Das Jobcenter muss Bürgergeld-Leistungsbeziehern ein Darlehen für den Kauf eines PKW bewilligen, wenn diese ohne das Auto von Arbeitslosigkeit bedroht wären. So entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (L 11 AS 676/15 B ER).
Im konkreten Fall urteilte das Landessozialgericht, dass einer Arbeitnehmerin ein Darlehen zur Anschaffung eines PKW gewährt werden musste. Diese Pflicht habe das Jobcenter, wenn andernfalls Arbeitslosigkeit drohe.
Dies treffe dann zu, wenn der PKW notwendig sei, um die Tätigkeit auszuführen und die Anschaffung nicht von Anfang an unwirtschaftlich sei.
Der Tatbestand
Die Leistungsberechtigte arbeitete seit Januar 2015 bei einer Leiharbeitsfirma als Pflegehelferin. Da der Lohn das Existenzminimum nicht sicherte, bezog sie ergänzend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II.
Sie fuhr mit dem privaten PKW zu den unterschiedlichen Einsatzorten. Am 1. März 2015 informierte sie das Jobcenter darüber, dass ihr Auto am Tag zuvor endgültig fahruntauglich geworden sei.
Die Reparatur koste vermutlich rund 1.000 Euro. Sie schrieb, dass sie für die Arbeit einen privaten PKW benötige und bat um Finanzhilfe des Jobcenters, da ihr ohne Auto der Verlust des Arbeitsplatzes drohe.
Das Jobcenter verweigert die Unterstützung
Einen Tag nach der per E-Mail geschickten Information meldete sich die Leistungsbezieherin telefonisch beim Jobcenter und beantragte ein Darlehen zum Kauf eines neuen PKW.
Sie kaufte diesen am gleichen Tag. Ihr altes Auto wurde für 400 Euro in Zahlung genommen, und sie selbst musste 2.000 Euro für den neuen Wagen aufbringen.
Das Jobcenter lehnte ein Darlehen mit der Begründung ab, die Leistungsbezieherin habe offensichtlich selbst das Geld gehabt, um den Wagen zu bezahlen.
Die Leistungsberechtigte widerspricht
Die Betroffene widersprach dieser Darstellung. Vielmehr hätte sie den PKW nur bekommen, weil sie gesagt hätte, dass das Jobcenter die Kosten übernehme. Sie sei davon ausgegangen, weil eine Mitarbeiterin des Jobcenters ihr den Eindruck vermittelt habe, dass sie auf jeden Fall ein Darlehen bekäme.
Erfolglos vor dem Sozialgericht, doch Landesgericht stimmt zu
Die Leistungsbezieherin klagte erfolglos vor dem Sozialgericht Hannover. Die nächste Instanz, das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, gab ihr jedoch Recht und verpflichtete das Jobcenter im Eilrechtsschutz, das Darlehen in Höhe von 2.000 Euro zu gewähren, um den bereits gekauften PKW zu bezahlen.
Das Landessozialgericht begründete dies damit, dass der Verkäufer davon ausgegingen sei, zunächst nur das alte Auto in Zahlung zu nehmen und darauf wartete, bald eine Zahlung des Jobcenters zu erhalten.
Zwar liege, so das Landessozialgericht, die Gewährung eines Darlehens zwar grundsätzlich im Ermessen des Jobcenters. Die Behörde habe aber in diesem Fall das Ermessen falsch ausgeübt. Denn es hätte die individuelle und familiäre Situation der Betroffenen berücksichtigen müssen.
Diese sei nämlich bei ihrer Erwerbstätigkeit auf einen PKW angewiesen, denn sonst drohe ihr der Verlust des Arbeitsplatzes. Das Jobcenter müsse also ein Darlehen gewähren, welches die Antragstellerin in monatlichen Raten von 200 Euro zurückzahlen wolle.
Ausbeuterische Firmen und selbstgerechte Behörden
Positiv an der Geschichte ist lediglich, dass das Landessozialgericht hier einmal tatsächlich sozial Recht gesprochen und auf bestehende Gesetze hingewiesen hat.
Dass es dazu überhaupt kommen musste, liegt an einem Wechselspiel zwischen ausbeuterischen Leiharbeitsfirmen und Jobcentern, die die Rechte der Leistungsbezieher mit Füßen treten.
Dass eine Frau, die in der ambulanten Pflege tätig ist, überhaupt mit Sozialleistungen aufstocken muss, weil ihr Lohn nicht das Existenzminimum deckt, ist ungeheuerlich.
Dass diese Pflegekraft zu ihren Kunden mit dem privaten PKW fahren muss, und die Firma -wenn dieser ausfällt- kein firmeneigenes Auto bereitstellt, sondern ihr stattdessen der Jobverlust droht, ist leider eine unter Leiharbeitsfirmen übliche Abzocke.
Wo bleiben die Sanktionen für das Jobcenter?
Vollkommen versagt hat das Jobcenter. Dieses, und nicht etwa nur die Leistungsberechtigten, hat die definierte Pflicht zur Mitwirkung, um Arbeitssuchende in Arbeit zu bringen sowie Aufstocker vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes zu schützen.
Klare Verletzungen der Mitwirkungspflicht führen bei Leistungsbeziehern zu Sanktionen des Jobcenters. Nur: Wann werden endlich die Jobcenter zur Rechenschaft dafür gezogen, wenn sie, wie in diesem Fall, ihre Mitwirkungspflicht in die Mülltonne werfen?
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.