Wer Bürgergeld bezieht und sich in einer Notlage Geld von Verwandten leiht, muss oft damit rechnen, dass das Jobcenter diese Hilfe als Einkommen wertet und Leistungen kürzt. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat dieser Praxis in einem Grundsatzfall enge Grenzen gesetzt.
Im Verfahren mit dem Aktenzeichen L 7 AS 62/08 entschied das Gericht: Ein ernsthaft vereinbartes Verwandtendarlehen ist kein Einkommen. Maßgeblich ist, dass bei Auszahlung eine verbindliche Rückzahlungsverpflichtung besteht und diese später auch erfüllt wird.
Damit stellt das Urteil klar, dass familiäre Hilfe das Existenzminimum nicht automatisch schmälert. Entscheidend ist die rechtliche Einordnung als Darlehen oder Schenkung, nicht der Umstand, dass mit dem Geld laufende Kosten oder Schulden beglichen werden.
Der Anlass: 1.500 Euro Hilfe vom Onkel
Die Klägerin, geboren 1983, lebte allein, bezog Leistungen nach dem damaligen Arbeitslosengeld II und hatte Ende 2006 offene Forderungen und dringende Ausgaben, die sie aus ihren Leistungen nicht bezahlen konnte. Sie wandte sich an ihren Onkel, einen in Polen lebenden Rechtsanwalt, und bat ihn um Unterstützung.
Er überwies im Dezember 2006 1.500 Euro auf ihr Konto. Beide gingen davon aus, dass es sich um ein Darlehen handelt, das nach Aufnahme einer Beschäftigung vollständig zurückgezahlt wird.
Das Jobcenter wertete den Betrag jedoch als einmalige Einnahme, verteilte ihn auf drei Monate, hob die Bewilligung für Dezember 2006 bis Februar 2007 teilweise auf und forderte 1.410 Euro zurück. Die Klägerin legte Widerspruch ein und legte ein Schreiben des Onkels, eine eidesstattliche Versicherung sowie eine Aufstellung über die Verwendung des Geldes vor.
Das Sozialgericht Dortmund bestätigte gleichwohl die Sicht des Jobcenters. Erst die Berufung zum LSG NRW brachte die Wende.
Warum das Gericht das Darlehen anerkannt hat
Das Landessozialgericht prüfte, ob im Zeitpunkt der Zahlung eine echte Rückzahlungsabrede bestand oder ob die Überweisung in Wahrheit eine Schenkung war. Nach Anhörung der Klägerin und Auswertung der Unterlagen sah der Senat es als erwiesen an, dass bereits beim ersten Gespräch mit dem Onkel Hilfe und Rückzahlung gemeinsam besprochen wurden.
Vereinbart war, dass der Betrag nach Arbeitsaufnahme zurückfließen sollte. Nachdem ein Arbeitsvertrag unterschrieben war, legten beide ein konkretes Rückzahlungsdatum im Sommer 2007 fest.
Für das Gericht sprach das Gesamtbild klar für ein Darlehen. Die Klägerin befand sich in einer finanziellen Notlage, andere Angehörige konnten oder wollten nicht helfen, der Onkel erklärte sich zur Unterstützung bereit, erwartete aber die Rückzahlung.
Er bestätigte dies schriftlich und zusätzlich in einer eidesstattlichen Versicherung. Im Juli 2007 zahlte die Klägerin die 1.500 Euro per Überweisung vollständig zurück. Das LSG wertete diese Rückzahlung als starkes Indiz für eine von Anfang an ernst gemeinte Darlehensvereinbarung.
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Bescheid prüfenDass keine Zinsen vereinbart wurden und die Rückzahlung wenige Tage nach dem zunächst genannten Termin erfolgte, sah das Gericht als typisch für innerfamiliäre Hilfe und nicht als Hinweis auf ein Scheingeschäft.
Rechtlicher Hintergrund und Bedeutung für das Bürgergeld
Rechtsgrundlage ist § 11 SGB II. Einkommen sind Geldbeträge, die Leistungsberechtigte nach Antragstellung erhalten und endgültig behalten dürfen. Ein Darlehen erfüllt diesen Begriff nicht. Es verschafft lediglich einen vorübergehenden Liquiditätsvorteil, weil der Betrag später zurückgezahlt werden muss und das Vermögen nicht dauerhaft erhöht.
Das LSG NRW knüpft damit an die gefestigte sozialgerichtliche Rechtsprechung an, nach der Privatdarlehen mit klarer Rückzahlungsverpflichtung grundsätzlich nicht als anrechenbares Einkommen gelten. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Zuflusses; schon zu diesem Zeitpunkt muss die Rückzahlungspflicht feststehen.
Berufung auf den Fall auch bei Bürgergeld-Bezug
Der Fall wurde zwar noch unter dem Begriff Arbeitslosengeld II entschieden, die Grundsätze gelten für das heutige Bürgergeld jedoch fort. Der Einkommensbegriff im SGB II hat sich nicht grundlegend geändert. Wer heute Bürgergeld bezieht und ein Darlehen von Angehörigen erhält, kann sich bei vergleichbarer Ausgangslage auf das Aktenzeichen L 7 AS 62/08 berufen.
Das Jobcenter darf eine familiäre Zahlung nicht allein deshalb als Einkommen behandeln, weil damit Miete, Strom, Versicherungen oder Schulden bezahlt werden. Entscheidend ist, ob eine ernsthaft vereinbarte Rückzahlungsverpflichtung besteht und später eingehalten wird.
Praktische Hinweise für Verwandtendarlehen beim Bürgergeld
Für Bürgergeld-Beziehende ist die konkrete Gestaltung eines Verwandtendarlehens entscheidend. Wer mit Angehörigen eine solche Vereinbarung trifft, sollte die wesentlichen Punkte eindeutig festhalten.
Wichtig ist vor allem, dass die Rückzahlungspflicht bereits bei Auszahlung besteht. Eine kurze schriftliche Vereinbarung, in der Betrag, Datum und Rückzahlungsabrede dokumentiert sind, schafft Klarheit.
Wenn der genaue Fälligkeitstermin noch offen ist, kann zunächst eine verständliche Bedingung wie die Aufnahme einer Beschäftigung gewählt werden. Später lässt sich daraus ein konkretes Datum machen.
Ebenso wichtig ist die nachweisbare Rückzahlung. Erfolgt sie per Überweisung, kann sie später über Kontoauszüge belegt werden. Erklärungen der darlehensgebenden Person können diese Nachweise ergänzen, ersetzen aber keinen tatsächlichen Geldfluss zurück zum Darlehensgeber.
Im Kontakt mit dem Jobcenter sollten Betroffene offen darlegen, dass es sich um ein Darlehen handelt, und bereit sein, Vereinbarung, Schreiben und Kontoauszüge vorzulegen.
Wer diese Punkte beachtet und sich auf das Urteil beruft, hat gute Chancen, sich gegen eine unzulässige Anrechnung zu wehren und das eigene Existenzminimum zu schützen.




