Bürgergeld: Jobcenter kürzt Miete, weil Betroffene 2-3 mal in der Woche beim Freund anwesend ist – Urteil

Lesedauer 4 Minuten

Jobcenter darf Mietkosten nicht streichen bei 2-3 mal wöchentlichem Aufenthalt beim Freund
Das Jobcenter irrt, wenn es meint, dass ein zeitweiliger Aufenthalt eines Leistungsbeziehers von maximal 2-3 mal wöchentlich beim Freund zur Nicht Nutzung der Wohnung des Bürgergeld Berechtigten führen würde ( LSG BB Az. L 32 AS 323/20 B ER).

Nur bloße Behauptungen und ohne jegliche Beweise darf das Jobcenter nicht einfach die Mietzahlungen einstellen, denn selbst eine verwahrloste Wohnung stellt eine Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB 2 dar!

Bezieher von Bürgergeld mieten in der Regel eine Unterkunft für sich zum Wohnen an, die Unterkunftskosten werden bei Angemessenheit vom Jobcenter übernommen.

Das Jobcenter muss Bürgergeld Beziehern die monatlichen Mietkosten zahlen trotz zeitweiligem Aufenthalt von 2-3 mal wöchentlich beim Freund.

Die Berücksichtigung der Mietkosten kann vom Jobcenter weder dadurch, dass sich der Leistungsempfänger dort tagsüber nicht aufhält noch weder dadurch, dass die Wohnung nachts – zeitweise – nicht genutzt wird, aufgehoben werden( LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 16.03.2020- L 32 AS 323/20 B ER – ).

Kurzbegründung und Sachverhalt des Gerichts

Es wird vom Jobcenter nicht behauptet, dass der Antragsteller eine andere Wohnung hat. Es bezieht sich lediglich auf eine Aussage des Antragstellers, wonach dieser sich ganz überwiegend bei einem Freund aufhalte. Dabei handelt es sich ersichtlich um die Erklärung des Antragstellers zum Weiterbewilligungsantrag , wonach der Antragsteller manchmal, maximal an zwei bis drei Tagen pro Woche, bei einem Freund sei. In dieser Erklärung wies der Antragsteller aber zugleich daraufhin, dass er weiterhin in der A Straße – nämlich in seiner Wohnung, wohne.

Zeitweiliges Aufhalten ist nicht mit einem Wohnen gleichzusetzen

Ein Aufhalten in Räumlichkeiten einer anderen Person gewährleistet weder einen Raum der Privatheit noch erlaubt er einen selbstbestimmten Zugriff auf diese dergestalt, dass sie nach eigenem Gutdünken genutzt werden könnten, so die nach meiner Meinung richtige Auffassung des 32. Senats.

Der Antragsteller/ Hilfebedürftige erklärte gegenüber dem Jobcenter, dass er sich selten in seiner Wohnung aufhalte, da er sich in der Wohnung und Umgebung nicht wohlfühle. Daraus folgt aber nicht, dass er über eine andere Unterkunft verfügt.

Dem Gericht erschließt sich nicht

Warum das Jobcenter bei dem Hausbesuch zweifelsfrei festgestellt haben will, dass der Antragsteller dort nicht wohne.

Denn der Antragsteller hat auf Umstände hingewiesen wie etwa (Vorhandensein von aktuellen Angeboten von Immobilien, von Herrenkosmetikartikeln / Zahnbürste und Lebensmitteln im Kühlschrank), die für ein dortiges Wohnen sprechen.

Auch eine unaufgeräumte oder gar verwahrloste Wohnung stellt eine Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB 2 dar

Eine Matratze ohne Bettzeug, auf die das Jobcenter im Besonderen abhebt, erlaubt durchaus ein Schlafen, so die Richter.

Fazit des Gerichts

Der 32. Senat ist davon überzeugt, dass der Antragsteller in seiner Wohnung sich aufhält und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, auch wenn der 2-3 pro Woche sich bei seinem Freund aufhält. Der Senat hat somit auch die Vorinstanz des SG Berlin Az. S 157 AS 236/20 ER bestätigt.

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Dazu führt das Gericht aus:

” Es bestehen keine konkreten und eindeutigen Hinweise darauf, dass diese Wohnung von ihm nicht mehr als Unterkunft genutzt wird.

Wie bereits das Sozialgericht unter Bezugnahme auf den Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. März 2012 – L 10 AS 123/12 B ER ausgeführt hat, geht die Bestimmung des Begriffs der Unterkunft nicht vom Umfang der Nutzung einer Wohnung aus, soweit sie jedenfalls nicht gänzlich entfällt.

Angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse gibt es auch vielfältige Abweichungen bezüglich der Anwesenheitszeiten, des Nutzungsumfangs und der Abspaltung von Teilfunktionen, ohne dass damit in der Eigen- oder Fremdwahrnehmung die Einschätzung einherginge, der Wohngebrauch werde durch solche Verhaltensweisen beendet.

Weder verliert eine Wohnung ihre Funktion als Unterkunft dadurch, dass sich der Wohnungsinhaber dort tagsüber nicht aufhält, wie dies bei Beschäftigten ohnehin der Fall ist, noch dadurch, dass sie zeitweilig auch nachts nicht genutzt wird, weil woanders übernachtet wird.

Erst wenn sich feststellen lässt, dass eine Wohnung nicht mehr dem Zweck dient, neben dem Schutz physischer Bedürfnisse, insbesondere auch der Unterbringung der persönlichen Habe, Raum für Privatheit im Sinne eines persönlichen Lebensbereiches zu sein, scheidet ihre Bestimmung als Unterkunft aus.

Solange mithin keine andere Wohnung zur Verfügung steht, die diese Zwecke erfüllen kann und erfüllt, besteht die Funktion dieser Wohnung als Unterkunft fort und das Jobcenter musste die rückständigen Mietkosten nachzahlen.“

Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock

Ein Gerichtsurteil, welches sehr zu begrüßen ist, denn ein zeitweiliger Aufenthalt bei Dritten heißt nicht immer, dass die Wohnung vom Leistungsempfänger nicht mehr genutzt wird.

Doch genau das ist der Knackpunkt, ob anonyme Anzeige oder bloße Verdächtigungen der Behörde führen immer wieder dazu, dass vom Jobcenter – keine Mietzahlungen – mehr übernommen werden wegen Nicht wirklicher Nutzung der Unterkunft.

Aber schon zu Hartz IV Zeiten galt:

Nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur setzt § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal voraus, dass ein gegenwärtiger Wohnbedarf besteht und die Wohnung nicht nur tatsächliche Kosten verursacht, sondern vom Hilfebedürftigen auch tatsächlich genutzt wird.

Unschädlich ist ein zeitlich überschaubarer anderweitiger Aufenthalt z.B. infolge Urlaub, Krankheit, Übernachtungen bei Dritten (LSG BRB, Beschluss v. 24.5.2006 – L 5 B 147/06 AS ER; LSG BRB, Beschluss v. 16.6.2006 – L 10 B 488/06 AS ER; LSG Hessen, Beschluss v. 8.10.2007 – L 7 AS 249/07 ER; LSG FST, Beschluss v. 15.4.2008 – L 9 AS 1438/07 ER; SG Detmold, Beschluss v. 2.10.2006 – S 13 AS 48/06 ER; SG Karlsruhe, Beschluss v. 12.1.2006 – S 5 AS 2/06 ER; SG Detmold, Beschluss v. 2.10.2006 – S 13 AS 48/06 ER; vgl. auch LSG NRW, Beschluss v. 1.3.2006 – L 20 B 52/05 SO ER ).

Grundsätzlich gilt für die tatsächliche Nutzung einer Wohnung

Indizien wie niedrige Nebenkosten( Strom, Wasser und Warmwasserkosten), die auf eine seltene Nutzung der Wohnung hindeuten, lassen für sich genommen – nicht regelhaft Bedarfe für Kosten der Unterkunft entfallen.

Entsprechende Vermutungen oder bloße Behauptungen des Jobcenters – sind nicht zulässig