Die hohen Strompreise in Deutschland treffen Haushalte mit geringen Einkommen besonders hart. Während die Miete und die zentral erzeugte Heizwärme in der Regel von den Jobcentern übernommen werden, müssen Bürgergeld-Empfänger ihren Haushaltsstrom aus dem monatlichen Regelsatz bestreiten.
Für viele reicht das Geld kaum noch aus – vor allem dann, wenn auch das Warmwasser dezentral mit Strom bereitet wird.
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Das Dilemma steigender Stromkosten
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit stehen Alleinlebenden im Bürgergeld-Regelsatz rechnerisch 47,71 Euro im Monat für sämtliche Stromkosten zur Verfügung. Gleichzeitig verharrt die Pauschale für dezentral erhitztes Warmwasser 2025 bei 12,95 Euro.
Schon ein durchschnittlicher Durchlauferhitzer verbraucht bei einer Person rund 100 Kilowattstunden pro Monat – das entspricht, je nach Tarif, bis zu 35 Euro.
Für viele Leistungsbezieher klafft damit eine wachsende Lücke zwischen gesetzlichen Pauschalen und tatsächlichen Ausgaben, die oft nur durch Verzicht oder Schulden zu schließen ist.
Rechtliche Grundlagen des Warmwasser-Mehrbedarfs
Rechtlich stützt sich der Mehrbedarf für Warmwasser auf § 21 Abs. 7 SGB II. Weist ein Haushalt nach, dass Warmwasser nicht zentral, sondern dezentral mit Strom erzeugt wird, gewährt das Jobcenter einen prozentualen Zuschlag auf den Regelbedarf.
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass mit 2,3 Prozent des Regelbedarfs – das sind 12,95 Euro für Alleinstehende und 11,64 Euro für Partner in einer Bedarfsgemeinschaft – die Kosten gedeckt sind. Voraussetzung ist jedoch allein der Nachweis der dezentralen Warmwasserbereitung; ein konkreter Verbrauch muss nicht belegt werden.
Pauschalen und Wirklichkeit 2025
Mit Blick auf den aktuellen Strommarkt wirken die Pauschalen aus der Zeit gefallen. Seit Beginn der Energiekrise verteuerte sich eine Kilowattstunde Haushaltsstrom zeitweise um mehr als 60 Prozent.
Selbst nach der leichten Entspannung 2024 und 2025 liegen die durchschnittlichen Tarife solide über dem Vorkrisenniveau.
Hinzu kommt, dass die Zuschläge nicht automatisch mit den Strompreisen steigen, sondern sich ausschließlich am Regelbedarfsniveau orientieren. In vielen Haushalten zehrt der Warmwasserverbrauch deshalb den für Lebensmittel oder Kleidung gedachten Anteil des Regelsatzes auf.
Der Fall Seevetal vor Gericht
Wie folgenreich diese Regelung sein kann, zeigt der Rechtsstreit eines 63-jährigen Leistungsbeziehers aus Seevetal, Landkreis Harburg.
Der Mann hatte nach eigener Berechnung deutlich höhere Warmwasserkosten als die Pauschale vorsieht.
Um künftig den exakten Verbrauch nachzuweisen, wollte er einen separaten Drehstromzähler einbauen lassen – Kostenpunkt laut günstigstem Angebot 695 Euro. Beim Jobcenter beantragte er die Übernahme dieser Summe.
Die Sachbearbeitung des Jobcenters lehnte jedoch rigoros ab: Für den Zählereinbau gebe es keine Rechtsgrundlage, es handele sich “weder um einen unabweisbaren Mehrbedarf noch um Kosten zur Sicherung des Lebensunterhalts.”
Gerichtliche Einschätzung: Keine Rechtsgrundlage
Der Betroffene klagte zunächst im einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht Lüneburg, doch die Richter bestätigten die Auffassung der Behörde (Az. S 50 AS 56/22 ER).
Auch die Beschwerde vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen blieb erfolglos (Az. L 11 AS 415/22 B ER).
Das Gericht stellte fest, dass das SGB II zwar höhere Zuschüsse erlaubt, sofern der tatsächliche Stromverbrauch nachgewiesen wird, aber keine Verpflichtung des Jobcenters enthält, die für einen solchen Nachweis erforderliche Messeinrichtung zu zahlen.
Zudem sei die Warmwasserpauschale in ihrer Höhe vom Gesetzgeber bewusst gewählt und grundsätzlich ausreichend. Ein pandemiebedingter Mehrbedarf lasse sich ebenfalls nicht begründen, da kaltes Wasser zum Händewaschen genüge.
Folgen für die Betroffenen
Die Entscheidung zeigt ein regelrechtes Paradoxon: Nur wer investiert, kann höhere Leistungen geltend machen.
Viele Leistungsbezieher können sich den Einbau eines separaten Zählers jedoch nicht leisten.
Damit bleibt es bei der Pauschale – selbst wenn sie objektiv zu niedrig ist. Die Folge sind wachsende Rückstände bei Stromanbietern, Sperrandrohungen und ein weiterer finanzieller Druck, der häufig mit Verschuldung oder Verzicht auf Warmwasser endet.
Der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt berichtet, “dass immer mehr Beratungsfälle genau dieses Problem betreffen”.
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Reformbedarf
Anhalt fordert seit Langem eine automatische, preisabhängige Anpassung der Pauschale oder eine Öffnungsklausel, die die Übernahme zwingend anfallender Zählerkosten ermöglicht.
Ein Energiepreis-Monitoring könnte helfen, die Höhe des Zuschlags regelmäßig an die Marktpreise anzupassen.
Darüber hinaus sehen Juristen Potenzial in einer Ergänzung des § 21 SGB II, die den Einbau geeichter Messgeräte als einmaligen, vom Jobcenter zu tragenden Bedarfsgegenstand qualifiziert.
Auf politischer Ebene fehlt bislang jedoch die Bereitschaft, das System grundlegend zu reformieren.
Lehren aus dem Urteil
Der Fall aus Seevetal macht sichtbar, wie groß die Lücke zwischen gesetzlicher Systematik und realen Lebenshaltungskosten geworden ist.
Solange die Warmwasserpauschale starr an den Regelbedarf gekoppelt bleibt und Jobcenter die Einrichtung von Verbrauchszählern nicht finanzieren dürfen, bleibt vielen Leistungsbeziehern nur die Wahl zwischen Überschuldung und Verzicht.
Eine praxistaugliche Lösung erfordert deshalb nicht nur juristische Klarstellungen, sondern auch eine politische Entscheidung: Strom ist Teil des Existenzminimums – seine Kosten dürfen weder von der Tagesform der Strombörse noch vom Geldbeutel der Ärmsten abhängen.