Eingliederungshilfe: Kostenübernahme der persönlichen Assistenz für Besuche bei der Mutter

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Die Eingliederungshilfeträger müssen im Einzelfall Kosten der persönlichen Assistenz für einen Schwerbehinderten übernehmen, damit der Betroffene Besuche bei seiner Mutter durchführen kann.

Leistungen der Besuchsbeihilfe können auch die Übernahme der Kosten einer persönlichen Assistenz für einen Autisten umfassen, wenn der behinderte Mensch ansonsten keinen Besuch bei seiner Mutter zu absolvieren vermag und durch diese Kontaktunterbrechungen sich sein Gesundheitszustand verschlechtert (Orientierungssatz Detlef Brock)

So entschieden vom Sächsischen LSG mit Urteil vom 13.07.2022 – L 8 SO 48/21 – Revision anhängig beim BSG unter dem Az. B 8 SO 14/22 R

Das Bundessozialgericht wird die Frage klären müssen, ob die Besuchsbeihilfen nach § 115 SGB IX auch die Kosten einer Assistenz für regelmäßige Wochenendaufenthalte mit Übernachtung bei Familienangehörigen umfassen?

Die Vorinstanz das Sächsische LSG hatte dies bejaht – Begründung:

Der 54jährige Schwerbehinderte lebt in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen. Alle zwei Wochen besucht er über das Wochenende seine 90jährige Mutter, die in einer anderen Stadt lebt.

Zur Bewältigung dieser Fahrten ist er aufgrund psychischer Erkrankungen auf Hilfe angewiesen

Der Sozialhilfeträger lehnte die Übernahme der Kosten einer Assistenz für die Besuche ab mit der Begründung, dass der Bedarf des Klägers bereits durch die Übernahme der Kosten der Heimunterbringung gedeckt sei.

Anspruch auf Assistenzleistungen

Sowie das SG Dresden als auch das Sächsische LSG bejahten den Anspruch.

Denn die Besuchsbeihilfe in Form der persönlichen Assistenz kann im Einzelfall als Leistung der Eingliederungshilfe erbracht werden, wenn sie erforderlich ist

Der schwerbehinderte Antragsteller ist auf die persönliche Assistenz angewiesen, um seine Mutter zu besuchen und den Kontakt zu ihr aufrechtzuerhalten.

Eingliederungshilfe soll der Vereinsamung von Behinderten entgegen wirken

Wesentliches Ziel der Eingliederungshilfe ist es, der Vereinsamung behinderter Menschen entgegenzuwirken.

Besuchshilfen müssen zur Teilhabe des behinderten Menschen beitragen

Notwendig sind sie immer dann, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben der Eingliederungshilfe unentbehrlich sind.

Diese besteht darin, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, § 90 Abs. 1 SGB IX.

In welchem Maß und durch welche Aktivitäten ein behinderter Mensch am Leben in der Gemeinschaft teilnimmt, ist abhängig von seinen individuellen Bedürfnissen unter Berücksichtigung seiner angemessenen Wünsche, nicht jedoch von den Vorstellungen der Behörde oder Dritter

Denn es gilt der erwähnte individuelle und personenzentrierte Maßstab, der einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht (vgl. nur BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 8 SO 18/12 R -).

Besuche des schwerbehinderten Sohnes bei seiner Mutter waren notwendig

Um die Teilhabeziele des Behinderten zu erreichen.

Längere Kontaktunterbrechungen – auch verzögert –

Könnten beim behindertem Sohn zu Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen, denn er ist laut Gutachten ein Einzelgänger, zieht sich immer in sein Zimmer zurück.

Die Übernachtungen im Haus der Mutter stellen auch keine unangemessenen Wünsche des Klägers im Vergleich zu einem nichtbehinderten, gleichaltrigen Menschen dar, der außerhalb seiner Herkunftsfamilie lebt.

Weil es nicht darauf ankommt, ob die Übernachtung zwingend erforderlich ist. Sie fördert vielmehr das Ziel, den Kontakt mit seiner Familie aufrechtzuerhalten und damit der Vereinsamung des Sohnes entgegenzuwirken.

Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft bedeutet eben nicht nur, auf die professionellen Begegnungen mit dem Pflegepersonal einer Einrichtung verwiesen zu sein.

Sondern es geht um Kontakte und Begegnungen mit Menschen außerhalb des Wohnheims.

Kläger ist Autist

Damit unterliegt der Sohn besonderen Herausforderungen. Bemerkenswert ist, wie der autistische Antragsteller trotz seiner Krankheit Kontakte und Begegnungen mit Menschen außerhalb des Wohnheims geschaffen hat.

Während der Besuche benötigt er aber eine Assistenz

Er bedarf einer durchgehenden Beaufsichtigung und Betreuung am Tage, um den Tag zu strukturieren, um notwendige äußere Anreize für basale Alltagsaktivitäten zu schaffen und um die Versorgung hinsichtlich Nahrung, Körperhygiene und ausreichender Trinkmenge zu gewährleisten.

Ein Anspruch auf Übernahme der Betreuung durch die Mutter lässt sich auch nicht aus § 1618a BGB herleiten

Denn ungeachtet der Frage, ob dies überhaupt eine Anspruchsnorm darstellt ist Vergleichsmaßstab der Grad an Beistand, den Eltern einem gleichaltrigen, nicht behinderten Kind üblicherweise leisten würden.

Die hier allein behinderungsbedingte Begleitung und Unterstützung des Klägers geht darüber hinaus. Die Norm eröffnet Ermessen. Im Hinblick darauf, dass die Leistung für den Kläger integraler Bestandteil der ihm gewährten Eingliederungshilfe ist, ist das Ermessen hinsichtlich des “Ob” auf null reduziert, wenn die Maßnahme erforderlich ist.

Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock

Sehr gute Entscheidung, welche ich in der Begründung beachtenswert finde.

Rechtstipp

LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 01.06.2023 – L 8 SO 223/18 – Revision anhängig beim BSG unter dem Az. B 8 SO 10/23 R –

Zum Anspruch eines stationär untergebrachten Leistungsberechtigten auf Leistung von Beihilfen für Besuche bei Angehörigen nach § 54 Absatz 2 SGB XII aF (hier mehr als zwölf Besuchsfahrten pro Jahr).

Ein unter schweren, körperlichen Einschränkungen auf einen Sonder(schiebe) Rollstuhl angewiesener Schwerstbehinderter hat Anspruch auf 12 Besuchsbeihilfen pro Jahr.

Voraussetzung ist, dass die Besuchsbeihilfen im Einzelfall erforderlich sind (§ 54 Abs. 2 SGB IX a.F.), sie also, ausgehend von Art und Schwere der Behinderung und den hieraus resultierenden Einschränkungen, unter prognostischer Betrachtung geeignet und notwendig ist, das in Frage stehende Teilhabeziel – hier die Verbindung von Leistungsberechtigten zu seinen Angehörigen – zu erreichen (hierzu ausführlich Sächsisches LSG, Urteil vom 13.7.2022 – L 8 SO 48/21 – ; zum Begriff der Erforderlichkeit einer Rehabilitationsmaßnahme vgl. BSG, Urteil vom 11.9.2020 – B 8 SO 22/18 R – ).

Die grundsätzlich geeignete Leistung muss im konkreten Einzelfall notwendig sein (vgl. auch § 4 Abs. 1 SGB IX).