Ein nigerianisches Ehepaar muss mehr als 30.000 Euro an das Jobcenter zurückzahlen, weil es sich über Jahre nicht in Deutschland aufgehalten haben soll und damit für den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen bestätigte die Rückforderung und die vollständige Einstellung der Leistungen.
Bemerkenswert ist dabei nicht nur die Summe, sondern vor allem die rechtliche Begründung: Aufgrund nachgewiesener Täuschungen kehrte das Gericht die Beweislast um und verpflichtete nicht das Jobcenter, sondern das Ehepaar dazu, einen Aufenthalt in Deutschland zu beweisen. Zuvor war das Paar bereits vor dem Sozialgericht Bremen gescheitert.
Inhaltsverzeichnis
Der Hintergrund: Leistungen seit 2014, Entdeckung bei der Einreise 2018
Seit 2014 bezog das Paar Leistungen nach dem SGB II. Der Verdacht auf einen jahrelangen Auslandsaufenthalt verdichtete sich erst 2018, als die Bundespolizei die beiden bei der Einreise kontrollierte.
Die Stempel in den Reisepässen ließen einen mehrjährigen Aufenthalt in Nigeria erkennen. Für das Jobcenter war dies Anlass, die Zahlungen einzustellen und rund 33.000 Euro bereits bewilligter Leistungen zurückzufordern. Der anschließende Rechtsstreit führte vom erfolglosen Widerspruch über das Sozialgericht bis vor das LSG, das die Sicht der Behörde bestätigte.
Rechtlicher Rahmen: Erreichbarkeit, gewöhnlicher Aufenthalt und Mitwirkungspflichten
Leistungen nach dem SGB II – heute als Bürgergeld bezeichnet – knüpfen an klare Voraussetzungen an. Dazu zählen der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland sowie die grundsätzliche Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt.
Wer längere Zeit ins Ausland geht, steht dem hiesigen Arbeitsmarkt regelmäßig nicht zur Verfügung. Kurze Ortsabwesenheiten können im Einzelfall genehmigt werden; sie müssen jedoch zuvor mitgeteilt und ausdrücklich bewilligt werden.
Werden diese Grenzen überschritten oder wird eine Abwesenheit nicht angezeigt, entfällt grundsätzlich der Leistungsanspruch.
Neben der Verfügbarkeit trifft Leistungsberechtigte zudem eine Mitwirkungspflicht: Änderungen, die den Leistungsanspruch berühren, sind dem Jobcenter unverzüglich mitzuteilen. Unterbleibt dies, drohen Aufhebung und Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen.
Die Beweise: Leere Wohnung, Meldeversäumnisse und berufliche Verankerung in Nigeria
Im konkreten Fall gelang es der Beweisaufnahme nicht, die Darstellung des Paares zu stützen, es habe sich in Bremen aufgehalten. Vielmehr sprachen mehrere Indizien in die entgegengesetzte Richtung.
Die gemietete Wohnung wirkte über längere Zeit unbewohnt, Termine beim Jobcenter wurden wiederholt versäumt, und sowohl der Mann als auch die Frau wiesen berufliche Bezüge in Nigeria auf.
Der Mann verfügte über einen Mitarbeiterausweis einer nigerianischen Transportfirma, die Frau über eine anwaltliche Zulassung in Nigeria. Auch die gemeinsamen Kinder besuchten dort eine Schule. Diese Indizien ergaben in der Gesamtschau ein stimmiges Bild eines dauerhaft verlagerten Lebensmittelpunkts.
Zeugen: Korrektur einer eidesstattlichen Versicherung
Besondere Schwere gewann die Beweislage durch die Aussage eines Zeugen. Dieser korrigierte eine zuvor vom Kläger vorgelegte eidesstattliche Versicherung und räumte ein, in den betreffenden Jahren keinen persönlichen Kontakt zu dem Paar gehabt zu haben.
Nach Darstellung des Gerichts habe der Leistungsbezieher den Zeugen sogar gebeten, einen Aufenthalt in Bremen zu bestätigen. Das Paar selbst erschien nicht zur mündlichen Verhandlung. Für das Gericht fehlten damit „belastbare Nachweise“ für einen Aufenthalt in Deutschland.
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Bescheid prüfenBeweislastumkehr: Warum im Ausnahmefall die Betroffenen beweisen müssen
Grundsätzlich gilt in sozialrechtlichen Verfahren der Amtsermittlungsgrundsatz: Das Gericht klärt den Sachverhalt von Amts wegen auf.
Auch trifft Behörden, die Leistungen entziehen oder zurückfordern, regelmäßig eine Begründungs- und Nachweispflicht. Im vorliegenden Fall sah das LSG jedoch eine Täuschung gegenüber Behörde und Gericht als erwiesen an.
In solchen Konstellationen kann es zu einer Beweislastumkehr oder zumindest zu einer erheblich gesteigerten Darlegungslast der Leistungsberechtigten kommen.
Vereinfacht gesagt: Wer manipuliert oder Behörden gezielt täuscht, kann sich nicht darauf zurückziehen, die Gegenseite müsse jede Einzelheit widerlegen. Das Paar musste daher substantiiert belegen, dass es sich in Deutschland aufgehalten hatte – ein Nachweis, der misslang.
Rückforderung und Leistungsentzug: Konsequenzen aus dem Urteil
Die Entscheidung des LSG trägt zwei unmittelbare Folgen. Erstens bleibt die vollständige Einstellung der Leistungen rechtmäßig, weil die Anspruchsvoraussetzungen – Aufenthalt in Deutschland und Verfügbarkeit – über längere Zeit nicht vorlagen.
Zweitens ist die Rückforderung der rund 33.000 Euro rechtens, da die Zahlungen unter Umständen erfolgt waren, die dem Jobcenter nicht offenbart wurden und die den Leistungsanspruch ausschlossen.
Rückforderungen dieser Art knüpfen sozialrechtlich typischerweise daran an, dass ein begünstigender Bescheid wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben rückwirkend korrigiert werden kann und zu Unrecht Erhaltenes zu erstatten ist.
Was als „Urlaub mit Bürgergeld“ gilt – und was nicht
Der Begriff „Urlaub“ führt im Bürgergeld-Bezug häufig in die Irre. Erlaubt sind nur zeitlich eng begrenzte, vorher genehmigte Ortsabwesenheiten. Während dieser Zeit muss die Erreichbarkeit geklärt sein, und das Jobcenter kann Auflagen machen.
Eine längerfristige Verlagerung des Lebensmittelpunkts ins Ausland ist damit nicht vereinbar. Wer ohne Genehmigung abreist oder über längere Zeit nicht erreichbar ist, riskiert die Aufhebung der Bewilligung, Sanktionen sowie Rückforderungen. Entscheidend ist stets, ob die Person dem deutschen Arbeitsmarkt kurzfristig zur Verfügung steht und der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland liegt.
Einordnung: Kein Generalverdacht, aber klare Grenzen
Der Fall ist außergewöhnlich und nicht repräsentativ für die große Mehrheit der Leistungsbeziehenden, die ihren Mitwirkungspflichten nachkommen.
Gleichwohl zeigt die Entscheidung klare Grenzen: Bürgergeld ist an Mitwirkung, Verfügbarkeit und Transparenz gebunden. Wo bewusst getäuscht wird, sind Behörden und Gerichte befugt, strengere Maßstäbe anzulegen. Die Beweislastumkehr ist dabei kein Automatismus, sondern bleibt besonderen, gravierenden Konstellationen vorbehalten.
Praktische Lehren für Betroffene
Wer Bürgergeld bezieht und vorübergehend verreisen möchte, sollte frühzeitig das Gespräch mit dem Jobcenter suchen, die Dauer der Abwesenheit abklären und sich die Zustimmung dokumentieren lassen.
Bei Änderungen, die die Erreichbarkeit oder den Aufenthaltsort betreffen, ist eine umgehende Mitteilung unerlässlich. Wer in Grenzfällen unsicher ist, sollte Beratung in Anspruch nehmen und Nachweise – etwa Miet- und Nebenkostenabrechnungen, Melderegisterauskünfte, Arbeitsbemühungen oder ärztliche Termine – geordnet aufbewahren. Diese Unterlagen können im Streitfall entscheidend sein, um die tatsächliche Anwesenheit und Verfügbarkeit zu belegen.