 SO 19/10 R; BSG, Urteil vom 23. Mรคrz 2010 โ B 8 SO 17/09 R – ).
Wenn mangels Vorliegen medizinischer Unterlagen nicht festgestellt werden kann, dass die Klรคgerin auf Dauer voll erwerbsgemindert ist, sind die Voraussetzungen fรผr einen Anspruch nach dem Vierten Kapitel des SGB XII nicht nachgewiesen.
Verfassungswidrig wรคre die Erhebung von Daten รผber den Gesundheitszustand – ohne Schweigepflichtentbindungserklรคrung
Die Erhebung von Informationen รผber den Gesundheitszustand eines Prozessbeteiligten durch die Sozialgerichte ohne eine entsprechende Schweigepflichtentbindungserklรคrung wรคre verfassungswidrig.
Gerichte sind nicht gehalten, medizinische Ermittlungen ins Blaue zu veranlassen
Die Pflicht zur Aufklรคrung des Sachverhaltes endet dort, wo ein Beteiligter den ihm obliegenden Mitwirkungspflichten nicht nachkommt (vgl. LSG NRW, Urteil vom 12. Januar 2017 โ L 19 AS 1541/16 โ ).
Die Einholung von Gutachten ist erst dann sachdienlich, wenn einem Gericht Erkenntnisse รผber Art und Umfang von gesundheitlichen Beeintrรคchtigungen vorliegen, die eine gutachterliche Beurteilung zu begrรผnden vermรถgen. Ein Gericht ist dagegen nicht gehalten, medizinische Ermittlungen ins Blaue zu veranlassen.
Hinweis vom Experten fรผr Sozialrecht Detlef Brock
1. Grundsรคtzlich gehen die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung der Hilfe zum Lebensunterhalt vor.
2. Der Vorrang greift jedoch nur dann ein, wenn tatsรคchlich ein Anspruch auf Grundsicherung besteht.
Daher ist zum Beispiel bei einem fehlenden oder unwirksamen Antrag auf Grundsicherungsleistungen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten (BSG Urteil vom 29.09.2009 โ B 8 SO 13/08 R und Beschluss vom 27.07.2021 โ B 8 SO 10/19 R).