Erwerbsminderung: Keine Rente wegen Angst vor Rückfall

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Die Angst eines trockenen Alkoholikers vor einem Rückfall rechtfertigt es nicht, ihm weiter eine Erwerbsminderungsrente zu gewähren. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Betroffene sechs Stunden oder mehr pro Tag arbeiten kann. Nicht Diagnosen zählen, sondern die tatsächliche Einschränkung der Arbeitskraft entscheidet über eine Erwerbsminderung, so entschied das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen. (L 8 R 878/22).

Suchterkrankter beantragt Weitergewährung der Rente

Der Betroffene hatte zuvor als Schlosser gearbeitet, und dann von 2015 bis 2020 eine befristete Erwerbsminderungsrente bezogen. Gründe für die Erwerbsminderung waren eine Alkoholkrankheit und eine depressive Erkrankung, wegen denen er nur weniger als sechs Stunden pro Tag arbeiten konnte.

Im April 2020 stellte er einen Antrag, die Rente weiter zu gewähren. Inzwischen war er trocken. Er gab an, jeden Tag drei Liter alkoholfreies Bier zu trinken, um einen Rückfall zu vermeiden. Außerdem leide er an Panikattacken, Schlaflosigkeit, Tinnitus und motorischen Einschränkungen als Folge eines gebrochenen Handgelenks.

Rentenversicherung sieht keine Erwerbsminderung mehr

Die Rentenversicherung prüfte, ob weiterhin ein Anspruch auf eine Erwerbsminderung bestand und verneinte dies nach Einsicht in ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten.

Darin kam der beauftragte Arzt zu dem Schluss, dass der trockene Alkoholkranke täglich mehr als sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

Der Betroffene legte Widerspruch ein gegen den ablehnenden Bescheid der Rentenversicherung. Diese wies den Widerspruch als unbegründet zurück, und der Mann klagte deshalb vor dem Sozialgericht, um seinen Anspruch durchzusetzen.

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Sozialgericht beauftragt einen weiteren Gutachter

Um die Situation einzuschätzen, gab das Sozialgericht ein weiteres Gutachten in Auftrag. Auch dieses kam zu dem Schluss, dass der Kläger in Vollzeit regelmäßig fünf Tage die Woche arbeiten könne. Er habe zwar tatsächlich Einschränkungen. Diese seien aber qualitativ und nicht auf die Anzahl der Arbeitsstunden bezogen. Das Sozialgericht wies auf Basis dieses Gutachtens die Klage zurück, und es ging in die Berufung vor dem Landessozialgericht.

Landessozialgericht betont die tatsächliche Einschränkung der Leistungen

Auch vor dem Landessozialgericht scheiterte der Kläger. Dieses sah die Leistungsfähigkeit des Betroffenen zwar eingeschränkt, doch nicht in dem Umfang und der Definition, die rentenrechtlich eine Erwerbsminderung definiere.
Denn, so sagten die Richter, für die Beurteilung einer Erwerbsminderung zählten nicht Diagnosen, sondern die tatsächliche Beeinflussung des Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen.

Alkoholabstinenz spricht gegen Erwerbsminderung

Die Richter verwiesen darauf, dass der Betroffene seit Jahren nur noch alkoholfreies Bier konsumiere und seitdem auch nicht rückfällig geworden sei. Das spreche für ein stabiles Abstinenzverhalten. Die Sorge vor einem möglichen Rückfall bei einem Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit reiche nicht aus, um einen Rentenanspruch zu begründen.

Arbeitsmarkt ist nicht verschlossen

Es gebe, so das Gericht, auch keinen Hinweis darauf, dass der Kläger keinen Zugang zum Arbeitsmarkt bekomme. Er bräuchte weder betriebsunübliche Pausen noch sei er in seiner Wegefähigkeit eingeschränkt.

Insgesamt sei also davon auszugehen, dass er mindestens sechs Stunden pro Tag einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnte. Damit hätte er keinen Anspruch auf eine (teilweise) Erwerbsminderungsrente. Für diese ist nämlich das entscheidende Kriterium, weniger als sechs Stunden pro Tag arbeiten zu können.