Schwerbehinderung: “Ich war schon mit 50 in Rente – und das ganz ohne Abschläge”

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Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen gilt als eine der attraktivsten Möglichkeiten, den Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand zu gestalten. Sie eröffnet Versicherten, deren Grad der Behinderung (GdB) mindestens 50 beträgt, die Option, bis zu zwei Jahre früher als Nicht‑Behinderte ohne Rentenabschläge in den Ruhestand zu gehen – und im Extremfall bis zu fünf Jahre früher, sofern sie Kürzungen akzeptieren.

Doch gerade wegen dieser Sonderstellung kursieren im Alltag viele Halbwahrheiten, die die Entscheidung für oder gegen den vorzeitigen Rentenbeginn erschweren. Ein Blick auf die geltende Rechtslage und aktuelle Entwicklungen zeigt, wie sich Fakt und Fiktion unterscheiden.

Neu ab Sommer 2025

Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ist in § 37 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) verankert.

Für alle Personen mit Geburtsjahrgang 1964 und jünger liegt die abschlagsfreie Altersgrenze seit der jüngsten Reform einheitlich bei 65 Jahren. Frühestmöglicher Rentenbeginn ist das 62. Lebensjahr; wer diesen Weg wählt, muss einen dauerhaften Abschlag von bis zu 10,8 Prozent hinnehmen, weil pro Monat des verfrühten Bezugs 0,3 Prozent abgezogen werden.

Der stufenweise Anstieg der Altersgrenzen wurde 2012 gestartet und ist 2025 nahezu vollständig umgesetzt. Voraussetzung bleibt eine Wartezeit von 35 Versicherungsjahren.

Angerechnet werden nicht nur klassische Beschäftigungszeiten, sondern auch Phasen der Kindererziehung, der Pflege Angehöriger, längere Arbeitsunfähigkeiten, Zeiten des Bürgergeld‑Bezugs sowie schulische oder akademische Ausbildungen ab Vollendung des 17. Lebensjahres.

Mythos 1: „Ich war schon mit 50 in Rente – und das ganz ohne Abschläge.“

Kaum ein Gerücht hält sich hartnäckiger. Tatsächlich gibt es in der gesetzlichen Rentenversicherung keine Altersrente, die eine pensionierung mit 50 Jahren ohne Kürzungen erlaubt – auch nicht für schwerbehinderte Menschen.

Wer in diesem Alter bereits Leistungen bezieht, erhält in aller Regel keine Alters‑, sondern eine Erwerbsminderungsrente. Diese wird gezahlt, wenn die Arbeitsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich gesunken ist und eine Besserung in den nächsten sechs Monaten unwahrscheinlich erscheint.

Die beiden Rentenarten beruhen auf völlig unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen: Die Erwerbsminderungsrente knüpft an das gesundheitliche Leistungsvermögen an, die Altersrente für schwerbehinderte Menschen hingegen an das Lebensalter plus Wartezeit.

Wer die beiden Systeme verwechselt, gelangt schnell zu falschen Schlussfolgerungen über den möglichen Rentenbeginn.

Mythos 2: Der Schwerbehindertenausweis allein genügt

Ein GdB von 50 öffnet zwar die Tür zur Altersrente für schwerbehinderte Menschen, doch ohne die erforderliche Wartezeit bleibt sie verschlossen. Erst wenn die 35 Versicherungsjahre nachgewiesen sind, kann der Antrag gestellt werden.

Dass viele Betroffene die Wartezeit trotzdem problemlos erreichen, liegt am weiten Begriff der „Berücksichtigungszeiten“. Wer beispielsweise wegen einer chronischen Erkrankung längere Zeit arbeitsunfähig oder arbeitslos war, sammelt weiter Monate auf dem Rentenkonto.

Auch Zeiten eines Minijobs zählen, sofern dieser rentenversicherungspflichtig geführt wurde. Damit wird deutlich, warum der Ausweis zwar eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung ist.

Mythos 3: Die Rente wird „künstlich aufgebläht“

Manche Stammtischdebatte unterstellt, die Altersrente für schwerbehinderte Menschen sei höher, weil der Gesetzgeber sie pauschal aufstocke. In Wahrheit richtet sich die Rentenhöhe ausschließlich nach den individuellen Entgeltpunkten – also nach dem, was im Laufe des Arbeitslebens in die Rentenkasse geflossen ist.

Statistisch erscheint diese Rentenart dennoch oft überdurchschnittlich: Wer den abschlagsfreien Weg nutzt, verzichtet nicht auf Punkte durch Abschläge und bezieht trotzdem früher Geld.

Dass viele Versicherte mit Schwerbehinderung längere Erwerbsbiografien und damit mehr Beitragsjahre vorweisen können, erhöht den Durchschnitt zusätzlich. Eine automatische Bonus‑Bepunktung existiert jedoch nicht.

Abschläge richtig einordnen

Wird die Rente bereits mit 62 Jahren beantragt, verringert jeder vorgezogene Monat die spätere Zahlung um 0,3 Prozent, insgesamt maximal 10,8 Prozent. Dieser Abzug bleibt lebenslang bestehen und wirkt sich auch auf Witwen‑ oder Witwerrenten aus.

Ob sich das Vorziehen finanziell lohnt, hängt vom individuellen Gesundheitszustand, von der Höhe der zu erwartenden Rente und vom geplanten Hinzuverdienst ab. Dazu kommt der psychologische Faktor, dass ein früherer Ruhestand mehr Freizeit verspricht, aber länger finanziert werden muss.

Unbegrenztes Hinzuverdienen seit 2023

Das Jahr 2023 brachte eine grundlegende Änderung: Die bis dahin starre Hinzuverdienstgrenze für vorgezogene Altersrenten wurde abgeschafft. Wer heute die Altersrente für schwerbehinderte Menschen bezieht, darf parallel in beliebiger Höhe hinzuverdienen, ohne dass die Rente gekürzt wird.

Für viele Versicherte eröffnet diese Regelung die Möglichkeit, die finanziellen Einbußen durch Abschläge teilweise zu kompensieren – oder den Übergang in die Rente stufenweise zu gestalten.

Vertrauensschutz läuft 2026 aus

Noch gilt für einige wenige Versicherte, die vor 1952 in Altersteilzeit eingestiegen sind, ein Vertrauensschutz, der unter Umständen einen Rentenbeginn unter 62 Jahren ermöglicht.

Diese Altregelung endet endgültig am 1. Januar 2026. Ab dann ist die Altersrente für schwerbehinderte Menschen – mit oder ohne Abschläge – grundsätzlich erst ab dem vollendeten 62. Lebensjahr erreichbar.

Wer bislang auf eine frühere Ausstiegsmöglichkeit gesetzt hat, sollte daher rasch prüfen, ob noch Handlungsoptionen bestehen.

Praxis-Tipp: Rentenkonto jetzt klären

Angesichts der stufenweise angehobenen Altersgrenzen und der ab 2026 wegfallenden Sonderregeln ist es ratsam, mindestens drei Jahre vor dem gewünschten Rentenbeginn eine Kontenklärung bei der Deutschen Rentenversicherung zu beantragen.

Dabei werden alle beitragsrelevanten Zeiten geprüft und fehlende Nachweise ergänzt. Wer unsicher ist, ob die Wartezeit erfüllt wird, kann mit freiwilligen Beiträgen oder rentenversicherungspflichtigen Minijobs Lücken schließen.

Eine rechtzeitige, unabhängige Beratung – etwa bei Sozialverbänden oder der Rentenversicherung selbst – minimiert das Risiko, die Rente zu früh oder unter ungünstigen Bedingungen zu beantragen.

Fazit

Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen bleibt auch 2025 eine der wichtigsten sozialrechtlichen Sonderleistungen. Sie ermöglicht einen früheren und gegebenenfalls abschlagsfreien Übergang in den Ruhestand, verlangt aber einen GdB von mindestens 50 und 35 Beitragsjahre.

Weder ein vermeintlicher Ruhestand mit 50 ohne Kürzungen noch das reine Vorhandensein eines Schwerbehindertenausweises entsprechen der Rechtswirklichkeit. Wer die komplexen Regeln versteht, kann die Vorteile des Systems nutzen und finanzielle Fehlplanungen vermeiden.

Damit gilt: Mythen zementieren Unsicherheit; Fakten schaffen Planungssicherheit – und nur Letztere garantieren einen Ruhestand nach Maß.