Nach § 21 Abs. 5 SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Eine Ernährung ist in Relation zum Regelbedarf kostenaufwändiger im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II, wenn sie von dem im Regelbedarf umfassten typisierten Bedarf abweicht und von diesem nicht gedeckt wird (vgl. nur BSG, Urteil vom 20. Februar 2014 – B 14 AS 65/12 R -).
Voraussetzung für diesen Mehrbedarf ist ein medizinisch begründetes besonderes Ernährungsbedürfnis.
Ein solches liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, wenn mit der Regelernährung bestimmte Inhaltsstoffe nicht vermieden werden können, sodass aus physiologischen Gründen ein objektiver Bedarf an einer besonderen Ernährung bedingt ist, die auf einer spezifischen Ernährungsempfehlung beruht.
Die Notwendigkeit, bei der Ernährung bestimmte Produkte zu meiden, begründet einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB 2 nur dann, wenn diese durch kostenintensivere Alternativen ersetzt werden müssen. Dies ist bei einer Haselnussallergie nicht gegeben. So das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.10.2025 – L 3 AS 424/22 –
Kurzbegründung des Gerichts
Eine gesunde Vollkost unter Verzicht auf haselnusshaltige Produkte ist ausreichend
Soweit bei der Klägerin eine Haselnussallergie vorliegen sollte, wofür die erhöhten IgE-Werte und der Prick-Test sowie das Gutachten sprechen, ist eine gesunde Vollkost unter Verzicht auf haselnusshaltige Produkte ohne finanziellen Mehraufwand möglich.
Bei einer Haselnussallergie sind Lebensmittel, die Haselnüsse enthalten, zu vermeiden. Diese Ernährungsgestaltung ist für die Klägerin sicherlich umständlicher, begründet jedoch keinen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II.
Sie muss Haselnüsse meiden und ist deshalb auch darauf angewiesen, bei verarbeiteten Produkten stets die genauen Inhaltsstoffe zu kennen. Dies führt sicherlich zu einem zeitlichen Mehraufwand, der Senat vermag jedoch nicht festzustellen, dass damit auch Mehrkosten verbunden sind.
Die Notwendigkeit, bestimmte Produkte bzw. Stoffe zu meiden, kann einen Mehrbedarf nur dann begründen, wenn diese Produkte bzw. Stoffe durch kostenintensivere Alternativen ersetzt werden müssen.
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Bescheid prüfenDas ist bei einer Haselnussallergie nicht der Fall.
Dem diesbezüglich gestellten Beweisantrag der Klägerin, einen Sachverständigen für Ernährungswissenschaften mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen , musste der Senat nicht nachgehen. Die Einschätzung, dass sich bei einem Verzicht auf haselnusshaltige Produkte im Rahmen einer gesunden Vollkost kein finanzieller Mehraufwand ergibt, kann der Senat ohne sachverständige Hilfe treffen. Dieser Umstand ist für das Gericht offenkundig und bedarf keines weiteren Beweises (vgl. § 291 ZPO).
Verarbeitete Grundnahrungsmittel wie Brot und Brötchen enthalten bei einfacher Herstellung keine Haselnüsse. Sie sind im allgemeinen Handel – auch in Supermärkten und Discountern – ohne Haselnüsse erhältlich. Haselnüsse unterliegen nach der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) VO (EU) 1169/2011 – Anlage II der Kennzeichnungspflicht, so dass der Erwerb entsprechender Produkte allein durch Lesen der Inhaltsstoffe vermieden werden kann. Im Übrigen kann auf unverarbeitete Lebensmittel zurückgegriffen werden. Dies ist kostenneutral möglich und entspricht ohnehin einer gesunden Ernährungsweise.
Auch kein Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB 2 unter Auslegung unter Berücksichtigung von Vertrauensschutzgesichtspunkten
Es soll gewährleistet werden, dass über die typisierten Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 2 bis 5 SGB II hinaus und jenseits der Möglichkeit, vorübergehende Spitzen besonderen Bedarfs durch ein Darlehen aufzufangen, solche Bedarfe im System des SGB II gedeckt werden, die entweder der Art oder der Höhe nach bei der Bemessung des Regelbedarfs nicht berücksichtigt sind.
Ein solcher Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB 2 – lag objektiv nicht vor
Denn der aus medizinischen Gründen bestehende Mehrbedarf für besondere Formen der Ernährung ist speziell in § 21 Abs. 5 SGB II geregelt und daher nicht geeignet, einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu begründen.
Das gilt auch für den vorliegenden Fall, wenn man der Argumentation der Klägerin folgt und annimmt, dass sie auf Grund des ärztlichen Attestes des Dr. F, der Stellungnahme des medizinischen Dienstes und der vorläufigen Gewährung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II durch das Jobcenter im streitgegenständlichen Zeitraum davon ausgehen durfte, dass sie sich glutenfrei ernähren müsse und ihr der Mehrbedarf zustehe.
Dabei lässt der Senat ausdrücklich offen, ob die Klägerin tatsächlich gutgläubig war und angenommen hat, sie müsse sich glutenfrei ernähren und die hierfür gewährten Mittel ausgegeben hat.
Fazit
Es bestand kein objektiver Bedarf an einer einen Mehrbedarf verursachenden bestimmten Ernährung. Bei der Klägerin lassen sich physiologische Gründe, die zu einem objektiven Bedarf an einer besonderen, von Vollkost abweichenden Ernährung führen, schon nicht feststellen.
Rechtstipp vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock
ebenso Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 30. Juli 2021 – L 4 AS 275/20 –



