Gefangene in deutschen Justizvollzugsanstalten (JVA) mรผssen fรผr die von ihnen geleistete Arbeit eine โangemesseneโ und fรผr sie โunmittelbar erkennbareโ Gegenleistung erhalten.
Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Dienstag, 20. Juni 2023, verkรผndeten Urteil klargestellt und die Entlohnungsregelungen fรผr Gefangene in Bayern und Nordrhein-Westfalen fรผr verfassungswidrig erklรคrt. Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot sei verletzt.
Die mehr als 42.000 Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in deutschen Gefรคngnissen sind in den meisten Bundeslรคndern zur Arbeit im Vollzug verpflichtet, in einigen Lรคndern ist sie freiwillig. Die Hรถhe des Arbeitsentgelts betrรคgt in der Regel neun Prozent des Durchschnittsverdienstes eines Arbeitnehmers.
Stundenlohn fรผr Gefangene zwischen 1,33 Euro und 2,22 Euro
Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft fรผr Straffรคlligenhilfe (BAG-S) erhalten Gefangene fรผr ihre Arbeit somit einen Tagessatz von 13,86 Euro. Je nach geleisteter Arbeit kann der Stundenlohn variieren, derzeit liegt er laut BAG-S zwischen 1,33 Euro und 2,22 Euro. Auch Urlaubstage und vorzeitige Entlassung kรถnnen Teil der Vergรผtung sein.
In den beiden jetzt entschiedenen Fรคllen ging es um einen zu lebenslanger Haft verurteilten Mann, der in der Druckerei der bayerischen Justizvollzugsanstalt Straubing arbeitet, und um einen Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Werl in Nordrhein-Westfalen, der als Kabelzerleger tรคtig ist.
Beide empfanden die Entlohnung der Gefangenen als viel zu niedrig und klagten auf mehr Geld. Die weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegende Vergรผtung verstoรe gegen das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot.
Das Bundesverfassungsgericht stimmte zu. Die Vergรผtungsregelungen in Bayern und Nordrhein-Westfalen seien verfassungswidrig. Der Strafvollzug mรผsse am Ziel der Resozialisierung ausgerichtet sein. Die Gefangenen seien auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Der Gesetzgeber mรผsse nachweisen, wie die Arbeit tatsรคchlich zur Resozialisierung beitrage.
Wenn durch die Entlohnung von Gefangenenarbeit dem Gefangenen gezeigt werden solle, โdass Erwerbsarbeit zur Sicherung des Lebensunterhalts sinnvoll istโ, mรผsse die Gegenleistung fรผr die geleistete Arbeit โunmittelbar erkennbarโ sein.
Bundesverfassungsgericht verlangt โangemessenenโ Gegenwert
Die Regelungen in Bayern und NRW wรผrden dem nicht gerecht und seien widersprรผchlich. Es fehle bereits an einem Resozialisierungskonzept, wie die Arbeit die Gefangenen auf ein Leben nach der Entlassung vorbereiten soll.
So sollen die Gefangenen mit ihrem sehr geringen Arbeitsentgelt in der Lage sein, sich in der JVA etwas zu kaufen, aber auch an den Haftkosten beteiligt werden und Unterhalts- und Wiedergutmachungszahlungen leisten.
Auch die Tilgung von Schulden soll mit dem Arbeitsentgelt mรถglich sein. Die Vergรผtung sei aber so niedrig, dass diese Ziele โrealitรคtsfernโ seien, rรผgte das Bundesverfassungsgericht. Eine Beteiligung an den Haftkosten sei aber grundsรคtzlich mรถglich.
Die Hรถhe der Entlohnung von Gefangenenarbeit kรถnne sich daran orientieren, ob die ausgeรผbte Tรคtigkeit als therapeutische Behandlung, als Erwerbsarbeit oder als notwendige, selbst verrichtete Hausarbeit anzusehen sei. Auch das Qualifikationsniveau der Arbeit sollte bei der Hรถhe der Vergรผtung berรผcksichtigt werden.
Sollen Gefangene an den Kosten fรผr erhaltene Gesundheitsleistungen beteiligt werden, bedรผrfe es eines Gesetzes. Diese fehle in Bayern und Nordrhein-Westfalen. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Berรผcksichtigung der Arbeit von Strafgefangenen in der Rentenversicherung bestehe jedoch nicht.
Gefangene kรถnnen fรผr ihre Knastarbeit auf mehr Geld hoffen
Die Verfassungsrichter bemรคngelten auch, dass es an einer โwissenschaftlich begleiteten Evaluation der Resozialisierungswirkung von Arbeit und Arbeitsentgeltโ fehle. Nur durch eine Evaluation kรถnne festgestellt werden, inwieweit die Arbeit der Gefangenen und das dafรผr erhaltene Arbeitsentgelt zur verfassungsrechtlich gebotenen Resozialisierung beitragen.
Urteil mit bundesweiter Bedeutung
Das Urteil hat auch Bedeutung fรผr die anderen Bundeslรคnder, die vergleichbare Regelungen zur Gefangenenentlohnung haben. fle/mwo