Das Jobcenter muss den Nachweis erbringen, dass für den Bürgergeld-Betroffenen konkret verfügbarer Wohnraum vorhanden ist, zumal die Unangemessenheit der KdUH eine Einwendung der Behörde ist.
Das Jobcenter brachte eine Hilfebedürftige in eine schwierige Notlage, denn es senkte die monatlichen Kosten der Unterkunft um ca. 330 € monatlich ab.
Rechtswidrig sagt das Gericht und befreit die Leistungsempfängerin aus ihrer Notlage
1. Das Jobcenter muss nachweisen, dass die dem Leistungsempfänger tatsächlich entstehenden Kosten für Unterkunft nicht angemessen sind.
2. Die objektive Beweislast für einen niedriger als die tatsächlichen Unterkunftskosten anzusetzenden angemessenen Bedarf an Unterkunftskosten liegt beim SGB-II-Leistungsträger, da § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II vom Grundsatz ausgeht, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft als Bedarfe anzusetzen sind.
3. Kein Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 12 WoGG bei Nicht – Glaubhaftmachung des Erkenntnisausfalls ( Leitsätze Sozialrechtsexperte Detlef Brock ).
Das Gericht rügt das Jobcenter, weil es die Ermittlung der Kosten der Unterkunft für
1. nicht glaubhaft hält
und
2. die Kosten der Unterkunft aber auch für zu niedrig hält.
Das Gericht befreite die Bürgergeldbezieherin vorübergehend aus ihrer Notlage aufgrund einer laufenden Unterdeckung des Lebensbedarfs. Denn das Jobcenter zahlte ihr Monat für Monat (pro Monat 336,00 € weniger Grundmiete) nicht die tatsächlichen Mietkosten.
Wenn das Jobcenter die Mietkosten absenkt auf nur noch die Mietkosten, welche das Jobcenter für angemessen hält zahlt, trifft es auch die Beweislast dafür, wie sich diese Unterkunftskosten zusammen setzen, auf welcher Datengrundlage sie errechnet wurden.
Das Jobcenter muss beweisen, dass ihre Kosten der Unterkunft und Heizung auf einem schlüssigem Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG beruhen.
Das Gericht hielt es in mehreren Punkten hier für nicht glaubhaft und rügte das Jobcenter, weil das JC nicht nachweisen konnte, das für den streitigen Zeitraum und den Vergleichsraum keine hinreichenden Feststellungen zu den abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft mehr treffen lassen
Oder dass eine noch durchzuführende Ermittlung der Grenzen für die abstrakte Angemessenheit durch das Jobcenter höchstens die Werte nach § 12 WoGG zuzüglich eines Zuschlags von 10% ergeben wird.
Orientierungssatz Sozialrechtsexperte Detlef Brock
1. Das Jobcenter trägt die objektive Beweislast dafür, dass die der Antragstellerin tatsächlich entstehenden Kosten für Unterkunft und Heizung nicht angemessen sind.
2. Das Jobcenter muss den Nachweis erbringen, dass für den Betroffenen konkret verfügbarer Wohnraum vorhanden ist, zumal die Unangemessenheit der KdUH eine Einwendung der Behörde ist ( so auch LSG BB L 32 AS 1888/17 ).
3. Eine Begrenzung der gemäß § 22 Abs. 1 SGB II anzuerkennenden Kosten der Unterkunft auf die Höchstwerte nach § 12 WoGG zuzüglich eines Zuschlags von 10% kommt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht in Betracht, wenn nicht glaubhaft ist, dass sich für den streitigen Zeitraum und den Vergleichsraum keine hinreichenden Feststellungen zu den abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft mehr treffen lassen oder dass eine noch durchzuführende Ermittlung der Grenzen für die abstrakte Angemessenheit durch den Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende höchstens die Werte nach § 12 WoGG zuzüglich eines Zuschlags von 10% ergeben wird (Leitsatz Gericht)
So entschieden von der bayrischen Sozialgerichtsbarkeit.
Begründung:
Objektive Beweislast liegt beim Antragsteller
Zwar gilt, dass wer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beantragt, auch die objektive Beweislast dafür trägt, nämlich der Antragsteller.
Wer Bürgergeld beantragt, trägt deshalb grundsätzlich die Folgen einer objektiven Beweislosigkeit, wenn sich nach Ausschöpfung der verfügbaren Beweismittel die Leistungsvoraussetzungen nicht feststellen lassen (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – ).
Umkehr der Beweislast – hier muss also das Jobcenter beweisen – gilt bei Nichtaufklärung und unterlassenen Angaben
Es kommt aber zu einer Umkehr der Beweislast, wenn eine besondere Beweisnähe zu einem Beteiligten besteht, wenn also in dessen Verantwortungsbereich wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung erschwert oder verhindert wird.
Das Jobcenter muss den Nachweis erbringen, dass für den Betroffenen konkret verfügbarer Wohnraum vorhanden ist, zumal die Unangemessenheit der KdUH eine Einwendung der Behörde ist
Dieser Grundsatz ist mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) auf die Prüfung der Angemessenheit von Unterkunftskosten dahingehend anzuwenden, dass demjenigen, der Leistungen nach dem SGB II begehrt, nicht die fehlende Aufklärbarkeit von Tatsachen außerhalb seiner Verantwortungssphäre zu Last fallen darf (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. März 2023 – L 32 AS 1888/17 – )
Zu der Frage, ob eine Wohnung zu einem bestimmten Preis abstrakt vorhanden ist, trifft das Jobcenter die objektive Beweislast (Ernst-Wilhelm Luthe in: Hauck/Noftz SGB II)
Denn das Jobcenter ist für die Ermittlung der abstrakten Grenze der Angemessenheit verantwortlich, wohingegen die Ermittlung demjenigen, der Leistungen nach dem SGB II beantragt, regelmäßig nicht möglich ist.
Das Gericht stellt fest, dass nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durchzuführenden Prüfung es nicht nicht glaubhaft ist, dass die Kosten der Unterkunft nur bis zu den auf die vom Jobcenter angesetzten Beträgen angemessen sind
Nach Auffassung des Gerichts ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für eine Anwendung der Höchstwerte gemäß § 12 WoGG zuzüglich eines Zuschlags von 10% vorliegen.
Die Voraussetzungen für die Anwendung der Werte nach § 12 WoGG zuzüglich eines Zuschlags von 10% nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liegen nicht vor.
Denn das Jobcenter trägt lediglich vor, dass es vergeblich versucht habe, ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten zu erstellen. Ein Ausfall der lokalen Erkenntnismöglichkeiten ist nicht vorgetragen oder ersichtlich.
Gericht glaubt dem Jobcenter nicht, dass es möglich ist, die aktuellen Grenzen für die abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft zu ermitteln und dem Gericht die zur Überprüfung erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen
Somit wird das Jobcenter beim Hauptsachverfahren gehalten sein, dem Gericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf. unterbliebene Datenerhebungen bzw. -aufbereitungen nachzuholen.
Kein Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 12 WoGG bei Nicht – Glaubhaftmachung des Erkenntnisausfalls
Wenn aber ein Erkenntnisausfall nicht glaubhaft gemacht worden ist, dann ist ein Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 12 WoGG zuzüglich eines Zuschlags von 10% versperrt.
Das Gericht glaubt auch nicht, das es wahrscheinlich ist, dass das Jobcenter ein nach den Vorgaben des Bundessozialgerichts entwickeltes schlüssiges Konzept zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft Angemessenheitswerte innerhalb der Höchstwerte nach § 12 WoGG zuzüglich eines Zuschlags von 10% ergeben wird, weil jegliche Datengrundlage fehlt.
Gericht erkennt Notlage bei der Leistungsempfängerin an – somit Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz – aufgrund einer laufenden Unterdeckung des Lebensbedarfs
Kontoauszüge beweisen Notlage der Leistungsempfängerin
Aus der laufenden Unterdeckung des Lebensbedarfs resultiert eine unmittelbare Notlage sowohl in Bezug auf die mit dem Regelbedarf abgedeckte Lebensführung als auch in Bezug auf den Erhalt der Unterkunft. Aus den Kontoauszügen der Bürgergeldempfängerin ergibt sich, dass sie die Notlage nicht überbrücken kann.
Anmerkung Sozialrechtsexperte:
Wow, was für eine gute Entscheidung, denn viele Jobcenter senken die Kosten der Unterkunft bei Beziehern von Bürgergeld ab, obwohl sie gar kein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG haben.
Was ist mein Rat an Euch?
Tausenden Leistungsbeziehern in Deutschland werden gerade nicht die Tatsächlichen Mietkosten bezahlt. Setzt Euch zur Wehr, wenn ihr den Eindruck habt, dass
1. Keine freien angemessenen Wohnungen verfügbar sind
2. Das Konzept eures Jobcenters wohl möglich rechtswidrig ist, weil es keine Datengrundlage vorweisen kann.
Somit bleibt Euch nur eins:
1. Eilrechtsschutz gegen die Begrenzung der Kosten der Unterkunft auf die Werte nach § 12 WoGG.
Wir, die Mitarbeiter von gegen-hartz.de, liefern Euch die neusten Urteile zum Bürgergeld und zeigen euch auf, wie ihr euch wehren könnt.
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.