Erwerbsminderung: Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) nach dem Urteil nicht mehr sicher

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Wenn ein Gerichtsurteil viele Menschen betreffen kann, hört man genau hin. Genau dies ist nun bei einer wegweisenden Entscheidung zur Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) geschehen. Ein rechtskräftig gewordenes Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig hat deutlich gemacht, dass Versicherte, die beim Vertragsabschluss bewusst falsche Angaben machen, auch noch lange Zeit später mit gravierenden Konsequenzen rechnen müssen.

Ursprünglich galt die Regelung, dass eine arglistige Täuschung nach zehn Jahren verjährt. In dem aktuellen Verfahren stellte sich jedoch heraus, dass diese Frist nicht immer einen sicheren Schutzschirm für diejenigen bietet, die absichtlich gelogen haben.

Welche Hintergründe hat das neue Urteil genau?

Hintergrund des Falles war ein Polizeibeamter, der bereits seit 2005 psychische Erkrankungen wie ADS und Depressionen kannte und sich deshalb mehrfach in ärztlicher Behandlung befand.

Obwohl diese Vorerkrankungen zum Zeitpunkt des Versicherungsabschlusses im August 2008 bereits bestanden, verneinte der Mann sämtliche Angaben zu psychischen Leiden und Behandlungen im Antrag.

Er erhielt daraufhin eine BU-Police. Als er zehn Jahre später, im September 2018, seine Leistungen wegen Berufsunfähigkeit beantragte, prallte sein Begehren jedoch an der Versicherung ab.

Diese berief sich unter anderem auf den Vorwurf der vorsätzlichen Schädigung und argumentierte, der Versicherungsnehmer habe durch bewusstes Abwarten der Zehnjahresfrist versucht, der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zu entgehen.

Sowohl das Landgericht Göttingen als auch das Oberlandesgericht Braunschweig gaben letztlich der Versicherung recht und verwehrten die BU-Rente. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung im Oktober 2024 durch Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde.

Warum ist diese Entscheidung eine Zeitenwende?

Bereits im Jahr 2015 hatte der Bundesgerichtshof in einem anderen Fall über eine ähnliche Fragestellung entschieden, allerdings mit dem Ergebnis, dass nach Ablauf der Zehnjahresfrist keine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung mehr möglich sei.

Dieses Urteil galt vielen Versicherten bisher als wichtige Orientierung. Die aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig verdeutlicht nun, dass die Gerichte im Einzelfall streng darauf schauen, ob dem Versicherer ein besonders hinterlistiges und bewusst irreführendes Verhalten nachgewiesen werden kann.

Der Unterschied liegt in der spezifischen Konstellation: Wer nachweislich die Zehnjahresfrist gezielt „aussitzt“ oder bewusst lügt und die notwendigen Angaben verschweigt, darf nach der jetzigen Sichtweise nicht auf Schutz durch Verjährung hoffen.

Welche Folgen haben die neuen Vorgaben für Verbraucherinnen und Verbraucher?

Für Millionen Inhaberinnen und Inhaber von Berufsunfähigkeitsversicherungen bedeutet dieses Urteil mehr Rechtssicherheit – allerdings aus einem anderen Blickwinkel, als viele vielleicht annehmen würden.

Denn neben dem Schutz vor ungerechtfertigter Leistungsverweigerung durch Versicherer betont das Urteil die Verpflichtung der Versicherten zur Aufrichtigkeit.

Wer beim Abschluss der Police in gutem Glauben alle gesundheitlichen Fragen wahrheitsgemäß beantwortet, braucht keine Nachteile zu fürchten und kann weiterhin fest auf seine BU-Rente vertrauen.

Wer jedoch bei Vertragsbeginn Erkrankungen wissentlich und mit Vorsatz verschweigt, könnte sich selbst nach vielen Jahren noch in einer prekären Lage wiederfinden.

Wie sollten Verbraucher beim Abschluss einer BU-Versicherung vorgehen?

Ein häufiger Ratschlag aus der Branche lautet, vor Vertragsabschluss die eigene Krankenakte einzusehen.

So lassen sich Unsicherheiten darüber, welche Erkrankungen angegeben werden müssen, reduzieren. Versicherte können dadurch gewährleisten, dass ihre Angaben zu Krankheiten und Behandlungen lückenlos sind.

Auch wenn die Versuchung besteht, bestimmte Diagnosen nicht offenzulegen, um vielleicht bessere Vertragskonditionen zu erhalten oder überhaupt eine BU-Versicherung abschließen zu können, zeigt das neue Urteil, dass dies ein gefährliches Spiel ist.

Es ist keineswegs sinnvoll, „auf Lücke“ zu setzen und im Ernstfall zu riskieren, dass die Versicherung nicht leisten muss – oder durch die Gerichte am Ende sogar Recht bekommt, die Auszahlung gänzlich zu verweigern.

Prinzip von Treu und Glauben

Treu und Glauben ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert und soll verhindern, dass jemand gezielt auf Kosten anderer Personen oder Institutionen Vorteile erlangt.

Im vorliegenden Fall stellten die Gerichte vor allem darauf ab, dass der Polizeibeamte schon bei Vertragsschluss arglistig vorgegangen sei und diese Arglist, gepaart mit dem Ausnutzen der Zehnjahresfrist, die Rechte der Versicherung schutzwürdig erscheinen lasse.

Wer seinen Vertragspartner bewusst im Dunkeln lässt und Krankheiten verschweigt, kann sich nicht später auf die Verjährung berufen, wenn er diese Situation absichtlich herbeigeführt hat. In juristischer Sprache heißt das, niemand darf aus einem Verhalten Nutzen ziehen, das er treuwidrig selbst geschaffen hat.

Was bedeutet das alles für die Zukunft der BU-Versicherung?

Versicherungen sind auf das Vertrauen angewiesen, dass die Antragsangaben korrekt sind. Nur so können Policen kalkuliert und Preise fair gestaltet werden. Das Urteil aus Braunschweig, das vom Bundesgerichtshof bestätigt wurde, setzt ein deutliches Signal: Wer die Wahrheit sagt, hat im Ernstfall nichts zu befürchten.

Wer hingegen schummelt, riskiert nicht nur seinen Versicherungsschutz, sondern läuft auch Gefahr, nach Jahren ohne Leistungen dazustehen und zusätzlich hohe Prozesskosten zu tragen.

Welche Hilfestellung können Verbraucherinnen und Verbraucher in Anspruch nehmen?

Bevor jemand eine BU-Police abschließt, ist es ratsam, die Gesundheitsfragen gemeinsam mit einer fachkundigen Beratung durchzugehen. Wer bereits eine Berufsunfähigkeitsversicherung besitzt und unsicher ist, ob der bestehende Schutz ausreichend und korrekt ist, kann in vielen Fällen eine unabhängige Prüfung in Anspruch nehmen.

Mit einem solchen „BU-Check“ lassen sich mögliche Lücken oder Fehler im Vertrag frühzeitig aufdecken. Wichtig ist, dabei stets die Wahrheit zu sagen und ehrlich offenzulegen, welche Erkrankungen oder Beschwerden möglicherweise vorliegen. Der zentrale Appell lautet: Erst verstehen, dann versichern – in Kenntnis aller relevanten Fakten, damit später keine bösen Überraschungen drohen.

Urteile: BGH, Urteil vom 25.11.2015 – IV ZR 277/14 OLG Braunschweig, Beschluss Aktenzeichen 11 U 316/21 LG Göttingen, Urteil vom 12.10.2021, Az. 5 O 25/20 BGH, Beschluss IV ZR 229/23