Fehlende Ermittlungen des Jobcenters machen Bürgergeld-Rückforderungsbescheid in Höhe von 6950 € rechtswidrig
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – ist nicht jedes strafbare Verhalten wie Diebstahl, das beispielsweise absehbar zu einer Inhaftierung und damit regelmäßig zum Wegfall von Erwerbsmöglichkeiten führt, sozialwidrig.
LSG Sachsen-Anhalt: Gericht gibt Nachhilfeunterricht zum Erstattungsanspruch eines Jobcenters bei sozialwidrigem Verhalten des Bürgergeldempfängers (§ 34 SGB 2)
Selbst wenn man unterstellt, der Bürgergeldbezieher habe als volljähriger Erwachsener wohl durch ein Fehlverhalten im Arbeitsverhältnis, das Anlass war für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses durch eine ordentliche Kündigung des Arbeitgebers bzw. die nachfolgende Vereinbarung eines Aufhebungsvertrags, den Wegfall seines Erwerbseinkommens und damit seine Hilfebedürftigkeit und die seiner Familienangehörigen sowie den nachfolgenden Bezug von SGB II-Leistungen verursacht, lässt sich – die Sozialwidrigkeit seines Verhaltens nicht feststellen.
Fehlende Aufklärung des Jobcenters zum Sachverhalt führen dazu, dass kein sozialwidriges Verhalten des Leistungsbeziehers i. S. d. § 34 SGB 2 vorliegt – Rückforderungsbescheid in Höhe von 6950 € rechtswidrig
Ursache dafür ist, dass der Sachverhalt und die Motivationslage des Leistungsempfängers, welcher russischer Staatsangehöriger ist, nicht vom Jobcenter aufgeklärt worden sind.
Das Jobcenter hat nicht festgestellt, welches konkrete Fehlverhalten des Hilfebedürftigen der Grund oder Anlass für die (ordentliche) Arbeitgeberkündigung war.
Verlust des Arbeitsplatzes durch Diebstahl von Diesel beim Arbeitgeber ist nach Ansicht des Jobcenters – sozialwidrig
Maßgeblich stellt das Jobcenter auf einen – aufgrund des vereinbarten Schadensersatzes von zwei Nettogehältern – nicht nur geringfügigen – Diebstahl von Diesel – ab, mit dem der Leistungsempfänger zugleich die mögliche Konsequenz des Arbeitsplatzverlusts und des SGB II-Leistungsbezugs – zumindest grob fahrlässig in Kauf genommen – habe. Dies sei aus Sicht der Solidargemeinschaft der Steuerzahler zu missbilligen und daher sozialwidrig, auch wenn ihm möglicherweise die Sozialwidrigkeit seines Fehlverhaltens grob fahrlässig nicht bewusst gewesen sei.
Letztlich unterstellt das Jobcenter ein erhebliches strafbares Fehlverhalten des Klägers zum Nachteil des Arbeitgebers und bewertet dieses als sozialwidrig.
Das ist nach Ansicht des LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 02.10.2024 – L 4 AS 24/23 – aber rechtswidrig, denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – ist nicht jedes strafbare Verhalten wie Diebstahl, das beispielsweise absehbar zu einer Inhaftierung und damit regelmäßig zum Wegfall von Erwerbsmöglichkeiten führt, sozialwidrig.
Das Jobcenter muss immer die Umstände des Einzelfalls untersuchen, denn nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum § 34 SGB 2 gilt:
Keine generelle Ersatzpflicht im Sinne von § 34 SGB II nach Arbeitsplatzverlust infolge von Straftaten bzw. Diebstahl beim Arbeitgeber
Strafbares Verhalten führt nur zu Ersatzpflicht für Bürgergeldleistungen, die wegen eines deshalb eingetretenen Arbeitsplatzverlustes an Familienmitglieder erbracht werden, wenn das strafbare Verhalten gerade auf die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit oder den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder -möglichkeit gerichtet war.
So hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt mit heutigem Tage bekannt gegeben, dass dass Jobcenter – keinen Ersatzanspruch wegen sozialwidrigem Verhalten vom Bürgergeldbezieher fordern kann, wenn die Behörde es unterlassen hat, die Umstände dieses Einzelfalls aufzuklären bzw. zu ermitteln. Denn die vollständige Ermittlung der Umstände des Einzelfalls ist Aufgabe des Jobcenters im Verwaltungsverfahren ( § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 20 SGB X ).
Der Sachverhalt wurde vom Jobcenter nur ungenügend geprüft – alles nur Behauptungen
Entscheidend ist vorliegend jedoch, dass die Annahmen des Jobcenters zum strafbaren Verhalten des Bürgergeldempfängers keine feststehenden Tatsachen sind.
Denn der Kläger hat gegenüber dem Jobcenter keine konkreten Angaben zu Art und Umfang eines Fehlverhaltens gemacht. Aus der Abwicklungsvereinbarung ergibt sich lediglich, dass der Arbeitgeber der Auffassung war, der Kläger habe einen Schaden verursacht und er (der Arbeitgeber) könne ihn wegen eines Diebstahls von Diesel anzeigen.
Das Jobcenter hat im angegriffenen Bescheid ausgeführt, der Kläger habe durch den Abschluss der Abwicklungsvereinbarung die vom Arbeitgeber erhobenen Vorwürfe eingeräumt.
Dieser Schluss erscheint dem Senat aufgrund der unzureichenden Tatsachenfeststellung zumindest nicht zwingend und sogar fraglich.
Kleinere Diebstähle im Arbeitsverhältnis sind nicht so außergewöhnlich, dass sie generell oder grundsätzlich als sozialwidrig angesehen werden können
Nach Ansicht der Richter des LSG Sachsen- Anhalt irrt das Jobcenter, denn um dies im Einzelfall beurteilen zu können, bedarf es genauerer Kenntnisse der Gepflogenheiten im konkreten Betrieb, u.a. des üblichen Fehlverhaltens der Belegschaft. Dazu fehlen aber Feststellungen des Jobcenters!.
Der Senat kann daher nicht nachvollziehen, dass es hier um mehr als einen „üblichen“ Sperrzeitfall handelte, oder aus welchem Grund das Jobcenter meinte, das Fehlverhalten des Klägers sei aus Sicht der Solidargemeinschaft als sozialwidrig einzuschätzen.
Fazit:
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist nicht jedes strafbare Verhalten wie Diebstahl, das beispielsweise absehbar zu einer Inhaftierung und damit regelmäßig zum Wegfall von Erwerbsmöglichkeiten führt, sozialwidrig.
Wann kann das Jobcenter Bürgergeld laut Ersatzanspruch nach § 34 SGB II – geltend machen zum Beispiel bei Arbeitsplatzverlust durch Diebstahl beim Arbeitgeber?
Ein höherer Hilfebedarf nach dem SGB II infolge eines Arbeitsplatzverlustes kann einen Ersatzanspruch des Jobcenters nach § 34 SGB II auslösen, wenn der Arbeitsplatzverlust auf die Entdeckung eines Diebstahls zum Nachteil des eigenen Arbeitgebers zurückzuführen ist ( SG Kassel S 6 AS 873/12).