Bürgergeld-Entzug rechtswidrig, wenn das Jobcenter nicht richtig aufklärt

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Bürgergeld: Entziehung bzw. Versagung von Bürgergeld rechtswidrig, wenn das Jobcenter den Sachverhalt nicht richtig aufklärt.

Es stellt keine Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit aus § 66 Abs 1 S 1 SGB I dar, wenn das Jobcenter den Sachverhalt nicht hinreichend aufklärt (hier: keine Anforderung lückenloser ungeschwärzter Auszüge vom eigenen Konto des Antragstellers).

So entschieden vom Gericht LSG Sachsen L 4 AS 832/18

Die Voraussetzungen für eine Versagung von Leistungen lagen nicht vor.

Zitat aus dem Urteil:

” § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I lautet: „Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 (SGB I) nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind.“

Leistungen können danach u.a. versagt werden, wenn Antragsteller dem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nicht nachkommen, der Vorlage von Beweisurkunden zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I), soweit nicht Grenzen der Mitwirkung überschritten sind (§ 65 SGB I, vgl. BSG, Urt. vom 26. November 2020, B 14 AS 13/19 R – Rn. 11).”

Feststellung von Hilfebedürftigkeit – Leistungsversagung wegen fehlender Mitwirkung – unzureichende Sachverhaltsaufklärung das Jobcenter

Ein Nichtmitwirken der antragstellenden Person – und sei es nur hinsichtlich bestimmter Angaben oder Unterlagen – oftmals zu einer Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung führt, liegt auf der Hand.

Das verhindern sollen die Mitwirkungsobliegenheiten in §§ 60 ff. SGB I und die Pflicht der Beteiligten in § 21 Abs. 2 SGB X, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken.

(vgl. zum grundsätzlichen Bestehen von Mitwirkungspflichten” nach §§ 60 ff SGB I, die keine Pflichten im klassischen Sinne, sondern nur Obliegenheiten sind, und den Ermittlungsbefugnissen der Leistungsträger zum SGB II BSG vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R -)

Die Nichterfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten allein rechtfertigt die sich aus § 66 SGB I ergebende Rechtsfolge (hier vollständige) Versagung nicht, vielmehr muss – hierdurch – die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert werden.

Zudem muss die Erschwerung erheblich sein, was insbesondere gegeben ist, wenn das JobCenter den Sachverhalt ohne die Mitwirkungshandlung nur mit beträchtlichem zusätzlichen Verwaltungsaufwand an Zeit und/oder Kosten aufklären kann

Denn maßgeblich dafür sind die jeweilige Fallgestaltung und Umstände des Einzelfalls.

Führt eine Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit ABER – nicht zu einer erheblichen Erschwerung der Aufklärung, bleibt sie ohne Konsequenzen.

Eine erhebliche Erschwerung liegt AUCH vor, wenn die Aufklärung des Sachverhalts durch die fehlende Mitwirkung unmöglich gemacht wird ( vgl. BSG, Urt. vom 26. November 2020 – B 14 AS 13/19 R – ).

Feststellung seiner Hilfebedürftigkeit ist der Zweck der Mitwirkung des Antragstellers

Zu Unrecht hat das Jobcenter hier das Bürgergeld/Grundsicherung versagt. Denn das Jobcenter hat seine weiteren Aufklärungsbemühungen nach Erhalt umfangreicher Unterlagen von Seiten des Klägers auf die Vorlage von Auszügen zu dem sogenannten „Erbenkonto“ konzentriert und die vollständige Versagung der beantragten Leistungen ausschließlich auf die Tatsache gestützt, dass der Kläger diese Kontoauszüge nicht vorgelegt hat.

Nichtvorlegen dieser Kontoauszüge

Weil durch das Nichtvorlegen dieser Kontoauszüge wurde die Aufklärung des Sachverhalts nicht erheblich erschwert.

Das Jobcenter hatte nämlich seinerseits nicht alle erforderlichen Ermittlungen zur Feststellung der Hilfebedürftigkeit des Klägers angestellt.

So dass schon deswegen der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt wurde und nicht erst durch die Weigerung des Klägers, Kontoauszüge des Erbenkontos vorzulegen.

Es fällt auf, dass sich das Jobcenter hier mit der lückenhaften Vorlage von Auszügen des eigenen Kontos des Klägers begnügt hat, ohne weitere Nachforschungen anzustellen, so ausdrücklich das Gericht.

Da das Jobcenter aber zur weiteren Aufklärung durch Vorlage – lückenloser lesbarer Kontoauszüge nicht aufgefordert hat -, sind dem Kläger diese Lücken im Sachverhalt nicht als Verletzung seiner Mitwirkungsobliegenheit im Sinne von § 66 Abs. 1 SGB I anzulasten.

Fazit:

Hier wurde das Bürgergeld versagt, weil das Jobcenter nicht alle erforderlichen Ermittlungen angestellt hat, um die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers fest zu stellen, nämlich die Vorlage der Kontoauszüge des Erbenkontos.

Nachforschungen hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit wurden kaum durch geführt.

Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock

Wenn das Jobcenter Euch das Bürgergeld versagt bzw. entzieht, sofort Widerspruch einlegen mit kurzer Fristsetzung.

Sollte das Jobcenter nicht reagieren, könnt ihr Einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht beantragen. Dies kann man auch direkt vor Ort machen oder selbst die Klage aufsetzen.

2 Bedingungen müsst ihr erfüllen, damit die Klage erfolgreich ist: Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch muss gegeben sein.

Eilantrag im Sozialrecht – Ein Beitrag von Roland Rosenow

Ein gerichtliches Verfahren braucht seine Zeit. Im Sozialrecht muss meistens ein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden, bevor es überhaupt zu einem gerichtlichen Verfahren kommt. Manche Dinge können aber nicht warten, weil sonst eine Notlage eintritt.

Wenn jemand zum Beispiel Grundsicherungsleistungen beantragt und gar kein Geld mehr hat, kann er nicht drei Monate warten, bevor über seinen Antrag entschieden wird. Erst recht kann er nicht anderthalb Jahre warten, bis über seine Klage entschieden wird.

Für solche Fälle besteht die Möglichkeit, beim Sozialgericht eine “einstweilige Anordnung” zu beantragen.

Das ist so etwas wie eine vorläufige Entscheidung des Gerichts:

Wenn das Gericht eine einstweilige Anordnung erlässt, muss die Behörde erst einmal tun, was das Gericht entschieden hat.

Eine solche Anordnung kann befristet sein. Sie gilt längstens bis zur Entscheidung “in der Hauptsache”.

Das bedeutet, dass sie maximal so lange gilt, bis das normale Verfahren (meistens Widerspruch und Klage) rechtskräftig abgeschlossen ist.