Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Übernahme weiterer Stromkosten besteht nicht. Sie sind grundsätzlich in dem pauschalierten Regelbedarf nach § 20 SGB II bereits enthalten.
Über diesen Anteil hinausgehende Stromkosten sind daher grundsätzlich von den Leistungsempfängern selbst zu tragen. Was Anderes gilt aber, wenn die erhöhten Stromkosten aufgrund der besonderen Sachlage unvermeidbar sind, zum krankheitsbedingte erhöhte Aufwendungen.
In so einem Fall kann – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – über § 21 Abs. 6 SGB II ein Mehrbedarf für Stromverbrauch in Betracht kommen.
Inhaltsverzeichnis
Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB 2
Nach dieser Vorschrift wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht.
Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.
Nach Auffassung des LSG NRW L 6 AS 1651/17 – Revision zugelassen – gilt hier folgendes:
Gesundheitliche Einschränkungen – GdB von 100 sowie die Merkzeichen aG, H und RF zuerkannt
Das Jobcenter muss einen Härtefallmehrbedarf für den Mehrverbrauch an Strom erbringen aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen bei der Leistungsbezieherin.
Leistungsempfängerin ist auf die dauerhafte Nutzung von Elektrogeräten angewiesen
Die Antragstellerin ist bei den Belangen des täglichen Bedarfs auf die dauerhafte Nutzung von Elektrogeräten angewiesen, die im Rahmen einer durchschnittlichen, auf Wirtschaftlichkeitserwägungen basierenden Haushaltsführung nicht, oder jedenfalls nicht in diesem Umfang anfallen.
Wäschetrockner ist für die Antragstellerin zwingend notwendig
Aufgrund der körperlichen Einschränkungen ist sie bei der Wäschepflege nicht nur – wie in Normalhaushalten üblich – auf eine Waschmaschine, sondern auch auf einen Wäschetrockner angewiesen.
Verweis auf Hilfskräfte unzumutbar für die Leistungsbezieherin
Sie kann nicht darauf verwiesen werden, die Wäsche manuell an einem Wäscheständer zu trocknen, weil sie körperlich nicht dazu in der Lage ist, die hierfür erforderlichen Verrichtungen zu vollziehen. Ebenso wenig ist es ihr zumutbar, hierfür dauerhaft Hilfskräfte hinzuziehen.
Gefrierschrank notwendig
Denn dieser wird von der Antragstellerin benötigt, um die von der Assistenz für sie vorbereiteten Lebensmittel einfrieren zu können. Zubereitung frischer Speisen ist für die Antragstellerin krankheitsbedingt kaum zu schaffen.
Spülmaschine zur Reinigung des Geschirrs
Auch benötigt sie eine Spülmaschine zur Reinigung des Geschirrs, welches sie nicht in der notwendigen Häufigkeit zumutbar selbst manuell im Spülbecken reinigen kann.
Erhöhter Mehrbedarf an Stromkosten ist auch unabweisbar
Die so fortlaufend entstehenden Strommehrkosten, die auch der Höhe nach nicht nur unwesentlich über dem durchschnittlichen Bedarf liegen, sind auch unabweisbar im Sinne von § 21 Abs. 6 (Satz 2) SGB II, weil sie nicht durch Zuwendungen Dritter bzw. unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Klägerin zu decken sind.
Denn Einsparmöglichkeiten sind nicht erkennbar. Zuwendungen Dritter, die die Klägerin zur Deckung des Bedarfes verwenden müsste, liegen ebenfalls nicht vor.
Sie ergeben sich insbesondere nicht aus den Leistungen nach ContStifG (Conterganrente).
Mehrbedarf vorrangig durch alle verfügbaren Mittel zu decken
Zu berücksichtigen sind insbesondere gewährte Leistungen anderer Leistungsträger als der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (z.B. Unterhaltsvorschuss, Leistungen der Kranken und Pflegekassen), Zuwendungen Dritter (z.B. von Familienangehörigen) können in Form von Sach-, Geld- oder Dienstleistungen gewährt werden. Auf die rechtliche Einordnung als Einnahmen kommt es insoweit nicht an.
Einnahmen für die Deckung der in § 21 Abs. 6 SGB II vorgesehenen Sonderbedarfe können nur berücksichtigt werden bei Bezifferung
Wenn eindeutig feststeht, dass und in welchem Umfang Geldleistungen und sonstige Zuwendungen Dritter tatsächlich zugeflossen sind.
Einnahmen dürfen vom Jobcenter nicht nur vermutet werden, sie müssen nach gewiesen werden – Vermutungen ins Blaue unerwünscht
Der Zufluss dieser Leistungen muss konkret nachgewiesen sein und darf nicht lediglich unterstellt oder vermutet werden.
Es kommt allein auf den tatsächlichen Zufluss bereiter Mittel, also von Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II, an (Behrend in jurisPK-SGB II, Stand: 02.07.2020, § 21 Rn. 96).
Zweckbestimmte Einnahmen sind anrechnungsfrei – Conterganrente
Die gesetzgeberische Grundentscheidung, Entschädigungszahlungen im Sinne von § 11a SGB II oder nach dem ContStifG den Betroffenen zu belassen und diesen gerade nicht zuzumuten, von diesen Zahlungen ihren existenziellen Bedarf zu decken, wird durch § 21 Abs. 6 SGB II nicht konterkariert.
Auch ein Mehrbedarf des Jobcenters – hier Mehrbedarf für Strommehrverbrauch gehört zum Existenzminimum
Denn auch ein über dem Regelfall liegender Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II gehört zu den existenzsichernden Leistungen, die einen Mindestlebensstandard für die betroffenen Leistungsberechtigten sicherstellen sollen.
Fazit
Entschädigungsleistungen ( hier Leistungen nach ContStifG ) dürfen – nicht – zur Sicherung des Existenzminimums herangezogen werden, sie sind beim Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht zu berücksichtigen.
Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock
Ich liebe dieses Urteil, weil es klar und deutlich zum Ausdruck bringt, dass ein krankheitsbedingter Mehrverbrauch an Strom vom Jobcenter zu übernehmen ist- Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II.
Was müsst Ihr tun, wenn Euer Stromverbrauch erhöht ist aufgrund krankheitsbedingter Aufwendungen?
Antrag stellen beim Jobcenter auf Übernahme des Mehrverbrauchs an Stromkosten aufgrund krankheitsbedingter Umstände, welcher nach § 21 Abs. 6 SGB II vom Jobcenter zu übernehmen ist
Was muss ich dem Antrag beifügen?
1. Aktuelles Attest über die Krankheit, Prognose
2. Falls vorhanden Gutachten
3. Ihr müsst schildern, wie der erhöhte Stromverbrauch entsteht, zum Beispiel aufgrund der erhöhten Nutzung der Waschmaschine, weil krankheitsbedingt ein erhöhter Wäscheverschleiß vorliegt( das sollte im ärztl. Attest vermerkt sein )
4. Ihr benötigt Hilfsgeräte, welche alle einen erhöhten Stromverbrauch erzeugen, Heizdecken, Höhensonne oder ähnliches.
Der Verbrauch ist denn vom Job zu schätzen, da in der Regel nicht nachweisbar in tatsächlicher Höhe ( Schätzung – BSG, Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 47/14 R zur Schätzung der Stromkosten für den Betrieb einer Gastherme; § 202 SGG i.V.m. § 287 Zivilprozessordnung).
Wertvoller Tipp
Verfügt die Mietwohnung oder das Häuschen über eine dezentrale Warmwassererzeugung zum Bsp. über Boiler, Durchlauferhitzer, kommt es in der Regel bei einem Mehrverbrauch an Strom aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen auch zu einem – Mehrverbrauch an Warmwasserkosten.
Auch dieser erhöhte Mehrverbrauch ist vom Jobcenter aufgrund krankheitsbedingter Umstände zu übernehmen.
Denn so ein Mehrverbrauch bzw. Mehrbedarf kann zum Beispiel vorliegen,
dass sie mehrmals pro Woche – idealerweise täglich – darauf angewiesen sind ein Vollbad zu nehmen, um die sich durch die körperlichen Gegebenheiten ergebenden Fehlbelastungen auszugleichen und die Muskulatur geschmeidig zu halten, da hierfür Maßnahmen der Physiotherapie und das wöchentliche Schwimmen nicht ausreichen.
Das muss durch Vorlage eines Attest nach gewiesen werden. Viele Krankheiten erfordern genau diese Anwendungen, wie zum Bsp. Wärmebäder bei Rheuma, tägliches Duschen bei Neurodermitis ( aufgrund der Salben ), Waschzwang und andere Krankheiten.
Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.